: Vier Tote auf meinem Weg
Oliver Stone erzählt in „Nixon“ (Wettbewerb) mit Tiefenschärfe von Aufstieg und Fall des großen Tricksers und 37. Präsidenten der USA ■ Von Christian Semler
Der Alte von San Clemente hatte wenig Illusionen hinsichtlich des Urteils, das die Geschichte über ihn fällen würde. Ein paar Jahre vor seinem Tod sagte Richard Nixon: „Die Jury ist schon zurück im Gerichtssaal, ihr Spruch schon verkündet. Es gibt keine Berufung. In den Geschichtsbüchern wird nicht stehen, das war der Mann, der in China war, sondern, das war der, der aus dem Amt gejagt wurde“.
Richard Nixon hat sich geirrt. Er hat seinen Fall um zwanzig Jahre überlebt, das reichte. Das Bild des zynischen Schurken verschwamm. Nixon, der elder statesman, schrieb acht erfolgreiche Bücher, Politiker aus aller Welt posierten an seiner Seite. Als er 1994 starb, hielt Bill Clinton die Trauerrede. Derselbe Clinton, der gegen Nixons Krieg in Vietnam demonstriert und dessen Frau in dem Stab mitgearbeitet hatte, der das Impeachment-Verfahren gegen den Präsidenten auf den Weg brachte. Also doch: „For some, there can be life after hell“.
Und jetzt wird diesem Mann, der bei all seiner Paranoia, seinen Wutanfällen und tränenreichen Rechtfertigungen ein fischblütiger Machttechniker war, posthum auch noch zu einer Seele verholfen. Wenn wir künftig Nixon vor uns sehen, wird es nicht die spitznasige, windige Figur der realen Welt sein, sondern der massige, unglaublich sensitive, überwältigend präsente Schauspieler Anthony Hopkins in dem „Nixon“-Film von Oliver Stone. Hopkins sieht nicht wie Nixon aus, spricht anders, bewegt sich anders. Er krümmt den Rücken, redet schmeichlerisch auf seine Opfer ein wie Richard, Duke of Gloucester, der nachmalige Richard III, Shakespeares schwarzer Held. Aber Hopkins Nixon, das ist nicht nur Richard des Dritten Machiavellismus und Vergottung der Macht sondern mindestens ebenso Verzweiflung und Frustration. Sehnsucht geliebt und Gewißheit, gehaßt zu werden.
Hopkins Nixon steht im Bann zweier übermächtiger Bilder. Sie starren, als abscheuliche Gemälde, von den Wänden des Weißen Hauses abweisend auf ihn herunter, verfolgen ihn, sind Zeugen seines aussichtlosen Versuchs, sich aus der Watergate-Falle zu befreien. Es sind Honest Abe Lincoln, der die Einheit der Nation rettete, so wie Nixon die USA am Rande des Bürgerkriegs retten wollte, um sie doch immer tiefer zu spalten. Zu Füssen des riesigen marmornen Übervaters im Lincoln Memorial wird Hopkins Nixon in eine Diskussion mit jugendlichen Vietnamkriegs-Gegnern verwickelt. „Ich will den Frieden“, sagt er, „den ehrenhaften Frieden“. „Aber das System“ antwortet eine Studenten, „ist stärker als Sie“.
Das System! Paradoxerweise fühlt sich Nixon verstanden. Für ihn ist Kennedy das System, und er kommt keinen Augenblick lang von ihm los. Kennedy ist der Inbegriff all dessen, was er haßt und wonach er sich sehnt: Der Sproß des Ostküsten-Establishments, reich von Geburt an, blendend aussehend und vor allem – geliebt von den Massen. „Wenn sie Dich anschauen“, sagt Nixon dem verhaßten Portrait im Weißen Haus, „dann sehen sie, was sie sein wollen. Wenn sie mich anschauen, dann sehen sie, was sie sind“.
Oliver Stone hat erfolgreich zwei der Obsessionen bekämpft, die seine bisherigen Filme, vor allem den über J.F. Kennedy, so angreifbar machten: den Drang zum Manichäismus, zu einer Good Guy/ Bad-Guy-Vision der Welt, und die Liebe zum Komplott. Ganz freilich kann Stone sich doch nicht von seiner Lieblings-Verschwörungstheorie befreien. Nixon weiß bei ihm um ein schreckliches Geheimnis: der Plan zur Ermordung Fidel Castros, ein CIA/ Mafia-Projekt, das irgendwie aus dem Ruder lief und schließlich Kennedy tötete. Stone hat diese durch keinerlei Fakten erhärtete Story seinem Kennedy-Film entlehnt. Aber „Nixon“ hat solche psycholgischen Klammern nicht nötig. Wir glauben auch ohne dunkle Geheimnisse, daß Nixon- Hopkins an den toten Kennedy gefesselt ist und bleibt.
Die Verwandlung Nixons in Hopkins betreibt Oliver Stone mit Mitteln, die bei anderen Regisseuren nur unerbetenes Gelächter hervorrufen würden. Rigoros ersetzt er im dokumentarischen Material Tricky Dicky durch Hopkins. So in der wahlentscheidenden Fernsehdiskussion 1960 mit Kennedy, wo ein dunkler, nicht weggeschminkter Bartschatten dem historischen Nixon zum Verhängnis wurde, während Nixon-Hopkins sich bei der Kuba-Affäre (!) verheddert. So am Beginn seiner Karriere, während des antikommunistischen Furors der Nachkriegszeit. Der Ausschuß für unamerikanische Umtriebe tagt, und jetzt ist es Hopkins, der als Gehilfe McCarthys den Menschenfreund Alger Hiss des Meineids überführt. „Die Lüge“, erklärt der Wahrheitsspezialist triumphierend, „die Lüge hat ihm das Genick gebrochen“. So schließlich auf dem Nominierungskongreß der Republikaner 1968, wo Nixon-Hopkins vor einer frenetisch-begeisterten Menge das Programm der „silent majority“ verkündet.
Virtuos auch die Montage von Spiel und Dokumentation bei Nixons Unterredungen mit den Großen dieser Welt, allen voran mit dem Vorsitzenden Mao. Gesprächsfetzen in schneller Schnittfolge, die amerikanischen Besucher entgeistert angesichts der Mischung aus brachialer Offenheit, Zynismus und Zoten, mit denen sie der Große Steuermann überhäuft. Aber selbst hier, wo Geschichte auf der Schichtl-Bühne abgehandelt wird, gönnt Stone uns kein bißchen ironische Distanz. Er packt uns bei unserenvoyeuristischen Bedürnissen, dem übermächtigen Verlangen, durchs Schlüsselloch zu gucken, wenn die Staatenlenker Schicksal spielen. Seine Montagetechnik zielt auf Suggestion. Befreiendes Gelächter ist nicht vorgesehen.
Richard Gloucester betritt als fertiger Schurke die Bühne. Stones Nixon hingegen hat Kindheit und Jugend, in Schwarz-Weiß. Das bitterarme, stolze, fromme, das ländliche Amerika der dreissiger Jahre, das Amerika John Fords. Der hart arbeitende überstrenge Vater, die abgehärmte, edle, allwissende, schon fast zu Gott entrückte Mutter, die ihrem Präsidentensohn noch als mahnendes, schwarz-weißes Gespenst erscheinen wird, wenn er sich mit immer neuen Lügen der Justiz entwinden will. Drei Söhne, von denen zwei sterben, so daß für den kleinen Richard der Weg frei wird zur höheren Schule und zur Universität, einer Durchschnittshochschule, wo der schmächtige Student von den kräftigeren, wohlbetuchteren Studenten rumgeschubst wird. „Vier Tote haben meinen Weg nach Oben geebnet“, sagt der 37. Präsident der USA bei Stone, „meine beiden Brüder und die beiden Kennedys“. Was als psychologischer Hintergrund gedacht war, wird zum Material der Mythenbildung, zur Reise ins Innere des amerikanischen Traums. Hätte Tricky Dicky doch nur auf seine Mamma gehört und hätte er ferner das Versprechen eingehalten, das er 1962 seiner Frau Pat gab: der Politik Adieu! zu sagen. Wie die meisten amerikanischen Helden ist Hopkins-Nixon verloren, als er sich trotzig diesen Funktionärinnen des amerikanischen Über-Ichs entgegenstellt. Die Hybris ereilt ihn.
Stone hat in „Nixon“ ein immenses Faktenmaterial auf drei kunstvoll ineinander verschlungene Zeitebenen (Kindheit, Karriere, der Kampf gegen das drohende Impeachment) verteilt, der Angelpunkt seines Unternehmens aber bleiben die letzten Tage Hopkins-Nixons im Weißen Haus. Von der dräuenden Katastrophe her bezieht der Film Drive und Zusammenhalt. Vergebens mögen die vormaligen Helfershelfer des Präsidenten heute einwenden, sie hätten mehr und anderes zu tum gehabt, als ein Verbrechen zuzudecken. Stone ordnet Nixons Personnage auf suggestive Weise dem Cover-Up zu: den eiskalten, brachialen Haldemann, Ehrlichmann, den sentimentalen Zyniker, die ganze sinistre Schar. Nicht zu vergessen unter Nixons „Deutschen“ der Einflüsterer mit dem rollenden fränkischen Err: Henry Kissinger, Sicherheitsberater, dann Secretary of State. Der Intelektuellenverächter und Metternich-Fan leistet ganze ideologische Arbeit. Als Nixon, in ein blutiges Steak schneidend, sich des Massakers bewußt wird, das die Nationalgarde an Studenten der Universität Kent Tags zuvor angerichtet hat, richtet er seinen verzagten Chef wieder auf. Zum Schluß beten sie sogar noch zusammen. Aber der Gott des alten wie des neuen Testaments kennt kein Erbarmen.
Eigentlich sollte uns nach dieser dreistündigen, konzentrierten Demonstration Stones nachträglicher Schrecken befallen. Sind die USA, die Führungsmacht des Westens, sechs Jahre lang von einer Gangsterbande regiert worden? Droht Wiederholungsgefahr? Doch statt zu zittern, sind wir hingerissen. Warum bloß? Vielleicht, weil bei uns noch dem offensichtlichsten politischen Skandal rechtzeitig die dramatische Spitze abgebrochen, weil bürokratisch kleingearbeitet und dann geschwiegen wird. Wo ist der deutsche Thriller, der Willy Brandt Sommer 1974 im Würgegriff Herbert Wehners zeigt? Armes teutsches, reiches amerikanisches Kintopp.
„Nixon“. USA 1995, 190 Min. Regie: Oliver Stone. Mit: Anthony Hopkins, Joan Allen, Powers Boothe, Ed Harris, Bob Hoskins
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