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Seelust und Leid

In allen Stufen des Schmerzes treiben Schiffbrüchige auf einem Floß: 1819 errang Gericault mit seinem 5x7 Metern großen Bild „Das Floß der Medusa“ einen Skandalerfolg auf dem Pariser Salon. Mit 4x5 Metern nähert sich das in der Galerie Cato Jans gezeigte neue Seestück von Zvika Kantor – allerdings als über drei Meter hohe Holzplastik – den traditionellen Dimensionen. Der 40jährige, in Israel geborene Hamburger Künstler zeigt eine moderne, mehrfach gebrochene Version von Seelust und Leid. Und das passt zufällig in den maritimen Kontext, der im Kunstverein nebenan von Elmar Hess beschworen wird.

Zvika Kantors raumfüllende Installation zeigt eine große, hölzerne Klappkarte, der in der Mitte ein auf den Wellen tanzendes, besegeltes Floß entspringt. Doch ein einsamer Schuh und die starre Verbindung der dazu vorgestellten Person zum Ruderblatt legt nahe: diese Segelfahrt im bunten Licht ist nicht die reine Freude, die Gefahr des Scheiterns in Seenot ist allgegenwärtig. Die Szene wäre zudem durch Zusammenklappen zum Verschwinden zu bringen. Kühn interpretiert ist das auch eine Metapher für die Kunst selbst: Spaß, Scheitern und ab in die Einsparungsecke.

Durch Zusammenklappen entstehen auch die achsensymmetrischen Formen des psychologisch genutzten Rohrschach-Tests: So wie dabei die Probanten den Formen Bedeutung geben müssen, läßt auch Zvika Kantor für sein „Sehstück“ die begründbare Vermutung als legitimes Mittel der Sinnerzeugung zu. Denn von erklärenden Worten hält er nicht viel. So bleibt der in unpretentiösen Materialien (Presspappe und Kantholz) spielerisch vorgetragene Mythos den Vorstellungen des Betrachters offen. Was nebenan im Kunstverein nicht gelingt, ist hier erreichtes, notwendiges Ziel der Bemühung: eine autonome, moderne Plastik.

Hajo Schiff

Cato Jans „Der Raum“, Galeriehaus Klosterwall 19-21, Di – Fr 9.30 – 12 und 16 – 18 Uhr, bis 16. März.

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