■ Normalzeit: Nachwuchsforschung
Im „Samira“, der ältesten Pizzeria Kreuzbergs, die einem arabischen Konsortium gehört, das noch die „Stiege“ und zwei italienische Restaurants sowie ein Reisebüro in der Wiener Straße betreibt, lese ich gerne die dort ausgehängte Bor-Sign: die Schülerzeitung der Borsig-Realschule am Lausitzer Platz. Von der Multikulturalität der Bor-Sign kann die taz nur träumen. Im letzten Heft z.B.interviewte eine Türkin aus der zehnten Klasse eine Bosnierin, die gerade in ein Mädchenwohnheim gezogen war, weil sie sich nicht mehr mit ihrer Mutter verstand. Im Wohnheim bereitet sie sich aufs Gymnasium vor. Im neuen Heft geht es u.a. um das „Mutter-Kind-Projekt ,Leben lernen e.V.‘“, in dem Mütter zwischen 15 und 20 Jahren wohnen und die Betreuerinnen alle Aufgaben gemeinsam übernehmen: „es gibt keine Chefin“. Die Redakteurin, Olumide Ogunye (10b) weist außerdem darauf hin, daß „jede Mutter und jedes Kind zum Geburtstag und zu Weihnachten Geschenke bekommt“. Ihr Klassenkamerad Zeynep beantwortet Fragen zum Thema „Liebe, Sex und Zärtlichkeit“ – etwa ob man durch Petting schwanger werden kann.
Von allgemeinerem Interesse ist dagegen die Doppelseite „Damon Hill und Michael Schumacher – im Vergleich“. Hill z.B. hat Volksschulabschluß, Schumi dagegen Realschulabschluß und ißt am liebsten Pasta, weiß der Autor Mathias Gerent. Eher bescheiden nehmen sich dagegen die Porträts dreier neuer Lehrer aus dem Osten aus: „Wir wollten sie wenigstens einmal kurz vorstellen“, heißt es schon in der Überschrift. Über den Treptower Edgar Perlick berichtet Yvonne Hardwieger nicht viel mehr, als daß dieser die Frage, „ob er sich in unserer Schule eingelebt habe“, bejahte.
Ungewöhnlich ist der ganzseitige „offene Brief“ des Schul- „Snackbar-Teams“ Emine, Senay, Songül, Boris, Arzu, Selda, Jacqueline und Andrea. Sie wenden sich gegen einen Artikel aus der letzten Bor-Sign, in dem ihnen u.a. vorgeworfen worden war, Lehrer und Freunde bevorzugt zu bedienen: „Vier Lehrer haben ein Brötchen-Abo, alle anderen stehen brav an, auch unsere Freunde werden nicht bevorzugt behandelt.“ Außerdem gibt das Team zu bedenken, daß „viele sich überhaupt nicht vorstellen können, welche Arbeit in der Snackbar steckt“. Und die Elternvertreterin Petra Lavy beschreibt, wie sie mit anderen Eltern und Schülern aus dem Schul- Papierdepot einen „gemütlichen Billardraum für den Unterrichtsausfall bei schlechtem Wetter“ machte.
Mit ihrem Artikel über den „Zirkus Chabuwazi“ sind mir die Autorinnen Stefanie und Roswitha Majchrzak zuvorgekommen: Eigentlich wollte ich mich deswegen schon lange mit dem Betriebsratsvorsitzenden von Krupp, Karl Köckenberger, treffen, der 1993 – für seine Kinder und deren Freunde – den „chaotisch bunten Wanderzirkus“ (Chabuwazi) gründete. Im letzten Jahr tourte der Kinderzirkus durch Mexiko und spielte dort zur Unterstützung der Zapatistas. Karl erzählte mir hinterher sehr schöne Geschichten darüber.
Eine der Autorinnen nun, Stefanie, gehörte selber drei Jahre zur Zirkustruppe, sie erwähnt die Mexiko-Tournee jedoch nur beiläufig: „Die Kinder spielten (dort) fast täglich für irgendwelche reichen Leute, die ihnen dann hinterher Spenden gaben, und so wurde die Reise zu einem großen Erlebnis.“ Helmut Höge
wird fortgesetzt
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