: Goethe in fünfzehn Abenden
■ 1994 feierte die Volkshochschule Bremen ihren 75 . Geburtstag. Jetzt gibt es das Buch zum Jubelfest
Am Anfang stand ein Oberlehrer. Und eine Mahnung. Der Oberlehrer hieß Richard von Hoff. Und die Mahnung stand im linken „Bremer Volksblatt“, das Ende Oktober 1919 vor „konfessionellen, guttemplerischen, deutschvölkischen, antisemitischen Vereinen“ als Träger der Volkshochschule warnte. Am 2.11.1919 hielt von Hoff die Festansprache zur Eröffnung seiner neuen Bremer Volkshochschule. Der Chef hatte über „Das Altnordische“ promoviert, galt als deutschnational und wurde später unter den Nazis erster Bremer Bildungssenator und SS-Oberführer. Ausgerechnet im roten Bremen war die VHS eine bürgerlich-konservative Gründung eines kleinen Kreises von Bildungsbürgern mit den Programmschwerpunkten „Heimat“ (z.B. Das Teufelsmoor) und Hochkultur (Goethe in 15 Abenden).
Im selben Jahr wurden überall in Deutschland Volkshochschulen gegründet. Meist entsprach die politische Ausrichtung der Neugründungen den Verhältnissen in der jeweiligen Stadt, z.B. entstanden in Hamburg und Jena Institute mit ausgesprochen sozialistischer Ausrichtung. Nicht so in Bremen. Hier nutzten Arbeiter und schlecht ausgebildete Lehrer die VHS, um an den Segnungen der Hochkultur teilhaben zu können. Wo es in anderen Städten erheblich stärker praxisorientiert zuging, hatte die VHS Bremen nach den Worten ihres jetzigen Chefs Rippien eher einen „Inselcharakter“, trostreich in schwerer Weimarer Zeit.
1934 hörte die Bremer VHS auf zu existieren; offiziell wurde sie unter dem Namen „Schule der NSDAP für Volkstum und Heimat“ in das Kreisschulamt überführt, verlor aber alle Einrichtungen und Programme. Anders als etwa in Hamburg geschah das in Bremen ohne Widerstand der VHS, deren Leiter den „geistigen Nährboden des NS“ mit bereitete, wie der 1995 verabschiedete Direktor der VHS, Prof. Erhard Schultz, in einer ausführlichen Dokumentation zu 75 Jahren Bremer VHS anmerkt.
Die Jahre 1934 bis 1946 bedeuten mehr als eine Unterbrechung der VHS-Tradition. Als die Volkshochschule auf Betreiben der Amerikaner 1946 mit der Idee der „Reeducation“ wieder eröffnet wurde, sprach man ausdrücklich nicht von „Wiedereröffnung“. Volkshochschule im zerstörten Bremen hieß zuallererst: Lebenshilfe, Heilmaßnahmen für Kriegsversehrte, Geschlechtskrankheiten, Kochen bei Nahrungsmittelknappheit. Daneben Veranstaltungen zu Kultur, Demokratie, Werbung. Die VHS befaßte sich mit neuen Berufsbildern (Kfz, Elektronik, Bauwesen) und gründete 1948 eine erste Übungsfirma namens „Emsig und Co.“. Ein „Hörerkreis“ traf sich, der sehr engagiert über moderne Literatur (Rilke!), Sex und den Sinn des Lebens diskutierte.
Die große Zeit der VHS begann 1963, als in Deutschland der „Bildungsnotstand“ ausgemacht wurde. Es setzte ein Professionalisierungsschub im Weiterbildungsbereich ein, der auch kleinere Einrichtungen erfaßte, die oft noch ehrenamtlich unter Leitung des Kulturamtschefs geführt wurde. Es begann die Entwicklung von Zertifikaten, man machte sich Gedanken über „erwachsenengemäße“ Prüfungsformen, das „lebenslange Lernen“ der VHS-Teilnehmer wurde auf Verwertbarkeit untersucht. Die Studentenbewegung spülte dann in großer Menge eine neue Art von Lehrkräften in die Volkshochschulen: junge, sozialwissenschaftlich orientierte Erwachsenenbildner, die Lust auf Experimente mit alternativen Gesellschaftsentwürfen haben. In dieser Phase wurde mit Karlheinz Schloesser ein ausgesprochen reformfreudiger, kampfeslustiger Querkopf Leiter der Bremer Volkshochschule (s. nebenstehenden Artikel).
Im Kampf um die Freiheit der Lehre unterlag die VHS zum Schluß; sie wurde an die Leine der vorgesetzten Behörde gelegt. Doch der programmatische Modernisierungsschub setzte sich fort: Zielgruppenarbeit hieß die Devise, mit Angeboten speziell für Frauen, Alte, Behinderte.
Heute nutzen im Semester 16.000 Teilnehmer die 1.200 Angebote. Die VHS klagt aktuell nur noch über Geldmangel und das fehlende Interesse der Politik an ihr (s. Interview). Burkhard Straßmann
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