: Scharfe Schnitte Nr. 331
■ "Jung, ledig sucht ..." Mit einer neuen Dating-Show will Kabel1 Anschluß an die Quoten von "Herzblatt" und den Zeitgeist der hippen Compuserver finden
Es gab im WDR einmal eine Reihe, die hieß „Spätere Heirat nicht ausgeschlossen“. Da saß Reinhard Münchenhagen („Je später der Abend“) in einem kargen Studio, neben ihm Annette R. oder Hermann K. oder Ingeborg G., vor ihm die Kamera und hinter dem Bildschirm ein stummes Publikum unbekannter Größe. Annette, Hermann und Ingeborg suchten unter den Zuschauern einen Partner fürs Leben. Das war etwas Neues, das war verwegen, das war modernes Fernsehen.
Behutsam fragte Münchenhagen seine Gäste nach ihren Vorstellungen vom Leben, von der Liebe und Gott und der Welt. Vielleicht war Annette Postangestellte aus Münster, 53, geschieden und tierlieb. Oder Hermann, 46, Montagearbeiter aus Düren, beziehungslos, weil zu oft unterwegs. Oder Ingeborg kinderlos, weil unfruchtbar. Es waren mutige Menschen, die sich da der Kamera stellten. Sie meinten ihre Sache ernst, und man erfuhr – Münchenhagen sei Dank – sehr viel von ihnen. So viel, daß es auch interessant war, die Sendung zu gucken, wenn man gar nicht heiraten wollte.
Auch „Jung, ledig sucht ...“ ist nicht wirklich für Singles gemacht. Wenn überhaupt, dann für Singles, die Singles bleiben wollen. Maik Nötter präsentiert vielmehr ein Lebensgefühl, für das sein Sender Kabel1 viel Geld auszugeben bereit ist: Das Lebensgefühl der Jungen, Ledigen, die sich als lukrative Werbezielgruppe vor allem in Markenartikel verlieben sollen. Und so präsentiert er seine Gäste wie leckere Schokoriegel: „Hier ist sie, die scharfe Schnitte! Ein Applaus für Connie, die Nummer 331“. Connie, so haben wir in einem 90-Sek.- Spot erfahren, liebt Elefanten, Fernreisen, Kabarett und ihre Hündin. Und Connie würde zu Greenpeace gehen, „wenn ich mehr Mut hätte.“ Das gefällt einem jungen Winzer, der nämlich einen Rüden hat. Deshalb wählt er noch während der laufenden Show Connies Telefonnummer (0221-777331) und balzt ein wenig durch die Datenleitung. Er hätte auch einen Loveletter faxen können, oder sich mit per Compuserve-E-Mail einklinken können. Denn „Jung, ledig sucht ...“ ist modernes, schnelles, junges Fernsehen. So ungefähr könnte es ablaufen, wenn nach etlichen Probeläufen heute die erste ausgestrahlte Show auf Sendung geht.
Wie gut solche Dating-Shows ankommen, hat die ARD längst unter Beweis gestellt. Mit „Herzblatt“ fährt man sei Jahren beachtliche Quoten ein. Eine „spätere Heirat“ ist hier wie dort ausgeschlossen. „Scharfe Schnitten“ heiraten nicht. Scharfe Schnitten lieben Elefanten. Scharfe Schnitten kann man vernaschen. Wohl bekomm's. Kabel1. Klaudia Brunst
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