: Sind Neonazis unanständig?
■ US-Holocaust-Gruppen fordern "More Speach" gegen "Hate Speach"
Es sind schwarze Tage im Internet. Wer in der letzten Zeit durch das World Wide Web gesurft ist, hat wahrscheinlich immer wieder eine Seite mit tiefschwarzem Hintergrund gefunden. Die amerikanische Organisation „Voters Telecommunications Watch“ hat ad hoc eine „Koalition gegen Netzzensur“ organisiert, und dazu aufgefordert, möglichst viele Homepages auf die Trauerfarbe umzuprogrammieren.
An der Aktion nehmen Gruppen und Individuen teil, die sonst wohl wenig miteinander zu tun haben: Das Online-Shopping-Zentrum „Internet Mall“ steht neben den Portland Anarchists, ein „Marijuana Policy Project“ ist genauso vertreten wie das Internet-Adressenverzeichnis „Yahoo!“ und die amerikanische Liga für Bürgerrechte. Der Countrysänger Arlo Guthrie macht mit, aber auch die „Kirche des Zen-Fatalismus“.
Zwei Gruppen, die auf der Liste ganz nah beieinander stehen, dürften besonders wenig mit einander zu tun haben wollen: Das „Jewish Communications Network“ und der kanadische Neonazi-Ideologe und Holocaust-Leugner Ernst Zündel.
Beider Protest richtet sich gegen das Telekommunikations-Gesetz, das am 1. Februar vom US-Kongreß verabschiedet und vergangenen Donnerstag von Präsident Clinton unterzeichnet wurde. Die „Electronic Frontier Foundation“ spricht vom „Schwarzen Donnerstag“. Denn zu dem Gesetzeswerk gehört der sogenannte Communication Decency Act, der User, Online-Dienste, Internet-Provider und Mailbox-Betreiber gleichermaßen unter Strafandrohung stellt, wenn sie Dinge verbreiten oder zugänglich machen, die unter anderem „obszsön, lüstern, lasziv oder unanständig“ sind.
Internetaktivisten befürchten hemmungslose Zensur im Sinne der konservativen amerikanischen Familienwerte. Vom Wortlaut der neuen Bestimmungen nicht betroffen sind dagegen Leute wie Ernst Zündel. Der nach Kanada ausgewanderte Deutsche, unter anderem durch einen Auftritt in dem Film „Beruf Neo-Nazi“ bekannt geworden, versorgt von seinem Büro in Toronto Unbelehrbare in aller Welt mit revisionistischen Schriften, die den Holocaust als „jüdische Lüge“ verleugnen. Zündel ist auch im Netz aktiv: Anhänger (aber manchmal auch die taz) bekommen per E-Mail sein „Zündelgramm“ zugeschickt. Und auf seiner Homepage „Zündel-Site“ kann man die Verleugnung des Holocaust in immer neuen Varianten abrufen – auch in deutscher Sprache.
Vor zwei Wochen sperrte die deutsche Telekom deswegen ihren „T-Online“-Kunden den Zugang zu dem Server des Internet-Providers „Webcom“, auf dem die Zündel-Site liegt. Prompt vervielfachten sich die Zugriffe, zeitweise war die Adresse wegen Überlastung blockiert. Und im Internet brach ein Proteststurm los: In den Diskussionsforen des Usenets wird den Deutschen schon wieder Zensur vorgeworfen.
„Das Internet behandelt Zensur wie eine technische Störung: Es umgeht sie einfach“, heißt eine oft zitierte Redensart. Einige verstanden sie wörtlich. Sie übernahmen die Zündel-Site auf ihre eigenen Rechner, legten aber großen Wert auf die Feststellung, daß sie keine Neonazis seien, sondern nur das Recht auf freie Meinungsäußerung verteidigen wollten.
Rich Graves von der Organisation „Uncensored Internet“, der die Zündel-Site unter dem Namen „Revisionist-Lies“ zugänglich machte, schreibt in einem E-Mail- Interview: „Zündel ist ein Lügner, der Haß predigt. Darum muß man ihn direkt angreifen, statt ihm den Mund zu verbieten.“ Inzwischen hat Graves seinen Zündel-Mirror gelöscht, weil er glaubt, das Ziel erreicht zu haben: zu beweisen, daß das Internet nicht zensiert werden kann. „Trinkt ein Bier“, schreibt er, „und tanzt auf Hitlers Grab. Deutschland ist heute frei vom Naziterror. Ihr solltet eure Freiheit feiern, und solche totalitären Hanswurste auslachen, statt sie durch Verbote aufzublasen. Alle wissen, da Zündel lügt. Das deutsche Verbot mag gut gemeint gewesen sein, aber dadurch kann sich er nur als Opfer aufspielen.“
Sogar eine jüdische Holocaust- Gruppe teilt diese Ansicht: Die Organisation Nizkor (Hebräisch für: „Ich erinnere mich“), die ein Holocaust-Archiv im World Wide Web betreibt, hat selbst einen Link zu der Zündel-Site gesetzt. Ihre Begründung: „Gegen Zündels ,Hate Speech‘ hilft nicht Zensur, sondern nur ,More Speech‘. Man muß solchen Leuten widersprechen, statt sie zum Schweigen zu bringen.“ Nizkor hält sich daran, und widerlegt auf ihren Webseiten die revisionistische Propaganda Punkt für Punkt. Durch zähe Verhandlungen ist fast Unvorstellbares gelungen: Als Gegenleistung für den Link bei Nizkor steht nun auch ein Link zu der jüdischen Organisation auf Zündels Seite.
Soweit möchten nicht alle jüdischen Internetgruppen gehen. Das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Los Angeles hat eine „CyberWatch Action“ gestartet: Internet- Benutzer sollen dem Zentrum melden, wenn sie im Netz auf Nazi- Propaganda und „Hate Speech“ stoßen. Aber das Zentrum fordert ausdrücklich keine staatlichen Kontrollen. In einem Brief an 2.000 Internet-Provider betont Rabbi Abraham Cooper, daß niemand das Recht genommen werden darf, rechtsradikales Material zu lesen. Er schlägt den Providern nur vor, kein Material von Neonazis und Antisemiten anzunehmen oder anzubieten.
Die Reaktion war bisher eher zurückhaltend. Chris Schefler, der Besitzer des Providers Webcom, bei dem Zündel seine Propganda ins Netz einspeist, will nichts gegen ihn unternehmen: „Meine Großmutter ist in einem Nazi-KZ umgebracht worden, und wenn ich ein Hakenkreuz sehe, dreht sich mir der Magen um. Aber trotzdem wird Webcom nichts von dem, was auf unserem Server ist, überwachen, kontrollieren oder zensieren. Das erste, was die Nazis getan haben, als sie an die Macht kamen, war die Informationsfreiheit einzuschränken.“ Tilman Baumgärtel
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