■ Mit Hauptstadtjobs auf du und du
: Kleine Angestellte bleiben am Rhein

Berlin (taz) – Zwei Dinge sind sicher. Erstens: Kommen ab 1999 die Lobbyisten der Wirtschaftsverbände nach Berlin, wird auch der rheinische Karneval an der Spree einen Aufschwung erleben – zum Leidwesen mancher protestantisch Preußen, die dieser katholischen Unsitte mit Argwohn begegnen.

Zweitens: Durch den Zuzug der Wirtschaftsorganisationen stellt sich unter dem Strich kein Aufschwung auf dem Berliner Arbeitsmarkt ein. Nach dem Jahr 2000 brächten die Lobby- Organisationen vielleicht 15.000 neue Bürojobs an die Spree, lautet eine grobe Schätzung von Hartmut Friedrich, dem Leiter der Deutschen Angestellten- Gewerkschaft (DAG) in Berlin. Dieser Zuwachs aber könne den herrschenden Trend zum Arbeitsplatzabbau im Dienstleistungssektor der Stadt bei Handel, Verwaltung, Banken und Versicherungen „nicht annähernd kompensieren“. So registrierte das Landesarbeitsamt Berlin-Brandenburg Ende 1995 bereits 57.000 arbeitslose Büroangestellte, die größte Gruppe der insgesamt fast 400.000 Arbeitslosen der Region.

Schlechte Aussichten also, obwohl bereits Dutzende von Spitzenorganisationen der Wirtschaft und viele kleinere Verbände bis zum Jahr 2000 ihren Umzug in die neue Hauptstadt anpeilen. Darunter sind der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der Arbeitgeberverband Gesamtmetall, der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie, die Spitzenvertretungen des Handwerks und der Banken. Der Bundesverband der Freien Berufe, dem allein 70 Mitgliedsorganisationen wie die Bundesärzte- und Bundesrechtsanwaltskammer angeschlossen sind, komplettiert die Liste. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) wird die Umzugsfrage noch einmal debattieren.

Die Verbände wollen besonders das Personal ihrer Führungsetagen mit an die Spree nehmen – schon von daher sind keine Massen zu erwarten. Immerhin 50 Prozent der Lobbyisten wollen mitziehen, haben Umfragen ergeben. Anders sieht es dagegen bei dem oft weiblichen Büropersonal aus. Weil Sekretärinnen häufig weniger verdienen als ihre Ehemänner, neigten sie dazu, im Rheinland zu bleiben, wo der Mann eine gut bezahlte Arbeit hat. Manche der freiwerdenden Stellen würden die Verbände im Rahmen des Umzuges jedoch wegrationalisieren, heißt es. Damit sinkt die entlastende Wirkung für den Berliner Arbeitsmarkt. Hannes Koch