piwik no script img

Lafontaine, der große Integrator

Vom klaren Oppositionskurs, den der SPD-Vorsitzende bei seiner Wahl versprach, ist nichts zu spüren. Er setzte in seinen ersten hundert Tagen parteiintern auf Ausgleich und Konsens  ■ Aus Heidelberg Karin Nink

Bonn (taz) – Stürmischer Beifall der mehr als 3.500 Zuhörer in der Sporthalle in Heidelberg-Eppelheim. Bravorufe erfüllen den Saal. Gerade hat SPD-Fraktionschef Rudolf Scharping mit neugewonnener Bissigkeit den „Meister der Schulden“, Theo Waigel, angegriffen, als Parteichef Oskar Lafontaine die Bühne betritt. Wem von beiden der Saal zujubelt, bleibt offen. „Die zwei sind ein gutes Tandem: Oskar pfiffig und aggressiv für die Jungen und Scharping als Solider der Mann für die Älteren“, so erklärt ein Genosse den Jubel.

Soviel Applaus erhält der Rhetoriker aus dem Saarland erst wieder am Ende seiner Rede. Zunächst quält er die SPD-Anhänger mit einem Parcours durch die europäische Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik. Mit ein paar zusätzlichen Zahlen gespickt, hätte die Rede auch vom peniblen Scharping stammen können: Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, Europäische Währungsunion, Sicherung der Sozialkassen et cetera. Vehement setzt sich Lafontaine für ein europäisches Bündnis für Arbeit ein. Nur so und nicht in nationalstaatlichen Alleingängen könne die Massenarbeitslosigkeit bewältigt werden. Selbstverständlich fehlen in seiner Rede auch nicht die „Brücke ins Solarzeitalter“ und die ökologische Steuerreform.

Nach und nach läßt sich der SPD-Chef von seinen eigenen Worten hinwegtragen, wächst Zentimeter für Zentimeter über das Rednerpult hinaus, mit Gestik und Mimik das Gesagte unterstreichend. Lafontaine widerspricht einer Militarisierung der Außenpolitik und redet dem Pazifismus als politischem Entwurf das Wort. Am Schluß springt der Funke über: Oskar verkündet den „engagierten Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen“ ihre Vision. Auch als er von der „Friedenspolitik von Willy Brandt und Helmut Schmidt“ spricht.

Lafontaines Rede in Eppelheim ist typisch für den neuen Stil des SPD-Chefs. Abgesehen von seinem Treffen mit dem Chef der PDS-Gruppe im Bundestag, Gregor Gysi, ist der unstete Polarisierer in die Rolle des Integrators und Programmgestalters geschlüpft. Diese neue Handschrift war bereits im Dezember bei der Neuverteilung der Aufgaben in der SPD- Führung lesbar: Fraktionschef Scharping, mit dem er vieles abspricht, stellte er an die Spitze der außenpolitischen Kommission. Er rehabilitierte den von Scharping als wirtschaftspolitischen Sprecher geschaßten Gerhard Schröder. Manfred Stolpe lenkt seitdem das Forum Ostdeutschland. Der als eifriger Sonnenenergie-Verfechter bekannte Hermann Scheer leitet das Umweltforum, und der nicht gerade als links verschriene Henning Voscherau ist mit der Finanzpolitik vertraut. Alle, die für die 21 Foren und Kommissionen verantwortlich sind, haben politische Grundsatzarbeit zu leisten. In der „Kommission 2000“ will der Chef persönlich dem Ganzen einen Rahmen verpassen.

Doch nicht nur in der „Baracke“ herrscht Ruhe. Lafontaine hat auch bei der SPD-Bundestagsfraktion Punkte gemacht. Die Abgeordneten standen dem neuen Spitzenmann ursprünglich mit großer Skepsis gegenüber, hatten sie doch befürchtet, daß sich nun der Konflikt zwischen den Länderchefs mit ihrer Bundesratsmehrheit und der Fraktion weiter zuspitze. Doch bisher hat der Saarländer das verhindert. „Selbst die konservativen Seeheimer sind nicht mehr am Knatschen“, wundert sich ein Fraktionsmitglied.

Lafontaines eigene Bilanz nach drei Monaten fällt „zufriedenstellend“ aus. Schließlich zeigen neue Umfragen, daß die SPD sich mit einer Zunahme von 5 Prozent wieder bei 34 Prozent eingependelt hat. „Fragen Sie mal die FDP, was fünf Prozent sind!“ witzelt der Parteichef und verschweigt geflissentlich, daß Scharping trotz aller Querelen im vergangenen Sommer noch auf ähnlich viel Zustimmung stieß.

Einen furiosen Start hat Oskar Lafontaine nicht geboten. Weder ist ein Linksruck zu spüren, noch ist es ihm gelungen, der Partei ein klares Profil zu verpassen. Und Parteipositionen, die zuvor klar schienen, hat er in Zweifel gezogen. Erinnert sei an seinen mißglückten ersten Auftritt vor der Bundespressekonferenz, bei dem er eine Verschiebung der Europäischen Währungsunion und eine gewisse Neuverschuldung des Staates zur Konjunkturbelebung nicht ausschloß. Prompt kam die Kritik aus den eigenen Reihen. Auch sein erster Bundestagsauftritt bot Peinlichkeiten. So lobte er den erfolgreichen Kampf der US-Regierung gegen die Arbeitslosigkeit und mußte sich prompt fragen lassen, ob er nun auch für amerikanische Dumpinglöhne plädiere. Nicht nur der Koalition gab er damals Anlaß zum Spott.

Nicht weiter verwundert, daß die Bündnisgrünen eine Große Koalition wittern, wenn Lafontaine sich um eine klare Aussage zugunsten von Rot-Grün drückt, der Bundesregierung aber immer wieder signalisiert, daß er zur Kooperation bereit sei. „Noch schwankt er zwischen Ladenhütern und Modernisierungsdebatte“, kritisiert die Sprecherin des Bundesvorstandes, Krista Sager.

Die Regierungskoalition muß sich also noch nicht – wie Oskar Lafontaine ihr in Mannheim angedroht hatte – „warm anziehen“. Dennoch, für die GenossInnen an der Basis ist „Oskar“ auf dem richtigen Weg. Denn er weiß immer noch, wo er sie packen muß. „Zugabe!“ riefen sie am Schluß in Eppelheim.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen