: „Rechte Gefahr in keinster Weise ausgeräumt“
■ Hamburger Verfassungsschützer: Rechtsextremistische Straftaten nahmen zu Von Marco Carini
Keine Entwarnung: Nach Angaben von Reinhard Wagner, Vize- Chef des Hamburger Verfassungsschutzes, hat sich die Zahl der Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund in der Hansestadt im vergangenen Jahr weiter erhöht. Registrierten die Verfassungsschützer 1993 insgesamt 397 solcher Straftaten, waren es 1994 bereits 424 Delikte.
Darunter: Körperverletzungen, Brandstiftungen, aber auch angezeigte Beleidigungen gegen ausländische MitbürgerInnen und erklärte AntifaschistInnen. Tötungsdelikte oder versuchte Tötungen mit rechtsextremem Hintergrund kamen 1994 nicht vor, dafür stieg die Zahl der bekannt gewordenen Körperverletzungen von 40 in 1993 auf 44.
Allerdings hätten nicht alle Gewalttaten, die möglicherweise von rechtsextremen Tätern begangen wurden, aufgeklärt werden können. Da die Verfassungsschützer jedoch „keine Spekulationen“ in ihre Statistiken einflechten könnten, läge die Zahl der entsprechenden Straftaten „möglicherweise noch höher“.
Darüberhinaus beobachteten die Verfassungsschützer 1994 vor dem Hintergrund der beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Verbotsanträge gegen die Nationale Liste (NL) und die FAP eine deutliche Umorganisation der neonazistischen und rechtsextremen Szene in Hamburg. Wagner: „Die Tendenz geht in Richtung raus aus diesen Organisationen, hinein in kleinere Zirkel, die über Mailboxen und Infotelefone miteinander vernetzt sind“. Ziel dieser Umstrukturierung sei es, sich der staatlichen Überwachung zu unterziehen.
Auch wenn es in Hamburg eine dramatische Zunahme rechtsextremistischer Gewalttaten im vergangenen Jahr nicht gegeben hätte, befürchtet das Landesamt für Verfassungsschutz eine zunehmende Militarisierung der rechtsextremen Szene. Wagner: „Nach unseren Erkenntnissen müssen wir davon ausgehen, daß diese Gefahr in keinster Weise ausgeräumt ist“. Hamburgs Verfassungsschutz-Chef Ernst Uhrlau hatte bereits in der Verganggenheit wiederholt vor der Gefahr einer „braunen RAF“ gewarnt. Nach Erkenntnissen seines Amtes gebe es zumindest eine verstärkte „theoretische Auseinandersetzung mit der Notwendigkeit eines bewaffneten Kampfes“ und „terroristischen Konzepten“ unter Hamburgs Rechtsextremisten.
Nach Angaben von Reinhard Wagner sei bundesweit zu beobachten, daß „rechtsextreme Straftäter immer jünger“ würden. Fast 80 Prozent der ermittelten Täter seien unter 20 Jahre alt gewesen. Unter Kindern und Schülern kursierten immer häufiger fremdenfeindliche Computerspiele und Disketten.
Zwar sei die Zahl rechtsextremer Gewalttaten im vergangenen Jahr bundesweit von 2232 auf 1345 zurückgegangen, doch hätten die antisemitischen Delikte zugenommen. Das Bundeskriminalamt verzeichnete im vergangenen Jahr 1147 Straftaten gegen Juden oder jüdische Einrichtungen – darunter der Anschlag auf die Lübecker Synagoge. Ein Jahr zuvor waren es 656, 1991 gar „nur“ 367 gewesen.
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