: Heißa, was für eine Welt!
■ Schlicht und einfach: Beim 2:1 in Portugal deuten die deutschen Fußballer einen Mix aus handwerklicher Präzision, kreativen Kräften und Vogtsschem Charakter an
Schlicht geheißen zu werden, ist freilich nicht jedermanns Sache. Von schlicht nach tumb ist es manchmal nicht weiter als, sagen wir, von Korschen- nach Kleinenbroich. Trotzdem sollte man, bei allem Wissen um die Anlage des deutschen Fußballs und seiner Rezeption anderswo, nicht aufstöhnen, sondern aufmerken bei folgender Analyse der portugiesischen Fachblattes A Bola. „Portugal“, heißt es da über das mittwöchliche 1:2, „konnte der Kraft und der Schlichtheit des deutschen Fußballs nicht widerstehen.“
Das mit der Kraft kommt immer, interessanter ist die Frage nach der Konsistenz erwähnter Schlichtheit.
Die Grundlage dieses Erfolgs ist jedenfalls – bedauerlicherweise oder auch nicht – Arbeit, harte Arbeit. Insofern ist es auch mehr als nur dahingesagt, wenn Bundestrainer Berti Vogts (49) nach dem in Porto Erlebten sehr zufrieden gesagt hat: „Der Charakter der Mannschaft gefällt mir.“ Der Charakter der Mannschaft nämlich, das mag andere besorgt stimmen, nähert sich im Moment dem Charakter seiner Führungskraft an.
Beweise? „Verbissen“ hat Vogts die Seinen im Estadio das Antas kämpfen sehen. Kein Wunder. Die Hatz um die 22 Renommee-Plätze is on, und wer jetzt zurückzieht, ist womöglich nicht englandtauglich. „Wir sind aggressiv, na klar“, sagt, dazu befragt, Andreas Möller, „sonst wird das nichts im internationalen Fußball.“ Es ist dies ein taktisches Mittel, das zu „fast übertriebener Härte“ (Vogts) führte. Im nicht abgepfiffenen Fall brachte diese Aggressivität in Verbindung mit einem laufintensiven Forechecking jene Ballgewinne, die üblicherweise zugestellte Planquadrate auch einmal überwindbar machen.
Damit es soweit kommt, braucht es allerdings noch die Verschmelzung von Schnelligkeit und kreativer Kraft, wie sie auf beeindruckende Weise beim deutschen 1:0 offenbar wurde (14.). Ziege besorgte das Gerät, Möller rannte nach links, Klinsmann nach rechts, und Häßler spielte den Ball nicht da hin, wo die Lücke vermeintlich war, sondern dorthin, wo sie sich mit dem Lauf des Balles und den flinken Schritten Möllers auftat.
Für Vogts war dies „ein Traumtor“, das 2:1 (65.) wohl kaum weniger, da ebenfalls eine Coproduktion jener zwei, die er ausersehen hat, jenes Extra beizusteuern, das die Arbeit zu einer meßbar erfolgreichen macht. „Icke ist mehr der Vorbereiter“, sagt hierzu wieder Möller, „ich bin der Vollstrecker.“ Und was ist Mario Basler? Draußen, auch wenn in Porto kurz auf dem Rasen. Obacht, Mario! Jenes „große, große Kompliment“, das Vogts seinem Möller gemacht hat, galt weniger den Treffern als der Tatsache, „wie er gearbeitet hat, wie er zugestellt hat“.
Was den Gegner und dessen Stärken betrifft: Auch wenn Vogts darauf hinweist, es gebe „keine Freundschaftsspiele mehr“, hat Antonio Oliveira es sich erlaubt, viel zu testen, ein paar Stammkräfte gleich ganz wegzulassen, dazu sechsmal auszuwechseln. Die Portugiesen, WM-Gruppengegner der Deutschen und EM-Mitfavorit, spielten auch zügig und direkt. So zügig und direkt es eben geht, wenn man zu agieren versucht. Was Oliveira nachdenklich stimmen mag: Er ließ zunächst mit drei Leuten angreifen und schuf damit im rechten Mittelfeld jene Lücke, die Ziege bei Möllers Treffer zupaß kam. Und fast noch mal entscheidend, als erneut Ziege grätschte, wieder Häßler Möller losschickte, doch der Baias Tor knapp verfehlte (41.).
Auch das 1:1 der Portugiesen fiel im übrigen aus einer schnellen Gegenbewegung, bei der sich Babbel hinter Folha stehend fand und Kohler Klärung nur antäuschte, doch nicht mehr auszuführen verstand. Der Bundestrainer sah, daß seiner Abwehr „hier die Spielpraxis noch gefehlt hat“, auch noch das eine oder andere Mal und selbst seinem Vor- der-Abwehr-Chef. Macht nichts, sagt Matthias Sammer: „Die Art und Weise hier war schon okay.“ Jene interessiert den Cochef, ansonsten will er „gar nicht über Namen“ nachdenken. Was das betrifft: Dreieinhalb Monate vor der EM hat Vogts ziemlich klare Vorstellungen, wer für was zuständig sein wird. Was er gerade noch macht, sind Feinarbeiten. Da wird eine mutmaßliche Ergänzung wie Jörg Albertz (27) ausgesiebt („okay, HSV ist eben etwas anderes“), die andere namens Oliver Bierhoff (27) wegen erwiesener Stärke in der Luft und als Ballgewinner wohl weiter vorgeladen.
Überhaupt und grundsätzlich: „Der eine ist für den anderen da, man respektiert sich“, sagt Vogts über sein Team und dessen derzeitige Stärke. Dem einen oder anderen mag das etwas schlicht vorkommen. Der soll mal nach München schauen, wo, wie der davon deutlich mitgenommene Kapitän Klinsmann weiß, „immer noch Krisenbewältigung ansteht“.
Dort ist Chaos, niemand für den anderen da, keiner respektiert sich. Und mittendrin Lothar Matthäus. Und hier ist, heißa!, die Ahnung einer besseren Welt. Wer Vogts auf seinem Weg in die Kabinen hat heiter strahlen sehen, der kann ihm nur wünschen: Möge sie Bestand haben! Peter Unfried
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen