: Neben Bier und Blaskapelle
Die Listen-Frauen in Neubrandenburg verpaßten zwar den Einzug ins Parlament. Nun sitzen sie trotzdem drin. Anneliese Knop zog die Fäden ■ Von Annette Maennel
Die 58jährige vollschlanke und mittelgroße Vorruheständlerin Anneliese Knop schiebt ihr Fahrrad mit festem Griff in den Amselweg im „Vogelviertel“ in Neubrandenburg. Sie erzählt von ihrer Kindheit, spricht von der Mutter. Ihren Vater, den sie als Schürzenjäger verachtet, erwähnt sie nur in einem Nebensatz. Die Mutter, Arbeiterin und Kommunistin, ist ihr Vorbild. Das sei noch eine von den Richtigen gewesen, die nach ihrem Gerechtigkeitsinn handelten. Schon deshalb trat Knop 1963 in die SED ein, von der sie glaubte, daß sie in den Fußstapfen ihrer Mutter wandelte.
Als ihr Anfang der achtziger Jahre die Betriebsgruppenleitung in dem Konsum angeboten wurde, in dem sie seit 1963 arbeitete, entfachte das ihren Ehrgeiz. Darin sieht sie heute die Wurzeln ihrer Frauenarbeit. Immerhin waren beim Konsum 1.500 Frauen beschäftigt, und die wollten vertreten werden. Den Männern hat sie es mit ihrer forschen und zupackenden Art nicht leichtgemacht. Kippten ihre eigenen Argumente, ließ sie ihren „weiblichen Charme“ spielen. Ja, natürlich hat sie im Glauben an die gute Sache immer den Mangel zu entschuldigen versucht. Aber so kampflos ging es damals nicht zu, wie heute ihre damaligen sozialen „Errungenschaften“ als vom Vater Staat diktiert bewertet werden.
Nach der Wende begleitete sie als Sterbehelferin den schleichenden Konkurs der Konsum-Genossenschaft, von dem immerhin 10.000 MitarbeiterInnen betroffen waren. Eine Frau nach der anderen verlor ihre Arbeit. Als Betriebsrätin arbeitete Knop in der Abwicklungsgruppe und versuchte zu verhindern, was schon lange nicht mehr aufzuhalten war. In wahren Kraftakten zögerte sie Kündigungen hinaus, diktierte ihre Forderungen für einen Sozialplan und setzte sich für eine Vorruhestandsregelung bei KollegInnen ein.
Knop erzählt weiter, daß damals viele Frauen gar nicht begreifen konnten, was auf sie zukam. Als sie es merkten, bekamen sie es mit der Angst zu tun und hielten lieber gleich den Mund. Heute sind die Betriebe dicht. Inzwischen suchen 3.800 Frauen Arbeit, die jungen Leute gehen in die alten Bundesländer, und Kinder werden kaum geboren. „Was passiert wohl in so einer Gegend, außer daß der Absatzmarkt West auf der „Grünen Wiese“ expandiert und die letzten Verkäuferinnen in der Stadt auch noch entlassen werden?“ fragt sie und gibt sich selbst die Antwort: „Nicht viel und schon gar nicht für Frauen und Kinder oder sozial Schwache.“
Am 9. März 1992 lud die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt, Ribitzky, Frauen aus den Gewerkschaften, aus Parteien, vom Unabhängigen Frauenverband und vom Landfrauenverband ein, um analog zum Runden Tisch der Wende ihren Frauenpolitischen Runden Tisch zu gründen. Neubrandenburg ist klein genug, und die Frauen trafen sich nicht zum ersten Mal. „Wir wußten, daß sich niemand für uns einsetzen würde, wenn wir es nicht selber tun“, sagt Knop. Die ersten Aktionen richteten sich gegen die drohende Wiedereinführung des Paragraphen 218 und gegen die Schließung von Kindertagesstätten. Um kommunalpolitisch präsent zu sein, wählten die Frauen zwei Sprecherinnen. Eine hieß Knop.
„Wir wollten uns der Hilflosigkeit nicht länger beugen“, erklärt Knop das Suchen nach einer Alternative, die es ihnen erlaubte, die Stadtpolitik stärker zu beeinflussen. Die Frauen überlegten zunächst nur, für die Kommunalwahl 1994 eine Frauenliste aufzustellen, und entschieden schließlich: „Ja, wir versuchen es.“ – Anneliese Knop wußte, sie hatte wieder ihren Platz gefunden. Sie ist es, die die Fäden der Frauenliste fest zusammenhält, die mit ihrem Humor einen ganzen Saal anstecken kann, und sie ist es auch, die sich bei den Gewerkschaften die Hacken nach Kopien abläuft, Spenden für Briefmarken sammelt und Faltblätter entwirft.
In ihrem Programm kündigten sie Widerstand an gegen die geplante Schließung von Kindertagesstätten um 16.30 Uhr, solange die Unternehmen keine flexible Arbeitszeit einführten. In der Wohnungspolitik sollte die Kommune Familien mit Kindern finanziell beim Kauf von Eigentumswohnungen unterstützen. Für die Verkehrs- und Stadtplanung forderten sie den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und bestanden auf mehr Fuß- und Fahrradwegen. Am 8. März 1994, dem FrauenStreikTag, war es endlich soweit. Die Frauenliste stand. Der Wahlkampf begann. Sie fuhren mit dem Fahrrad durch Stadtteile, luden zu Gesprächsabenden ein, standen mit selbstgebauten Ständen vor den Kaufhallen und plazierten sich neben den Parteien mit Bier und Blaskapelle auf dem Boulevard.
Und wie nahmen die Männer ihre Liste auf? Knop reagiert mit einer wegwischenden Handbewegung: „Die haben gedacht, wenn die Frauen etwas in die Hand nehmen, dann hat das schon Sinn und Verstand.“ Sie unterstreicht ihre Beobachtung damit, daß nicht wenige Männer ihr Kreuzchen für die Frauenliste gesetzt hätten.
Knop war am Tag der Wahlentscheidung „vollkommen mit den Nerven fertig“. Diesen Abend verbrachten die Frauen gemeinsam im Café des „Soziokulturellen Zentrums“, jede hatte etwas zu essen mitgebracht. Hektisch, nervös und aufgeregt sprachen sie sich gegenseitig Mut zu. In der Nacht bewiesen es die Zahlen auf dem Bildschirm des Fernsehers genau: 3,4 Prozent, nicht mehr und nicht weniger – Knop heult. „Aber“, faßt sie sich wenig später, „das war doch ein Spitzenergebnis für uns Frauen. Einfach aus dem Stand heraus.“ Der Moderator einer „Verliererrunde“ auf dem Landeskanal forderte die Frauen auf, doch endlich aufzugeben. „Mitnichten, jetzt geht es erst einmal los“, entgegnete die resolute Knop.
Um in die Fachausschüsse zu kommen, nahmen sie Verhandlungen mit den Parteien auf. Die reagierten inzwischen auf die experimentierfreudigen Frauen verunsichert. Ende Juni 1994 stellen die SPD und die PDS Plätze zur Verfügung. Obwohl sich alles sehr mühsam bewegte, fand Knop Gefallen an den Verhandlungen und bekräftigt immer wieder: „Es macht so unwahrscheinlich Spaß!“
Und was hat der Spaß bisher eingebracht? „Wir haben es geschafft, daß sie uns zuhören müssen. Es gibt eine regelmäßige ,Frauenfragestunde‘, auf die wir uns sehr genau vorbereiten.“ Für den nächsten Termin im Februar zum „Kommunalen Arbeitsförderungsprogramm“, mit dem Schwerpunkt „Langzeitarbeitslose und Frauen“ haben sie ihre Kolleginnen von den Parteien eingeladen. Sie sind gespannt, ob überhaupt eine kommt und, wenn ja, wie man sich am besten miteinander arrangieren kann.
Außerdem bereiten sie gerade ihre 2. Neubrandenburger Frauenwoche vor, die in der Woche um den 8. März Frauenspektakel verspricht. Als gemunkelt wurde, daß die CDU die Gleichstellungsbeauftragte für eine Wiederwahl ablehne, rief Knop die Frauen am Tag der Entscheidung zusammen und setzte sich mit ihnen ins Rathaus. Die Abstimmung verlief reibungslos.
Die Frauen sind fest davon überzeugt, daß sie bei den nächsten Kommunalwahlen 1999 die Fünfprozenthürde meistern werden. Mit Direktkandidatin Anneliese Knop.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen