: Ein „Bremer Kulturkampf“
■ Affaire Schloesser: der VHS-Streit um Autonomie und Insubordination
„Volkshochschuldirektor mit Vergiftung ins Krankenhaus“, schlagzeilt die BILD am 8.4.1981. Die Kriminalpolizei prüfe, ob der Chef der Bremer VHS, Karlheiz Schloesser, inzwischen außer Lebensgefahr, aus Versehen oder absichtlich Schlaftabletten geschluckt habe.
Um ein Versehen handelte es sich nicht. Schloesser war kurz zuvor von seinem Dienstherrn, dem Kultursenator Horst-Werner „Thomas“ Franke, vom Dienst suspendiert worden. Er war von Politikern aller Bürgerschaftsfraktionen öffentlich angegriffen und brüskiert worden, sein Genosse Manfred Fluß hatte ihn als „womöglich pathologischen Fall“ bezeichnet. Ein Humanist, ein radikaler Demokrat, ein Beamter mit eigenem Kopf war gescheitert. Sein Projekt: in der Volkshochschule „mehr Demokratie wagen“, den Benachteiligten Mitwirkung am politischen Leben zu ermöglichen, sie zum Widerstand zu befähigen. Gute sozialdemokratische Tradition, mit der sich Schloesser aber zeitens der Berufsverbote, Terroristenjagd und Polizeiaufrüstung zusehens verrannte.
Schloesser stand in der Geschichte der VHS für eine Umwandlung des bildungsbürgerlichen Instituts hin zu einer modernen Erwachsenenbildungsstätte. Weg mit Wanderungen, Vorträgen, Konzerten; her mit der Erwachsenenschule. Schloesser forderte und verteidigte die Autonomie der VHS, die auf keinen Fall „ein Unterfall der SPD“ sein dürfe. Das - zusammen mit seiner kompromißlosen Art - handelte ihm zuverlässig Ärger ein.
Legende sind Schloessers Literaturgespräche, zu denen die VHS in krawallreicher Zeit etwa Peter Brückner, Erich Fried, Wolf Biermann und Jürgen Fuchs einlud („Gewalt als Provokation der Literatur“). „Bildungspolitische Agitation“ schrie die FDP. Hoch her ging es in Bremen, als Schloesser Peter-Paul Zahl einlud - Franke verbot die Veranstaltung, woraufhin der VHS-Chef seinen Vorgesetzten dadurch düpierte, daß er als Privatmann einen Verein gründete, der dieses Literaturgespräch organisierte. Seiner Suspension vorausgegangen war eine weitere Insubordination des (inzwischen) Ex-Genossen: Franke hatte der VHS ein neues Organisationsmodell aufgedrückt, zu dem auch ein ihm genehmer Stellvertreter gehörte. Schloesser hatte zusammen mit dem Personalrat das Modell für nichtig erklärt.
Nach den NS-Erfahrungen sei „Insubordination ein notwendiges politisches Verhalten,“ schrieb Schloesser einmal. Ein Versuch, den unbeugsamen Moralisten in der Uni endzulagern, scheiterte. 1985 nahm sich Schloesser das Leben. BuS
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