: Mit Beck's und Nil-Zigarette in der Hand
■ Mit dem Netzwerk „New Voices“ will die Neue Gesellschaft für Literatur dem Nachwuchs praktische Starthilfe leisten. Eine erste Lesung zeigte: Das lohnt sich
Statt Ecstasy und Techno-Beat literarische Party-time im Tresor: „Bitte, bitte, liebe Kuh, mach den Weg frei“. Wen Katja Rose da nun konkret meinte – tja, aber sicher ist, daß die großen literarischen Kühe für die Youngsters kaum freiweillig die Bahn räumen werden, zweifelsohne aber nicht umhin können, es irgendwann zu tun. Denn: Das Niveau der Lesung, zu der die Neue Gesellschaft für Literatur e. V. am Donnerstag in dem schön schummrig-konspirativen Tresor geladen hatte, war sehr hoch. Nichts von pubertierenden Ichfindungsszenarien oder Erste-Liebe- Lyrik. Nichts von literarischen Weltschmerzergüssen und verkrampftem Epigonentum.
Die acht JungautorInnen agierten höchst professionell. Thilo Bock weihte uns in die Geschichte eines Unregistrierten ein, der, da nicht im Amtscomputer zu finden, allerlei Konsumgüter einheimst, bis er schließlich von den Herren in Blau zur Polizei gebracht wird und eine ganz neue, unerwartete Identität findet. Viel Beifall und Lacher erntete auch Julia Franks, Preisträgerin des bundesweiten Open Maik, frivol-underdogiges Bewerbungsschreiben an einen schottischen Lord: „Die Wunde“. „Ich hörte von Zeit zu Zeit die Fürze der Herrschaften ...“ beschreibt sie ihre Dienststelle als Klofrau.
Jan Kettner, als einer der Jüngeren gerade mit dem Abitur fertig, verblüffte mit einer Elchparty und den Rein-und-Raus-Vorgängen dort, die zu beschreiben der billigste Porno viel besser und so weiter. Er orchestrierte auch ein Gedicht und wurde als einer der wenigen politisch, mit seiner Ode an die Sklaven. „Oh, meine Sklaven aus Suriman, die ihr mein Blei macht für meine Kugeln und Stifte, die ich dann Crayons nenne.“
Und dann saß da noch ein Jüngling mit schwarzer Boa und silbernem Dreieckstüchlein um den Hals, der raunte eindringlich in die 100köpfige Zuschauermenge „Als wollten sich Linien den Kreisen erklären, so hab ich mich an dir versucht“. Amerikanophil schwadronierte Michael Reitmann – seine Texte, eine Mischung aus Dada und Comics waren der gutlaunige Abschluß dieses erfrischend unelitären Events. Da ist von „jugendlichen Taifunen, die die Konsumsee durchqueren“ die Rede, von „Bewerberwörtern für die Wahl zum Wort des Jahres“ oder von „Vanilletapeten“.
Dieser Nachwuchs ist internationalisiert. Die AutorInnen orientieren sich nicht an deutscher Gegenwartsliteratur, sondern eher an Amerika, Frankreich, den modernen Klassikern Rußlands. Sich und ihrer Wahrnehmung von Wirklichkeit scheinen sie zu vertrauen, ohne einem phantomhaften Begriff von Avantgarde hinterherzulaufen. Es wird nicht provoziert um des Effekt willen, viel eher kooperieren die Texte augenzwinkernd mit ihren ZuhörerInnen/LeserInnen. Geschichten werden erzählt, mit ausgeprägtem Formgefühl, meist lockt ein Überraschungseffekt.
Die Veranstaltung war Auftakt für einen Wettbewerb den die seit 1973 existierende Neue Gesellschaft für Literatur seit drei Jahren ausschreibt und der diesjährig unter dem Stichwort „Stadt-Alltag in Metropolis“ läuft. Eingesandt werden können Gedichte, Geschichten, Comics, Reportagen, dramatische Arbeiten von Leuten bis zu 25 Jahren. Eine dreiköpfige Jury wählt dann aus den Einsendungen etwa 50 Arbeiten aus und lädt die AutorInnen zu einer viertägigen Sommerwerkstatt in die Villa Pelikan in Hellersdorf ein. Dort wird dann unter Anleitung erfahrener Autoren wie dem Hellersdorfer Stadtbezirksschreiber Michael Wildenhain an den eigenen Texten gearbeitet. Krönender Abschluß des Kreativcamps: 25 Auserwählte sehen ihre Werke in gedruckter Form.
New Voices nennt sich der Versuch der Neuen Gesellschaft für Literatur e. V., ein Netzwerk für junge Literatur in Berlin und Umgebung zu stricken. Es soll Informationsbörse sein für schreibinteressierte Jugendliche. Sie können ihre Texte von Manfred Wolter (ehemals Aufbau-Verlag) und der Germanistin Hilke Nissen lektorieren lassen, sie einem kleinen Kreis anderer JungautorInnen zur Diskussion stellen und an Lesungen teilnehmen. Regelmäßige Werkstattreffen in der Brotfabrik bieten einen Ort seine/ihre Texte öffentlich zu machen.
Die Lesung junger AutorInnen zeigte recht deutlich, daß Marktanteil, Berühmtheit und Resonanz der Schreibenden eine seltsame Melange aus Beharrungsvermögen, Zufall und der Gutlaunigkeit eines geneigten Lektors ist. Hätten die acht AutorInnen zwischen 19 und 26 Jahren ihre literarischen Produkte als Kuckuckseier etwa im Literarischen Colloquium abgelegt – es hätte durchaus auch dort zu einer viel beklatschten Veranstaltung getaugt.
Aber die Absicht der Veranstalter war und ist eine andere: „Ohne daß gleich ein Karriere- und Leistungsdruck dahintersteht“ sollen sich Jugendliche zwischen 14 und 25 Jahren ausprobieren dürfen. Keine Pflanzschule für Schriftsteller und Schriftstellerinnen, sondern ein Kommunikationsforum will man sein.
Der Abend im Tresor löst das ein, auch wenn es von Ambitionen nur so wimmelt. So träumt eine Pagenkopf-Literatin am Nachbarstehtisch: „... und der sagt, herzlichen Glückwunsch, Sie haben den Preis von 10.000 DM ..." Und zwischen Beck's und Nil-Zigaretten schiebt eine mit langen Haaren dem Leiter des New-Voices-Projekts, Uwe Bartels, ihr neuestes Theaterstück unter den Arm. „Lies mal, da vor der Pause müßte ich vielleicht noch was ändern ...“ Kirsten Longin
Einsendeschluß für den Wettbewerb am 15. 7., Kennwort: Stadt Neue Gesellschaft für Literatur e. V., Rosenthaler Straße 38, 10718 Berlin, Tel.: 283 39 83.
Regelmäßige Werkstatttreffen an jedem letzten Freitag im Monat, 20.15 Uhr, Brotfabrik, Prenzlauer Promenade 3, Weißensee
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