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Die wirklich letzte schöne Story

Der SC Freiburg beim Bundesliga- Rückrundenbeginn: Volker Finke will den Triumph des Rationalen. Doch das ist keine wunderbare Geschichte  ■ Von Peter Unfried

Wenn also dann irgendwann doch das Licht angeht, weil es eben irgendwann angehen muß, was dann? Sitzen alle da, blinzeln ratlos und fragen, geblendet von der sehr unangenehmem Konfrontation mit einer Realität: Scheiße, was ist hier jetzt los?

Nichts. Außer, daß auch die großartigste Geschichte mal zu Ende ist. He, ihr Trauernden: Besser jedenfalls als zu Tode erzählt. Im Falle unserer Geschichte ist das im übrigen schwer zu unterscheiden.

Vielleicht interessiert, was Volker Finke dazu sagen kann: „Es braucht keiner mehr schreiben, daß Spies Strafraum-Melancholiker ist und Zeyer mit dem Fahrrad zum Training fährt, das wissen alle. Das ist langweilig geworden.“ Weiter: „Daß der Trainer seine Zigaretten selber dreht und der Präsident sparsam ist, immer Videotext guckt und nie ins Stadion geht, das weiß ja nun auch längst jeder.“

Dies ist eine Arbeitshypothese. Sie lautet: In Freiburg ist alles nicht anders. Ist nicht alles anders. Es ist anders. Einerseits. Andererseits ist es so, daß das andere so eingeführt ist, daß irgend etwas anderes als das andere unnormal wäre.

Ist das schlecht, hä?

Es ist so, wie es ist.

Es ist nur keine gute Geschichte mehr.

Der SC Freiburg hatte eine Geschichte. „Wunder Freiburg“ hieß die. Stieg empor bis ins Reich des Feuilletons. Immer wieder gern variiert. Aufstieg, wundersame Rettung, Platz drei, Europapokal. Ein wunderbarer Sommer. Dann kam der Herbst, die Bundesliga-Vorrunde, und da haben der Klub und alle, die sich dazurechnen, eine Erfahrung gemacht. Sie haben die Wirklichkeit erfahren. Die für den ratio-gesteuerten Finke (47) im übrigen keine Überraschung war. Die Wirklichkeit sind der Etat von 16 Millionen hier, jener von bis zu 60 anderswo. Die Wirklichkeit ist das Dreisam-Stadion an der Schwarzwaldstraße, in das trotz teuren Umbaus eben nicht mehr als 22.500 Leute reingehen. „Natürliche Grenzen“, nennt der Trainer das. Manchmal braucht es auch künstliche Grenzen, um natürlich zu bleiben. Merchandising! Bringt derzeit etwa eine Million im Jahr. Warum nicht mehr? „Wir werden niemals ein Zentrallager aufmachen“, sagt Finke. „Mit ein paar Personen gemacht ist's überschaubar und gemessen an dem Aufwand ein größerer Gewinn.“

„Überschaubar“ ist ein wichtiges Wort. Von seinem kleinen Trainerkabuff draußen im Stadion überschaut Finke die ganze Stadt. Hier wie dort nennen sie ihn nur den Chef. Wispern sich bisweilen zweifelnd die erste, wichtigste Frage zu: „Was sagt der Chef dazu?“ Wozu? Zu allem. Nicht der kleinste Halbsatz irgendwo entgeht dem Chef. Vae Victis!

Natürlich lieben längst nicht alle den Chef. Schon gar nicht all jene, die der nicht brauchen konnte und über kurz oder lang an die Peripherie von Verein und damit auch Stadt verbannt hat. Leute, die „Stocker oder dem Trainer eine Karre Mist wünschen“, nennt der Chef die. Doch die kommen ja nicht an gegen die Machtdreifaltigkeit Finke–Stocker–Vizepräsident Helmut Gebhardt. Sie können ihm nichts.

Auch jetzt nicht. Als es im Herbst nicht laufen wollte wie zuvor, war da zunächst eine Pietätsfrist, aber irgendwann, kriegte auch Nationalspieler Jens Todt mit, ging es „hintenrum los“. Es kamen, wie anderswo auch, allerlei besorgte Menschen zum Präsidenten gerannt, um ihm mit guten Ratschlägen behilflich zu sein, bis hin zur Anschaffung eines Psychologen. „Kannst du doch vergessen“, sagt hierzu Achim Stocker (60), der neben dem Ganztagsjob SC auch noch eine A-15-Finanzdirektorenstelle zu verwalten hat. „Das wäre doch ein Schlag gegen den Trainer.“ Schläge gegen den Trainer gibt's nicht. Nicht „solange der Finke Trainer ist“. Das klingt wie eine Arbeitsplatzgarantie. Wenn aber, sagt hierzu Finke, „der Stocker das Gefühl hätte, daß wir schlecht arbeiten ...“ Hat der nicht. Nie. Obwohl, manchmal vielleicht klitzekleine Zweifel? „Ist ja logisch“, sagt der, „ich habe auch manchmal andere Vorstellungen.“ Gefühle! Wenn das so ist, geht er zu Finke und läßt sich alles erklären. Rational. Dann ist er wieder beruhigt. Wie er selbst zu sagen pflegt: „Wenn man aus der Kirche rauskommt, ist man immer schlauer, nicht?“

Um es kurz zu machen: Der Chef strebt mit dem SC Freiburg zu einem ganz neuen Höhepunkt. Dem Triumph des Rationalen. Und das in der Fußball-Bundesliga! Doch Finke will ihn. Unbedingt.

Hätte ja gehen können. Will aber keine Legende. Er will nur zeigen, daß es geht. Weil er bekanntlich alles selber macht, zerstört er auch eigenhändig die Restlegende. Um Platz zu schaffen.

Die drei Neuen Sutter, Jurcevic und Decheiver nennt er zum Beispiel „Personalkorrekturen“. Nur um zu zeigen: Seht her, hier wird professionell gearbeitet. „Man muß“, sagt der Chef, „Strukturen schaffen, wo nicht nach zehn Spieltagen alles in Frage gestellt wird.“ Wenn es denn so was wie ein Wunder gegeben haben sollte, dann vielleicht, daß man es tatsächlich so weit gebracht hat.

Als Rodolfo Cardoso ging, wenn nun Jens Todt gehen wird, hat zwar das Imperium zurückgeschlagen, doch damit ist nicht der SC Freiburg am Ende, nur eine Geschichte, die auch für Todt, einen ihrer Protagonisten, „ausgelutscht“ war. Die Schwierigkeit wird weniger darin bestehen, neue Kicker zu finden, als denen das „Geschäft“, das nun mal über Emotionen funktioniert, neu zu definieren. Denn die Rezeption in jenen Tagen, das verklärte, romantisierende, irrationale Moment, hat natürlich schon etwas ausgemacht. Weil damit zwischen den Köpfen von Team, Medien und Publikum Flipper gespielt werden konnte. „Achterbahnfahrt“ hat Jens Todt das genannt, und gesagt: „So etwas kannst du irgendwann nicht mehr überbieten.“

Das stimmt. Aber man könnte auch argumentieren: Keine Sorge, es bleibt genug. Freiburg, mit seinen 23 Prozent Grünen-Wählern, hat die Bundesliga zu einem Teil des Seins gemacht. Bei aller Ratio: Das Gefühl „wir“ hängt über Stadt und Stadion. Zwar hat es das „kritische Potential“ bis heute nicht geschafft, das Abspielen der Badener-Hymne zu verhindern, und Stocker sagt, er würde sich „mit aller Macht wehren, wenn ich das Gefühl hätte, der Verein sei öko- links gesteuert“, aber auf der Weihnachtsfeier vom Fanzine Fanman erscheint selbstredend der Cotrainer Achim Sarstedt, und an der Uni diskutieren sie die komplexen Verschiebungen des SC- Kurzpaßspiels. Vielleicht. Das Stadionheft Heimspiel wird von Sport- Bild als bestes Blatt der Liga ausgezeichnet, und wenn der verantwortliche Schreiber seinen Kopf zur Türe hereinsteckt, dann brummelt der Präsident was von „Intellektueller hoch fünf, gefährlich“, und er verstehe, was geschrieben stehe, doch gebe es „Leute, die müssen's dreimal lesen“.

Übrigens dreht der Chef, wenn er in seinem Kabuff sitzt, tatsächlich eine nach der anderen. Nicht, auch wenn es keinen mehr interessiert, auch nicht gerade deshalb. Nur, weil er es immer so getan hat.

Es ist nur so, daß es keine schöne Geschichte mehr hergibt.

„Irgendwas“, sagt Volker Finke, „müßte da passieren.“

Er meint das nicht so.

„Eigentlich“, sagt er, „sind wir selbst dran, müßten Geschichten im Grunde selbst erfinden und die anderen damit füttern.“

Er meint das nicht so. Außerdem hat er keine. Freiburg dauerhaft in der Bundesliga? Aus Ratio wird nie mehr ein rechter Mythos.

„Sehen Sie“, sagt der Präsident und steigt aus der Geschäftsstelle zurück empor in den ersten Stock zum Klo, „jetzt mach' ich da das Licht aus, das stört mich.“

Licht aus! Womm! Im wirklichen Leben schneit's. Da stellt sich die Frage: Kann heute gespielt werden gegen Gladbach oder nicht? Reality bites!

Dies hier war nur die wirklich allerletzte schöne Geschichte aus Freiburg.

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