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„Was wir brauchen, ist Ruhe“

Trotz Pleite des Bremer Vulkan Verbund: In der Volkswerft von Stralsund wird weiter an der neuen, weltgrößten Schiffshalle gebaut  ■ Aus Stralsund Andreas Küstermann

Es kommt der Volkswerft sehr gelegen, daß sie mit der neuen Montagehalle gerade jetzt demonstrieren kann, daß alles nach Plan verläuft. Und das bei Winterwetter, das selbst hier selten ist. Der erste Binder der Dachkonstruktion soll in 70 Metern Höhe aufgelegt werden. Jetzt liegt er noch am Boden. Mit 300 Meter Länge, 108 Meter Breite und einer Höhe von 74 Meter wird es eine der größten Schiffshallen der Welt sein, sagt Volker Adam von der Metallbaufirma Donges. Anfangs konnte er sich die Dimensionen selbst nicht vorstellen. Um die zu beschreiben, hat er den Vergleich von zwölf Jumbo-Jets parat, die hineinpassen würden. Von den anderen Problemen spricht Adam wenig, vom Vulkan in Bremen, den verschwundenen Subventionen. Nur, daß Ende März hier wieder Geld fließen muß. Da sind die neuen Abschläge fällig.

Mit einem kurzen „Hiev op“ setzt Volkswerft-Geschäftsführer Hans Joachim Steyer die Kräne in Bewegung. Ein Hupkonzert der Schiffsirenen übertönt die Motoren. Der 800-Tonnen-Kran kann eine ganze Schiffssektion bewegen. Auch das können sich nur wenige Fachleute wirklich vorstellen. Kaianlagen, eine moderne Halle für Fertigung von Einzelteile und eine Absenkanlage für Schiffsrümpfe bis zu 18.000 Tonnen Gewicht: All das soll hier Wirklichkeit werden. Ein Traum. 637 Millionen Mark soll er kosten. „Wir verlassen uns auf die Aussagen der Politik in Bund und Land“, sagt Geschäftsführer Steyer, „ein Konzept ist erarbeitet und die ersten Schritte sind getan. Verzögerungen darf es keine geben. Schon dieses Jahr beginnt der Bau eines neuen Schiffes, das nur mit diesen Anlagen zu Wasser gebracht werden kann.“

Das Ost-West-Thema findet Steyer „grausam und schädlich“. Er ist empört darüber, daß hier politisch der Neid auf die Ostbetriebe geschürt wird. „Das ist wirklich fehl am Platze und weiß Gott kontraproduktiv!“ entfährt es ihm. Auch Hans-Jörg Vellguth, zweiter Bürgermeister der Hansestadt Stralsund, findet eher bemerkenswert, daß die Stahlbaufirma ihren Plan unabhängig von der derzeitigen Lage einhält und weiterbaut. „Was hier zur Zeit politisch abläuft, hilft in den alten wie neuen Ländern niemandem. Alle hier sind mit der Volkswerft verbunden und von ihr abhängig. Geht in der Werft das Licht aus, folgt die Stadt. Was wir hier brauchen, ist Ruhe.“

Niemand will sich Stralsund ohne Werft vorstellen. „Und schließlich können auch nicht alle Schiffsbauer Verwaltungsbeamte werden.“ Daß das auch nicht das Los der ehemals 8.000 Beschäftigten ist – derzeit sind es noch 2.000 – zeigt ein Blick auf die aktuelle Arbeitslosenzahl Stralsunds: 5.400 Menschen, 17,5 Prozent. Bei einer von 75.000 auf 65.000 Menschen gesunkenen Einwohnerschaft. Zusätzliche 700 Leute werden auf der Werft in nächster Zeit noch „freigesetzt“, wie die Pressestelle formuliert.

Neben den gigantischen Schiffssegmenten in den Hallen sehen Menschen klein wie Ameisen aus, vereinzelte Ameisen allerdings, keine Haufen und Heerstraßen. Denn Werften arbeiten heute vor allem mit Maschinen. Siegfried Heitmann, Betriebsratsvorsitzender der Volkswerft, verneint trotzdem Spannungen unter den Betriebsräten und Belegschaften des Verbundes. „Der deutsche Schiffsbau muß in seiner Gesamtheit erhalten bleiben, damit wir auch in Bonn eine Größe sind. Kleine mittelständische Betriebe nimmt doch niemand wahr. Und es gibt keine bessere Alternative gegenüber der Konkurrenz des asiatischen Schiffsbaus. Daran können auch unverschämte Töne der Politiker nichts ändern.“

Sein Hauptziel sei natürlich der „Erhalt dieses Standortes“. Das dividiere aber niemanden auseinander. „Alles andere vergessen wir auch nicht. Das werden wir dann einfordern, wenn die Standortfrage geregelt ist.“

Inzwischen hebt sich langsam der Dachbinder an zwei 80 Meter hohen Kränen in die Höhe. Superlative auch hier: Es sind die größten in Deutschland verfügbaren Kräne ihrer Art. 50 Lastwagen waren zum Transport notwendig. Beobachtende Arbeiter finden eher staunende Worte dafür, als sich zur aktuellen Lage auszulassen. Wie abgesprochen hängt Einigkeit in der nebligen Luft. Ost-West-Konflikte? Ne! Natürlich ist man sauer. Aber vor der Presse? „Die Konflikte kommen nur aus der Politik. Wir wollen hier Ruhe haben, damit alles weitergeht.“

Aber gespannt ist man doch auf Freitag, den großen Aktionstag aller Werftstandorte in Deutschland. Da soll Einigkeit und Kraft signalisiert werden. Punkt 10.30 Uhr an den Werkstoren. Der Binder liegt nach einer halben Stunde auf seinen Trägern. Gerade mal 48 Schrauben der Größe M 27 halten ihn jetzt fest. Einige Arbeiter mischen sich unter die Prominenz am Buffet. „Jetzt müßte nur noch die Sonne scheinen“, witzelt einer. Schön wär's. Es ist kalt in Stralsund.

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