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Sachsen: Kanal voll, Kasse leer

Landesregierung hat „sozialverträgliche“ Richtlinien für Abwassergebühren erlassen. Öko-Projekt: Laßt Schilf darüber wachsen  ■ Aus Dresden Detlef Krell

Die Gülle ist am Dampfen in Sachsens Gemeinden, und das seit Monaten. Vergangene Woche erließ das Kabinett eine Richtlinie für sozialverträgliche Abwassergebühren. Einkommensschwache Haushalte können danach ihren Beitrag für den Anschluß an die öffentliche Abwasserentsorgung aufschieben – für fünf Jahre, zum Teil sogar zinslos. Die Rechnung aber bezahlen die Gemeinden und Abwasserzweckverbände mit zusätzlichen Krediten. Das Land will für die Hälfte der dafür fälligen Zinsen aufkommen, schätzungsweise acht Millionen Mark.

Für das Umweltministerium erklärt Sprecherin Brigitte Manitz, „der soziale Sprengstoff ist weitgehend raus aus dem Thema.“ Carmen Lötsch, die Vorsitzende des Dachverbandes von 40 Abwasser- Bürgerinitiativen, mag diesen Optimismus gar nicht teilen. Auch in fünf Jahren bekämen viele Hauseigentümer das Geld nicht zusammen. Dieser Erlaß sei nur „ein erster, kleiner Schritt in die richtige Richtung“, und die heißt letztlich: Noch mehr Fördergelder. Dafür wollen die Bürgerinitiativen ab März wieder auf die Straße gehen. Wie im vergangenen Jahr, als Montag für Montag wütendes „Wir sind das Volk“ durch Glauchau, Kamenz und andere Städte schallte.

Hoch schlagen die Wellen, aber die Flut ist erst auf dem Weg; bis Ende 1995 wurden im Land Sachsen für den Anschluß an die öffentliche Abwasserentsorgung 25.545 Beitragsbescheide erlassen – jeder sechste wurde von den betroffenen Anrainern postwendend mit Einspruch zurückgesandt. Rund 600 Gemeinden und Verbände haben noch gar keine Bescheide herausgegeben.

Im ostsächsischen „Abwasserzweckverband Landwasser“ haben sich zum Beispiel vier Dörfer zusammengeschlossen. Es sind Straßendörfer; die 4.600 Grundstücke liegen zum großen Teil wie eine Perlenschnur an einer Hauptstraße. Der Hauptkanal mißt 18 Kilometer; am tiefsten Punkt steht die neuerrichtete Kläranlage. 70 Prozent der Höfe sind schon angeschlossen. Für den Quadratmeter Nutzfläche auf Haus und Hof sollen die Eigentümer einmalig 5,63 Mark löhnen, zudem sind für Abwasser pauschal pro Person und Monat 20,84 Mark zu berappen. „Die Anschlußgebühr ist bezahlbar“, hofft Geschäftsführer Horst Winski, „für die meisten Bürger mit Grundstücken bis etwa 1.500 Quadratmeter.“ Aber die schlechte Nachricht für alle größeren Grundstücke, das sind weit über 1.000, „schiebe ich vor mir her“, so Winski.

In der DDR war Land nie viel wert und Bauen von Beziehungen abhängig – so sind Grundstücke von 2.000 und mehr Quadratmetern Fläche im ländlichen Raum nicht selten. Heute werden diese Flächen als Bauland behandelt, auch wenn die EigentümerInnen darauf vielleicht nie ein Häuschen hinklotzen wollen oder können. In Großhennersdorf, Landkreis Löbau-Zittau, haben Bündnisgrüne und Umweltbibliothek eine „Grünzäsur“ durchgesetzt; damit sind mehrere Privatflächen im Interesse des Ortsbildes von jeglicher Bebauung ausgeschlossen. Trotzdem müßten die EigentümerInnen, so fordert es das sächsische Kommunalabgabengesetz, nun für ihren Gesamtbesitz zur Kasse gebeten werden.

Mit den „übergroßen Grundstücken“ verfahren die meisten Gemeinden inzwischen hart an der Kante des Gesetzes: Auf dem Papier wird das Land künstlich geteilt. Die Fläche jenseits des Trennstriches darf dann nicht mehr bebaut werden und zählt dafür auch nicht bei der Berechnung der Anschlußgebühr. „Einfache Bauplanung“ heißt dieses Verfahren. Hinter vorgehaltener Hand gestehen die BürgermeisterInnen, daß das wohl nicht so ganz mit dem sächsischen Kommunalabgabengesetz zusammenpaßt. Trotz unbürokratischer Maßnahmen bleiben viele Kommunen deutlich über den von der Landesregierung angepeilten acht Mark pro Kubikmeter Abwasser (siehe Kasten).

Sachsen setzte, wie die anderen neuen Bundesländer auch, von 1990 an zunächst auf große, zentrale Kläranlagen. Es war das Wahljahr der Blütenträume von weitflächigen Gewerbegebieten und blühenden Gemeinden. Bürgermeister waren nach den Kommunalwahlen froh, wenn ambitionierte Ingenieur- und Planungsbüros mit „Komplettlösungen“ an die Tür klopften. Als aber die ersten Horror-Rechnungen auf die Tische flatterten, kam die Ernüchterung. Im Landtag trafen, übrigens auf PDS-Initiative, 50.000 Petitionen erboster Grundstückseigentümer ein.

Die sächsische Abwasserpolitik ließ sich daraufhin auf sparsamere Kanäle ein. Zu diesem Zeitpunkt war die Gemeinde Weißkeißel (Oberlausitz) aus ihrem Abwasserzweckverband bereits ausgestiegen und auf das Schilf gekommen. Heute klärt eine „Phytofilt“- Anlage das Schmutzwasser von 400 Grundstücken, weitere 200 werden demnächst angeschlossen. Die mit Schilfpflanzen besetzte Festbettfilteranlage ist erweiterbar auf 1.000 Einleiter. Für jedes Grundstück waren im Durchschnitt 7.000 Mark Anschlußgebühr zu zahlen; der Kubikmeter Abwasser kostet 3,56 Mark. Zahlen, von denen andere Gemeinden träumen.

Abwasser-Touristen aus Thüringen und Sachsen/Anhalt haben die klärenden Schilfstengel schon besichtigt. Als Verbands-Mitglieder hätten die WeißkeißelerInnen für den Anschluß ihrer mühsam zusammengesparten und instandgehaltenen Bauernhäuser einen 15 Kilometer langen Kanal bis in die Kleinstadt Bad Muskau finanzieren müssen. Projektiert wurde die Schilfanlage vom Dresdner Büro „Öko Projekt Elbe Raum“, das ein Projekt des ostdeutschen Umweltverbandes Grüne Liga war und nun selbständig arbeitet. Geschäftsführer Markus Schrötter beobachtet zunehmendes Interesse an naturnaher Abwasserbehandlung, besonders in kleinen Gemeinden. „Die versuchen jetzt, Fehlentscheidungen zu korrigieren.“ Wie das Umweltministerium; dort gelten dezentrale Natursysteme als „genehmigungsfähig“, vorausgesetzt, sie kosten weniger als die Beton-Spinnennetze.

Praktiker Schrötter kommt mit seinen Schilf-Beeten dennoch nicht gut an in den Ämtern: „Dort dominiert weiter der Hang zu zentralen Lösungen.“ Ursachen sieht er in „allgemeiner Abneigung gegen naturnahe Technologien, aber auch in der Macht der Beton- Lobby und in der Abneigung, Neues zu probieren.“ So gedeihen die gülleklärenden Pflanzen bisher nur auf wenigen Inseln, als ob es Exoten wären.

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