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Das Leben im Einmachglas

Kürbisse im Regal, Weizenkörner im Glas und eine einzigartige Zwiebelsammlung: In der Genbank von Gatersleben konservieren Wissenschaftler die Samen von 100.000 Pflanzen, die in der modernen Landwirtschaft aussterben. Niklaus Hablützel hat sich in Kühlräumen, Herbarien und auf den Äckern der passionierten Sammler umgesehen. Der Versuch, das genetische Erbe der Menschheit zu retten, ist ebenso großartig wie aussichtslos

Der Park könnte zu einem Kurhaus gehören. „Gehen Sie an der Taxonomie entlang“, sagt der Pförtner, „Sie werden es finden.“ Die Taxonomie ist die Lehre von den Ordnungen, von den Verwandtschaften und Familienähnlichkeiten. Eine Wissenschaft also, von der wenig öffentlicher Glanz ausgeht. In einem der niedrigen Gebäude, die den kleinen Park umstellen, hat sie offenbar eine Wirkungsstätte gefunden. Ein schattiger Kiesweg führt daran vorbei.

Hier ist seit 52 Jahren ein Experiment im Gange, das vielleicht vollkommen sinnlos ist, vielleicht aber auch eines der größten in der Naturwissenschaft. Kein Maschinenpark weist darauf hin. Das Experiment braucht vor allem Zeit. Das Labor ist eine Art Bauernhof mit Kühlräumen und Archiven.

Was sind schon 52 Jahre? Das Experiment ist viel älter, es ist nur nicht von Anfang an als Wissenschaft betrieben worden. Pflanzen wachsen verschieden, manche sind eßbar, andere giftig, manche nur schön, ihre Früchte, Blätter oder Knollen schmecken mal so, mal anders. Wieder andere hat bisher noch kein Mensch entdeckt. Neben der Taxonomie steht die Morphologie, die Lehre von den Gestalten. Das Leben ist zäh. Es pflanzt sich fort, aber es bewahrt sich nur auf, weil es seine Formen wechselt. Doch heute reichen die Lehren von den Ordnungen und der Gestalt nicht mehr aus.

Professor Karl Hammer hat eine einfache Geste für das Problem gefunden. Mit weit ausgestreckten Armen formt er ein Dreieck in der Luft. Hinten, zwischen seinen Schultern, ist viel Platz, vorne, wo sich die Fingerspitzen beinahe berühren, wird es sehr eng. „Genetische Erosion“, sagt er in der Annahme, daß wir Bescheid wissen.

Hammer spricht von „Kulturpflanzen“ und meint Pflanzen, die irgend jemand irgendwo und irgendwann angebaut, gepflegt und gezüchtet hat. Sie waren nützlich, was aber „Nutzpflanzen“ im allgemeinen sein könnten, „wissen wir nicht. Denn wir wissen nicht, was wir einmal noch alles brauchen können.“ Ihre Zahl ist nicht bestimmbar, die Zahl der Kulturpflanzen dagegen, die sich tatsächlich bewährt haben, sinkt rapide. Seit der Jahrhundertwende sind etwa 80 Prozent von ihnen außer Gebrauch gekommen, verdrängt von Züchtungen der Industrie. Auch sie haben das Hungerproblem der Welt nicht lösen können.

Das kann die Genbank, die der Biologe Karl Hammer heute noch leitet, erst recht nicht. Sie versucht nur zu retten, was noch nicht ganz verloren ist. Der Fortschritt zehrt sich selber auf. Die wenigen Sorten Reis, Mais und Getreide, die immer höhere Erträge versprechen, können ohne fremde Hilfe nicht überleben. Die Chemiekonzerne brauchen deshalb ständig biologischen Nachschub aus den hinteren Reihen, aus den zurückgebliebenen Landsorten und Bauerngärten.

Samenproben von etwa 100.000 Pflanzensorten werden in Gatersleben in zwei Kühlräumen aufbewahrt, eingeschlossen und trockengehalten in gewöhnlichen Einweckgläsern. Diese haben sich als ebenso billig wie zweckmäßig erwiesen. Tausende stehen wohlgeordnet in langen Reihen auf den Regalen. Die Schilder, mit denen sie beschriftet sind, lassen sich kaum lesen im trüben Schein einer Glühlampe – zuviel Licht würde den künstlichen Winterschlaf in dieser Gruft stören. Jedes Glas enthält eine Handvoll keimfähiger Samen, Samen von Gemüsen, von Getreiden, Kräutern, von obszön geformten Kürbissen, und von Gewächsen, die auf dem Feld so ungewöhnlich gar nicht aussehen, aber offenbar doch für sammelwürdig erachtet worden sind.

Der Frage nach den Kriterien der Konservierung weicht Karl Hammer aus. Wir bekommen Hinweise von anderen Instituten, sagt er etwas undeutlich, wir suchen bestimmte Gebiete auf, in denen wir etwas vermuten, wir organisieren Sammelreisen. Hinter seinen Worten stehen Geschichten, die mit Biologie wenig, mit Politik jedoch viel zu tun haben. Manches wird erst jetzt aus den Archiven der Historiker ans Licht gehoben.

Im Arbeitszimmer des Direktors hängt noch das Plakat von der Jubiläumsfeier 1993. Fünfzig Jahre alt war das Institut geworden, gewiß ein Grund zum Feiern, jedoch fehlt der Hinweis auf den Gründungsort. Tatsächlich ist 1943 eine deutsche Genbank gegründet worden, jedoch nicht in Gatersleben, sondern in Wien, zunächst in der „Vivarium“ genannten Biologischen Versuchsanstalt im Prater, wo bis 1938 viele jüdische und sozialistisch gesinnte Wissenschaftler tätig waren. Sie wurden alle von den Nationalsozialisten vertrieben, von einigen läßt sich die Spur bis ins Konzentrationslager nachverfolgen.

Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Kulturpflanzenforschung bezog die verödeten Räume, nahm noch im selben Jahr auch das nicht weit von Wien entfernte Landgut Tuttenhof bei Korneuburg in Beschlag. Ein Jahr später fielen die ersten Bomben der Alliierten, ein großer Teil der bis dahin gesammelten Samenbestände kam auf Umwegen nach Gatersleben, wo die sowjetischen Besatzer den deutschen Biologen eine ehemalige Staatsdomäne der Preußen zuwiesen.

„Sammler, Räuber und Gelehrte“ hat der Wissenschaftshistoriker Michael Flitner seine in diesem Sommer erschienene Studie über diese gerne verschwiegenen politischen und ideologischen Wurzeln des Projekts überschrieben. Um reine Wissenschaft ging es nie, Nationalsozialisten suchten gelegentlich auch unter den landwirtschaftlichen Pflanzen nach überlegenen Rassen, am liebsten in den eroberten Ostgebieten. Und ideologische Mitläufer arischen Herrenwahns fanden sich auch in den Reihen der deutschen Pflanzenforscher.

Ganz gewiß ist Karl Hammer von diesem Verdacht völlig frei. Ein Zivilist durch und durch. Kein Räuber, wirklich nur ein Sammler, ein wortgewandter Mann zudem und kein Stubengelehrter, auch wenn sich in seinem Zimmer die Bücher und Manuskripte stapeln. Auf dem Schreibtisch steht ein Karteikasten mit Karten, die schon ziemlich abgenutzt aussehen, so oft sind sie herausgenommen, gelesen, ergänzt und wieder einsortiert worden.

Handschriftlich ist auf ihnen notiert, was der Genbank von Gatersleben schon zu Zeiten der DDR einen klangvollen Namen eingetragen hat. Die Kommission, die nach 1990 die wissenschaftlichen Überreste der DDR zu bewerten hatte, bescheinigte dem Institut „höchste wissenschaftliche Qualität“ und empfahl – große Ausnahme – den Anschluß der westlichen, wenig berühmten Schwesteranstalt in Braunschweig an das östliche Vorbild.

Mit seinen 100.000 Pflanzensorten besetzt Gatersleben auf der Weltrangliste der Genbanken etwa den 4. Platz. „In Amerika, natürlich, gibt es noch größere“, sagt Karl Hammer. Alle Einrichtungen dieser Art stehen heute unter dem ideellen Schutz der Vereinten Nationen, die für sie die Aufgabe formuliert haben, nichts Geringeres als „das genetische Erbe der Menschheit zu bewahren“.

Gatersleben kann naturgemäß nur einen kleinen Teil dieser globalen Last tragen. Nur Pflanzen aus Klimazonen, die dem Südrand der Magdeburger Börde einigermaßen ähnlich sind, können hier weitergedeihen, „ex situ“, wie der Fachausdruck lautet. „In situ“, ihre biologische Heimat, ist der Ort, an dem sie zwar nicht ausgestorben, aber vom agrotechnischen Fortschritt an den Rand gedrängt worden sind. Usbekistan zum Beispiel. Dorthin soll die nächste Sammelreise führen.

Mitglieder des Instituts von Gatersleben werden Bauern bitten, ihnen ihre Felder und Gärten zu zeigen, ihnen zu erzählen, wie sie was und wann anbauen. Ohne kaum verhüllte Eroberungsgedanken werden sie diesmal kommen, nicht so wie ihre Vorläufer der Kaiser-Friedrich-Wilhelm-Gesellschaft, die mal vor, mal nach der deutschen Wehrmacht kamen, in jedem Fall aber gut ausgerüstet, weil mit einer kriegswichtigen Aufgabe für das deutsche Volk beauftragt.

Friedlich werden dagegen die Reisenden aus Gatersleben versuchen, die Unterarten und Varietäten zu bestimmen. Sie werden eine Handvoll Samen mit nach Hause tragen, mehr nicht. Sie sind nur mehr ungewöhnlich neugierige, aber auch hilfsbereite Gäste, sie unternehmen Freundschaftsbesuche, wie es guter Wissenschaftsbrauch war unter den sozialistischen Bruderländern. In dem langen Flur des Institus hängen Gruppenfotos mehrerer Expeditionen nach Kuba.

So soll die Erinnerung an eine bedrohte Landkultur ihren Ursprung überleben. Im selben Flur hängen auch ein paar neue, farbige Balkendiagramme aus dem Computer. Sie zeigen einen Fortschritt in dieser Kunst des biologisch motivierten Erinnerns. Weizenkörner, so ist den Schautafeln zu entnehmen, überleben offenbar am besten bei einer Temperatur von null Grad Celsius in normaler, das heißt hier atmosphärischer Luft. In den Einmachgläsern, konserviert also in schlichter Haushaltsware und mäßiger Winterkälte, ist ihnen über 90 Prozent der Keimfähigkeit geblieben.

Erst vierzehn Jahre sind vergangen, seit dieser Teil des großen Experiments begonnen worden ist. Gesucht wird die beste Methode, Weizenkörner einhundert Jahre lang keimfähig zu erhalten. Einige wenige sind seit 1981 abgestorben, im Jahr 2081, wenn der Versuch abgeschlossen ist, werden es ein paar mehr sein.

Das politische System, unter dem die Frage nach der Keimfähigkeit des Weizens gestellt wurde, ist inzwischen zusammengebrochen. Das fällt zunächst kaum ins Gewicht, die Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, gehören in ein anderes Gebiet. Neid, Karrierewünsche, Mißtrauen und finanzielle Interessen könnten die Untersuchung scheitern lassen.

Hammers Stelle ist zur Neubesetzung ausgeschrieben. Er will sich nicht mehr bewerben, „ich kenne mich in der Politik nicht aus“, sagt er. Hinter dem Ärger steckt mehr. Die Frage nach dem Leben der Pflanzen ist eine Frage nach der Biologie, die es erforscht: Zwei strahlend weiße, neue Keimschränke, in denen die Samen in sauberen Glasschälchen liegen, deuten Fortschritt an. Doch der Raum, in dem sie stehen, ist vergilbt, zurückgeblieben, ohne Anschluß an die große Welt der Wissenschaft. Was also ist moderne Biologie?

Biologie wollte Karl Hammer in der DDR studieren. Irgend etwas, worüber er jetzt nicht reden will, kam dazwischen. Also studierte er Landwirtschaft. Noch mehr kam dazwischen, auf die LPG wollte er schon gar nicht. „Mensch, ruf doch mal in Gatersleben an.“ Der Rat war gut, Hans Stubbe, damals Professor der Biologie in Halle und Gründungspräsident der Genbank vom Tuttenhof bei Wien, nahm den Landwirt als Assistenten an, als seinen letzten. „Der einzige war das“, sagt Hammer über den Lehrer, mit dem er nun doch zu seinem Fach gekommen war, „der einzige, der die ganzen Jahre dagegenhielt.“

Jahre waren das, in denen Gatersleben eine einsame Insel im Meer der stalinistischen Wissenschaft war. Lyssenkos Theorie der angeblichen, aber niemals nachgewiesenen Vererbbarkeit individuell erworbener Eigenschaften der Pflanzen sollte der Sowjetunion Rekordernten bescheren. Hungersnöte waren die Folge des Großexperiments. Darwinistische Gegner dieser Ideen waren nach Sibirien verschleppt worden, Stubbes Opposition gegen diesen sozialistisch verbrämten Aberglauben an die Verfügbarkeit des Lebens war nicht ungefährlich.

Nach der gescheiterten Genwäsche auf der Kolchose sollten dann mit Radioaktivität oder Chemikalien erzwungene Mutationen dem Getreide immer dickere Ähren verleihen. Auch Hammers verehrter Lehrer Stubbe hatte einst mit diesen Gedanken gespielt, der deutsche Pionier der Genbanken, den die Nazis als „politisch unzuverlässig“ eingestuft hatten, der sich aber doch zu arrangieren verstand.

Von diesen Versuchen, gegen die Regeln der natürlichen Selektion zu verstoßen, ist heute kaum noch die Rede. Bloß kann Hammer nicht sehen, was an der allerneusten Gentechnik so viel besser sein soll. Er wirft die Hände in die Luft. „Und wenn sie mich heute in Stücke reißen“, sagt er, „in zehn Jahren wissen wir, daß auch das nur eine Methode unter vielen ist.“

Sie gefällt ihm nicht, nur sagt er das nicht so deutlich. Denn auch er ist Naturwissenschaftler. Auch ihn interessiert, was in den Weizenkörnern vorgeht, wenn sie keimen, sterben, sich verwandeln. Und das ist nichts anderes als die Frage der Molekularbiologie nach den Genen. Ja doch, die Molekularbiologen können helfen herauszufinden, wie man Weizenkörner keimfähig hält. Aber sie starren nur auf die Gene. „Und wir sammeln Samen“, sagt er, „natürlich enthalten sie Gene, alles enthält Gene, aber es sind keine Gene...“

Was sind sie dann? Samen eben. Leben. Die einhunderttausend Sorten von Gatersleben sind nur eine winzige Auswahl bekannter Kulturpflanzen, die wiederum eine verschwindende Minderheit unter den Pflanzen sind. Aber auch deren unbekannt große Zahl ist noch kein Maß für die wirkliche Vielfalt des Lebens: Jedes Exemplar jeder der Abermillionen Sorten ist verschieden von jedem anderen Exemplar derselben Sorte. Es besitzt verwandte, aber keineswegs identische Gene.

Um diese mathematische Unendlichkeit besser zu verstehen, gehen wir hinaus auf das Versuchsfeld. Es ist nicht groß, der Acker eines kleineren Hofes vielleicht, aber es ist reicher als die Riesenfelder der Agrargenossenschaften, die um Gatersleben herum den fruchtbaren Lößboden in Besitz genommen haben. Hammer weist auf Schönheiten hin, auf die Feuerbohnen, den Dill, den langblättrigen Kohl, der in Italien – anders als die Fachwelt glaubte – durchaus noch gebräuchlich ist. Den Wanzengestank des Korianders müssen wir riechen, eine Hanfhecke schützt das Quartier der Maispflanzung, die Zwiebeln haben prächtig geblüht, anderes wächst unscheinbar und ist trotzdem ein Schatz der Menschheit.

Taxonomie auch hier. Das Feld ist streng geordnet, jedoch so, daß die nächsten Verwandten möglichst weit voneinander entfernt in ihrem abgemessenen Geviert wachsen. Denn der Zweck dieses Gartens ist paradox.

Die Einmachgläser können das Leben der Samen nur befristet aufbewahren. Jedes Jahr werden etwa 10 Prozent des Bestandes ausgesät, damit die verschwindenden Sorten sich regenerieren. Wenigstens eine Vegetationsperiode lang gelten damit auch für sie wieder die Gesetze der Evolution, die im Dämmerschlaf der Kühlräume außer Kraft gesetzt sind. Jetzt können sich die zahllosen Varianten vermischen, die Pollen entfernterer Sorten befruchten die Blüten – der Prozeß der Selektion kommt unmerklich wieder in Gang.

Die Genbank aber muß ihn aufhalten, damit sie ihren Zweck erfüllt. Sie ist das genaue Gegenteil nicht nur der Natur, sondern auch der landwirtschaftlichen Kultur, die sie retten will. Sie kann es nicht, sichtbarstes Zeichen dafür sind die Plastiktüten, die über manche Blüten gestülpt sind. Sie sollen die Fremdbefruchtung verhindern, damit die später geernteten Samen sich möglichst wenig von den ausgesäten unterscheiden. Die Sorte soll so rein bleiben, wie sie auf keinem Bauernhof der Welt wachsen könnte.

Anhalten läßt sich die biologische Uhr aber auch damit nicht. Die neue Generation der aufgefrischten Muster wird in ein neues Einweckglas eingefüllt. So bleibt sie unterschieden von ihren Vorgängerinnen. Wenigstens soll die Zeitreihe der Samen vollständig sein, sogar ein kleiner Rest der Urahnen wird aufbewahrt. Er dämmert in der Kälte seinem unaufhaltbaren Tod entgegen.

Was also ist moderne Biologie? Gentechniker wollen die Evolution beschleunigen, Genbanken wollen sie bremsen. Doch nein, so einfach würde Karl Hammer das wohl nicht sagen. Wir stehen jetzt im Leichenschauhaus. Es heißt „Referenzsammlung“ und enthält die Mumien aller Pflanzensorten, die in der Genbank gesammelt sind. Kleine Pappschachteln sind in schweren Schränken eingeordnet, staubtrocken und verblaßt liegen darin Halme, Blätter, Ähren, Blüten und auch ein paar Samenkörner. Auf einem Zettel steht der botanische Name und ein Hinweis auf die Herkunft.

Hier trennen sich die Wege der Sammler von Pflanzen und der Chirurgen der Gene am deutlichsten. Hammer deutet mit einem Kopfnicken zu den Gebäuden auf der anderen Seite des Institutsgeländes. Dort sind nach der Wende die teuren Elektronenmikroskope aufgebaut worden. Ein paar Bilder von Molekülsequenzen der Zwiebel hängen auch im Flur der Genbank. Hammer würdigt sie keines Blicks. „Die verstehen das nicht“, sagt er und zeigt auf eine vertrocknete Weizenähre. „Was wollt ihr denn damit, fragen die uns. Wir haben ein Modell, den Rest bauen wir nach...“

Welchen Rest? Die ganze Fülle der Pflanzen oder diese einzelne, unverwechselbaren Rippe dieses einen Exemplars? Beides kann nicht gemeint sein. Was wollt ihr denn damit? Die Genbank selbst ist gemeint, eine übriggebliebene Wissenschaft, eine Fleißarbeit am Rande: Taxonomie eben. „Taxonomie ist bei uns eine selbständige Disziplin“, trotzt der Professor mit seiner Wissenschaft. Aber er ist auf dem Rückzug.

Hammers Genbank ist heute ein Teil des „Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung“, das auf der sogenannten „blauen Liste“ steht und von Bund und Ländern gemeinsam finanziert wird. Wie es sich gehört, hat in in diesem Jahr die molekularbiologische Abteilung den ersten Antrag zur Aussaat einer gentechnisch manipulierten Pflanze eingereicht.

Der geschäftsführende Direktor Wobus machte sich aus diesem Anlaß schriftlich Gedanken zu den wohl zu erwartenden Protesten gegen den transgenen Tabak, der ausgerechnet auf dem taxonomischen Versuchsfeld von Gatersleben blühen soll. Er fragte nach der Verantwortung der Wissenschaft und gab sich selbst die Antwort: Ja doch, bedenkend die Gefahren aller Forschung, will Gatersleben nun endlich den Anschluß an die große Welt der modernen Biologie finden.

„Geld gibt es heute nur, wenn Gentechnik dabei ist“, grummelt Hammer beim Anblick seiner Herbarien. Den Abteilungsleiter mag er hier nicht mehr spielen. „Ich will wieder arbeiten“, sagt er, „ich habe einen Ruf zu verlieren.“

„Ethnobotanik“ heißt sein neues Stichwort, das nun doch wieder sehr nach großer Wissenschaft klingt. Was sich Hammer darunter vorstellt, sind wohl vor allem wunderbare Sammelreisen in vergessene Bauerngärten.

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