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Jenseits der Kuscheltierzone

Die vier Modemacher Ove Jepsen, Stefan Dietzelt, Olaf Grützner und Till Fuhrmann haben sich als „Eisdieler“ zusammengetan und verkaufen in der Auguststraße zu Sahnepreisen  ■ Von Patricia Caspari

Eisblaue Augen, vanilleblondes Haar und ein Lächeln, das selbst Schwiegermütterherzen schmelzen ließe: Den vier Betreibern einer ehemaligen Eisdiele würde man(n) und frau fast alles abkaufen. Und da Mutter Natur sie noch mit Kreativität ausstattete, handeln sie mit Ware, die um einiges cooler ist als Eiscreme: ihrer Mode.

Oh Pardon, „modisch“ möchten sie nicht sein und „trendy“ erst recht nicht. Eisdieler Ove Jepsen ist bekennender Konservativer. Mit seinem Label „gossip 67“ möchte er keine Mode machen, „sondern Sachen, die man noch in zehn Jahren tragen kann, getreu dem Motto: Da weiß man, was man hat!“ Penibel produziert der Perfektionist klassisch Schlichtes zum Drüber-, Drunter- und Miteinandertragen. Schnörkellose Bauhaus-Uniformität und das Ikea- Stapelsystem scheinen als Inspirationsquelle für seine schnurgerade geschnittenen dunkelblauen Hosen und erdfarbenen Blousons gedient zu haben. Daß seine Klassiker just perfekt den gerade angesagten Sixties-Retro-Stil treffen, bestätigt den bescheidenen Designer, mit seinem Werk für die Ewigkeit fortzufahren, denn Gutes kommt wohl immer wieder.

Auch Kollege Stefan Dietzelt ist sich für oberflächliche Trendhascherei zu schade, doch gibt er sich ungleich verspielter. Statt eine festen Linie zu folgen, verarbeitet der große Blonde lieber seine Alltagserlebnisse: sein halbes Jahr als Modedesigner in Ägypten, seine Auftragsarbeit für die Girlie-Byker-Gang oder die Kollektion für eine Straßentheatergruppe, von der er prompt als Engel engagiert wurde und mit ihnen drei Monate durch bayerisches Hoch- und Tiefland tourte. Sein Label „Alasja“ steht für „Design im Detail“ und seinem Lebensmotto „Unverhofft kommt oft“ wie der Schlitz im hochgeschlossenen Kleid, der unvermutet ein Dekolleté aufblitzen läßt oder der giftgrüne Anorak aus einer Luftmatratze in Krokodilform, mit der er 1992 den ersten Platz im Modecontest von Levi's und Unicum ergatterte.

Eisdieler Olaf Grützner fühlt sich dagegen für Menschen des Schlags „Lebe wild und gefährlich“ verantwortlich. Unter „wild spirit“ vertreibt er für Surfer, Snowboarder, geistig Verwirrte und ökologisch Gerechte Second- Hand-Ware, die er umgenäht und neu bedruckt hat, sein derzeitiger Lieblingsstoff ist natürlich Hanf!

Und Till Fuhrmann, der vierte im Bunde, liefert unter seinem Label „TMF Powersaw“ die exzentrische Hardware für Hartgesottene. Sein Schmuck erinnert an Tigerkrallen, Spinnenbeine und alles, was jenseits von Disneyland und der Kuscheltierzone kreucht und fleucht. Auch die phantasievollen Gitter des Ladens in Sonnen- und Blumenform stammen von ihm. Fotos davon zieren mittlerweile schon manches Touri-Fotoalbum. Inspririert wurde der selbsternannte Stahlgärtner übrigens von der Bastelgruppe seines älteren Bruders, besser bekannt als der Künstlerverein „Dead Chickens“.

Mehr Geschmacksrichtungen hatte wohl auch die Eisdiele zu ihren besten Zeiten nicht zu bieten. Und trotz der unmodischen Einstellung der Tiefstapler gleicht der Trendgehalt ihrer Ware ungefähr dem Zuckeranteil in Eiscreme. Das liegt nicht zuletzt an der gemeinsamen Lehrzeit im Lette-Verein. Auf der Berliner Modeschule lernten sich die vier kennen und beschlossen, zusammen das Sortiment der Kleiderschränke von Normalos, Intellellos und Extravagantellos zwischen 15 und 50 aufzufrischen.

Und die vier haben tatsächlich ein Herz aus Sahne: Die Preise haben Tiefstniveau, trotz des individuellen Designs und der individuellen Behandlung: Ein Rock kann auch auf Wunsch in einer anderen Farbe geliefert werden. Im Sommer machen die vier Eisdieler ihrem Namen übrigens alle Ehre: mit italienischen Eisdielen gemäßen Ladenschlußzeiten und dem Belohnungseis für jeden Käufer. Süße Sünden schmecken eben besser.

Eisdieler, Auguststraße 74, Mo.–Fr. 12–19, Sa. 11–14 Uhr.

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