■ Fußballtoto mit neuen Regeln: Rettet das Unentschieden!
Sollte dereinst jemand auf die Idee kommen, die Geschichte des Glücksspiels in Deutschland aufzuschreiben: Diesem Wochenende müßte er in seiner Chronik einen besonderen Platz einräumen. Da gelten nämlich erstmals neue Spielregeln für 6 aus 45, die Auswahlwette im Fußballtoto. Ab sofort muß der Zocker nicht mehr grübeln, welche Spiele wohl unentschieden ausgehen, sondern die sechs torreichsten Begegnungen prognostizieren. Das kommt einer Revolution gleich.
Die Auswahlwette wird seit 1963 gespielt, und die Regeln haben sich seitdem nur geringfügig verändert. Zuerst galt es, aus einem Block von 36 Spielen 6 Remis vorherzusagen (6 aus 36). Ein Jahr später wurde 6 aus 39 eingeführt und 1975 schließlich 6 aus 45. Vor allem in den sechziger Jahren war das Spiel lukrativ, der Rekordgewinn für sechs Richtige betrug seinerzeit fast 5 Millionen Mark. Wer in letzter Zeit in die Gewinnklasse eins kam, mußte sich oft mit einer Million oder weniger begnügen – die Zahl der Spieler war gesunken.
Nicht zuletzt deshalb hat der Deutsche Lottoblock, in dem die Lotto- und Toto-Gesellschaften der Bundesländer zusammengeschlossen sind, die herkömmliche Auswahlwette abgeschafft. Das neue Spielsystem wollen die staatlichen Glücksspielunternehmer als Reaktion auf die Dreipunkteregel verstanden wissen, die bekanntlich seit letzten Sommer gilt. Sie wollen so den Offensivfußball fördern, behaupten sie.
Die Entscheidung des Deutschen Lottoblocks muß man aber vor allen Dingen als skandalöse Diskreditierung des Unentschiedens werten, womöglich als einen Schritt hin zur Abschaffung des Unentschiedens auf dem Spielfeld. Eine Verschwörungstheorie? Und wenn schon: Jeder sollte mindestens eine pflegen, das schärft den Verstand. Andererseits werden solche Pläne immer mal wieder diskutiert, und die Organisatoren der neuen amerikanischen Profiliga haben sie bereits umgesetzt.
Wahre Fußballanhänger werden sich das Unentschieden nicht schlechtmachen lassen, denn sie verdanken ihm viele erhabene Momente. Es bringt den Gefühlshaushalt eines Fans viel stärker in Wallung, wenn seine Mannschaft mit neun gegen elf unverdientermaßen ein 0:0 herbeibolzt, als wenn sie gegen einen unterlegenen Gegner mühsam 2:0 gewinnt, also einen sogenannten Arbeitssieg einfährt. Aber das kann der Deutsche Lottoblock nicht wissen.
Die alte Auswahlwette war reizvoll, denn Unentschieden sind naturgemäß am schwersten vorherzusagen. Besonders in den ersten Wochen dieses Jahres war 6 aus 45 für jeden Experten eine Herausforderung, weil aufgrund der Winterpause hierzulande sogar Spiele aus der zweiten italienischen Liga auf dem Tipp-Programm standen. Da galt es dann, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie wahrscheinlich ein Remis zwischen Pescara Calcio und Cosenza Calcio ist. Durch die neue Regel wird das Mitspielen leichter, und jetzt können auch durch ran sozialisierte Zeitgenossen wetten.
Wollen wir den taz-Lesern die Freude an der Auswahlwette vermiesen? Mißgönnen wir ihnen die Eigentumswohnung, die sie sich herbeizutippen gedenken? Im Gegenteil! Deshalb sei abschließend gesagt, in welchen Spielen am Wochenende die meisten Tore fallen: bei Leverkusen gegen Rostock, HSV gegen Bayern, Manchester United gegen Blackburn, Eindhoven gegen Volendam, Sparta Rotterdam gegen Go Ahead Eagles und Tennis Borussia Berlin gegen Eisenhüttenstadt. Wer sechs Richtige haben will, muß auf dem Spielzettel also einfach die Felder 6, 7, 29, 36, 42 und 44 ankreuzen. René Martens
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