piwik no script img

Der homosexuelle Mann ... Von Elmar Kraushaar

... liebt die Frauen. Und ganz besonders die Mütter. Die Auswahl ist groß, so viele drängen sich um den Titel. Da gibt es die „Schwulenmuttis“, die ihm als beste Freundin zur Seite stehen, seine Lokale führen oder die Tränen trocknen, wenn alle Männer ihn verlassen haben. Es folgen die Diven, die Zarah Leander heißen, Edith Piaf oder Judy Garland. An ihren gebrochenen Größen richtet er sich auf noch in tiefster Not. Aber die einzige und allerbeste Mutter ist für ihn – so will es die Legende – noch immer die leibliche. Sie läßt ihren Sohn nicht fallen, versteht, was der Vater sich weigert zu akzeptieren und nimmt alle seine Liebhaber an als Schwiegersöhne, so wie sich das gehört.

Mit dieser Bilderbuchgeschichte der großherzigen Mamma räumte letzte Woche Federico Salvatore auf. Der neapolitanische Kabarettist ging beim 46. Musikfestival in San Remo mit einem Homo-Lied ins Rennen und brach damit gleich zwei nationale Tabus. Zum ersten Mal war die Liebe eines Mannes zu einem anderen Mann Thema bei dem bedeutendsten aller italienischen Festivals. Und zum ersten Mal wurde La mamma vom Sockel gestoßen, nur böse war sie in diesem Lied, ganz ohne Verständnis für den schwulen Sohn, den sie lieber tot sah als glücklich an der Seite des Geliebten.

Die italienische Öffentlichkeit war irritiert und konnte sich kaum entscheiden, welcher Skandal der größere ist, Homosexualität oder eine böse Mutter. In den Berichten und Kommentaren der Medien schlug man sich freundlich auf die Seite der Schwulen-Schmonzette und demonstrierte viel liberales Verständnis für die Leiden der „Gays“. Vertreter der italienischen Schwulenbewegung wurden aufgefahren, um öffentlichen Dank zu sagen dafür, daß auch ihre Belange endlich einmal zu Worte kamen.

Aber das mit der Mutter will niemand so stehenlassen. „Daß alle Mütter der Welt gut sind“, wunderte sich der Corriere della Sera, „ist auf einmal nicht mehr die ganze Wahrheit.“ Der neuen Erkenntnis muß schnell widersprochen werden. Das Klatsch-Blatt Oggi führt prominente Schwule mit ihren Müttern vor, um das Gegenteil zu beweisen: „Zu melodramatisch“, urteilen sie über das Lied, „Alles nicht wahr!“ und „Voller Gemeinplätze!“. Der Schriftsteller Aldo Busi zeigt sich lachend mit seiner Mutter Maria, mit der er glücklich Tür an Tür wohnt. Der Schauspieler Leo Gullotta berichtet von seiner Mutter Santina, mit der er bis zu ihrem Tode zusammenlebte. Und der Interpret des Skandal-Songs, Federico Salvatore, der kein Interview ausläßt, um zu betonen, daß er glücklich verheiratet ist und stolzer Vater eines Sohnes, erzählt von der eigenen Mutter: „Sie ist mein größter Fan.“ Die Schlagzeile zur Ehrenrettung liest sich wie eine Beschwörung des italienischen Mythos: „Mamma, wenn dein Sohn so wäre, würdest du ihn nicht rausschmeißen!“

Trotz aller Aufregung und Diskussionen, das Publikum entscheidet anders: „Sulla porta“ – so heißt der Song – landet unter zwanzig Teilnehmern im Wettbewerb weit abgeschlagen auf dem 13. Platz. Eine Absage an die Verunglimpfung der Mutter? Gegen das Schwulen-Thema? Oder nur ein kompetentes Urteil über ein doofes Lied? Wer will das noch sagen?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen