: Krisengeschöpfe in Kanakistan
■ Zwei Lesungen in Hamburg: Feridun Zaimoglu und Frank Keil
Feridun Zaimoglu
Kanaken sind sie alle. Kanaken „in billigen polyesterhemden, sie ernähren sich von teig und fett“. Kanaken, die „den wechsel vom ackerland zum fließband (...) nicht verdaut“ haben. Als „Gastarbeiter“ der zweiten oder dritten Generation leben sie in Ghettos: „müllkümmel“, Arbeitslose, Musiker oder professionelle „besorger“ für deutsche Damen.
„Hier hat allein der Kanake das Wort“, heißt es in dem Buch Kanak Sprak von Feridun Zaimoglu (Rotbuch Verlag). Der 1964 in der Türkei geborene Autor, der seit 28 Jahren in Deutschland lebt, stellte dafür „türkischen Mitbürgern“ die immer gleiche Frage: Wie lebt es sich als Kanake in Deutschland? Eineinhalb Jahre dauerten die Vorarbeiten zu dem literarischen Dokument, dessen 24 Zeugenaussagen (alle bewußt männlich und subproletarisch) in der Gesamtheit beinahe einen Roman ergeben.
Von Menschen handelt das Buch, die stolz und aggresiv, resigniert oder aufrührerisch ihr Überleben meistern. So ähnlich ihre Situation ist, so einig sind sie sich alle, daß sie eins nicht sein möchten – wie die „allemannen“. Große Wut herrscht da zum Beispiel auf verzogene „hasse-mal-ne-mark-penner“, diese „ficker“, die „mega in wie'n schwein“ sein wollen.
Multikulti-Getue und politisch korrekte „Migranten“-Begegnung hält Zaimoglu für heuchlerisch und verlogen, weswegen er Menschen wie Abdurrahman ein Forum schafft, der seine Erlebnisse mit Multikulti nur noch folgendermaßen ausdrücken kann: „'n kanake als freund rangiert ganz unten auf der multikultiliste, besser is'n jamaikanigger mit ner zottelperücke, noch besser 'n Schmalzlatino, und die ganz heiße oberfesche krone is denn 'n yankee-nigger, auf den das einheimische mösenmonopol abfährt.“ Bei seinen Reisen nach Kanakistan wollte der Autor darum nicht den guten Türken, sondern vielmehr ein authentisches Lebensgefühl finden.
Seine Arbeit nennt Zaimoglu „Nachdichtung“, deren kreativen Elemente vor allem die Idee und Auswahl sind sowie die Übersetzung der deutsch-türkischen Kreolsprache. Damit stellt der Künstler, Humanmediziner und Publizist das Werk in eine Reihe mit der sogenannten „Zeugnisliteratur“, die ab den Sechzigern in Lateinamerika boomte und mit Büchern wie Wir Kinder vom Bahnhof Zoo auch in Deutschland für ergriffenes Interesse sorgte. Ob er das bewußt oder unbewußt tut und was seine Absicht ist, ist morgen abend in Hamburg von ihm zu erfahren.
„Nullkommanull stil“, hätten die Deutschen, sagt ein Kanake, „also muß man ja wohl nen supereignen sektor entwickeln mit'm schild, auf dem in alarmrot steht: zugang nischt, weil stil.“ Am Literaturhaus wird dies Schild wohl fehlen.
Nele-Marie Brüdgam
Morgen, 20 Uhr, Literaturhaus
Frank Keil
In Irgendwie Dazwischen – Aus dem Innenleben einer alternativbewegten Generation versammelt der Hamburger Autor Frank Keil programmatische kleine Skizzen und Mini-Portraits von Mitt-Dreißigern. Darin tritt etwa der schläfrige Norbert auf, der seinen gepflegten Mittagsschlaf zum flüchtigen Ritual macht. Oder der Video-Sammler Georg. Oder der eher lächerliche Pädagogikstudent Albert, der, von seiner Freundin getrieben, „über das Tanzparkett hoppelt“. Alle sind sie an einer Bruchstelle zwischen zwei Lebensabschnitten angelangt und damit in Schwierigkeiten.
Es sind kleine Randtaten, die unprätentiös auf die Brüche einer Generation verweisen, als deren Teilhaber sich der 37jährige Autor ausweist. Und diese sind gravierender als es zunächst scheint. Die hier porträtierten Männer tragen allesamt schwer am Erbe der 68er und basteln sich nun ihr Funktionieren zurecht, reden sich gleichsam gesellschaftsfähig.
Dabei gelingt es Keil, sie eher anhand kleiner Gesten als über wirkliche Auseinandersetzungen sichtbar zu machen. Daß es sich bei diesem Sammelsurium von Männern aus ziemlich unterschiedlichen sozialen Positionen aber überhaupt um eine Generation handelt, die mehr als das Alter gemeinsam hat, will uns am Ende nur noch der Verlag glauben machen. Die vielbemühte Generation X wird erneut angeführt, wobei es kaum kümmert, daß keiner der Protagonisten ein Twenty-Something ist, der nach dem Erfolg ausgestiegen ist.
Volker Marquardt
Heute, 19.30 Uhr, Galerie Morgenland, Sillemstraße 79
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen