: Konsequent ahnungslos den Mißerfolg gekauft
■ Schuld hat mal wieder der Trainer: Nach dem Play-off-Aus entließen die Frankfurter Löwen gestern den Übungsleiter Pjotr Worobjew – und Ex-Star Jiri Lala
Frankfurt/Main (taz) – Der Eine-Million-Mark-Schuß von Bruce Eakin krachte 68 Sekunden vor Schluß ins Tor der Frankfurter Löwen. Der Stürmer der Kassel Huskies besiegelte damit nicht nur die größte sportliche Überraschung in der Deutschen Eishockey Liga (DEL). Sein Tor und der Gesamtsieg seines Teams im Play-off-Achtelfinale brachte damit auch einen Schwelbrand zum Lodern, der in Frankfurt zuvor nur mühsam unter der Decke gehalten worden war.
Doch was normalerweise als mäßige Play-off-Überraschung abgehakt wird – der Neuntplazierte schmeißt den Achten raus –, empfinden die Frankfurter Verantwortlichen als Katastrophe. Schließlich waren sie mit einem Elf-Millionen-Mark-Etat und einer klaren Zielsetzung angetreten: „Mindestens Play-off-Viertelfinale, und im nächsten Jahr wollen wir um die Meisterschaft spielen.“
Dazu war ihnen keine Investition zu gering. Vom NHL-Club Calgary Flames kam Robert Reichel (23), der dort in drei aufeinanderfolgenden Jahren jeweils punktbester Scorer seiner Mannschaft war. Die Angaben über sein Gehalt in Frankfurt schwanken zwar, aber 800.000 Mark im Jahr netto sind eher vorsichtig geschätzt. Er ist damit der bestbezahlte Spieler aller Zeiten im deutschen Eishockey. Dazu kamen Leute wie Nationaltorhüter Marc Seliger, der russische Nationalverteidiger Sergej Schendelew, und auch Spieler wie François Sills, Petr Kopta und Brian Hannon sind keine Unbekannten. Schon da war der Alt-Star Jiri Lala (35). Doch in dem Ensemble von „Siegertypen“ knirschte es bald. Reichels gottähnliche Verehrung in Frankfurt ging den anderen gewaltig auf den Senkel. Insbesondere da Reichel seine Rolle auch noch zelebrierte. Zusammen mit seinem „Ersatzvater“ Lala bildete er ein Team im Team. Und die Torschützenliste gab den beiden lange recht. Reichel war in der regulären Saison mit 46 Toren und 101 Punkten der mit Abstand erfolgreichste Spieler der Liga, gemeinsam erzielten er und Lala gar 186 Scorerpunkte. Als jedoch in den Play-off-Spielen „harte Arbeit und nicht nur Talent“, so Kassels Trainer Hans Zach, gefragt war, kam nichts mehr.
Die Play-off-Auftritte von Stars und Team sind aber lediglich ein Symptom. Man mag es moralisch verwerflich finden, aber natürlich ist Erfolg käuflich. Bayern München und Borussia Dortmund beweisen es, und Düsseldorf oder Köln machen es im Eishockey letztlich auch nicht anders. Die reichen, aber namenlosen Frankfurter Teambesitzer machten allerdings einen entscheidenden Fehler: Der Immobilienhändlersohn Gerd Schröder und die Sanitärgroßhandelserbin Gisela Thomas verwechselten Geldbesitz mit Professionalität. Sie sonnten sich in Reichels Glanz, und in dem krampfhaften Bemühen, möglichst häufig selbst im Rampenlicht zu stehen, wollten sie nicht wahrhaben, daß sie vom Eishockey gar keine Ahnung haben.
In grenzenloser Selbstüberschätzung verzichteten sie zum Beispiel darauf, einem Fachmann das sportliche Management zu überlassen und ließen sich statt dessen von Schaumschlägern und Hofschranzen allerlei Unsinn aufs Ohr schwätzen. Von Leuten wiederum, die Kritik übten, trennten sie sich ganz schnell. So kauften sie nicht nur wahllos Spieler zusammen, sondern verschätzten sich auch in der Vermarktung. Obwohl immer noch die Fans in Frankfurt reichlich strömen (durchschnittlich 6.000), setzten sie einen Schnitt an, der mit regelmäßig ausverkauftem Haus rechnete. Dafür blieben erstaunlich viele Werbeflächen frei. Die erste Quittung kam zum Jahreswechsel 1995/96, als die Gesellschafter das Stammkapital um eine Million Mark erhöhen mußten, um laufende Kosten zu bestreiten. Das Ausscheiden nun kostet eine weitere Million. Doch es ist ein Lehrgeld ohne Lehre: Der Trainer Pjotr Worobjew wurde gestern entlassen. Sieben Spieler müssen auch gehen, darunter Ex-Star Jiri Lala. Matthias Kittmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen