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„Das Atomgesetz strikt anwenden“

■ Gleiche Ziele, verschiedene Wege: Der Kieler Energieminister Claus Möller und Wilfried Voigt, Energie-Fachmann von Bündnis 90/Die Grünen, wollen in Schleswig-Holstein weniger Atom und mehr Wind – ein Streitgespräch über die Energie-Umsteuerung

taz: Herr Voigt, warum braucht eine rote Energiepolitik in Kiel grüne Farbtupfer?

Wilfried Voigt: Weil die Grünen am konsequentesten für eine ökologische Energiepolitik eintreten. Wir wollen, anders als Claus Möller, den Ausbau der Windkraft nicht mit einer willkürlichen Obergrenze von 1200 Megawatt deckeln, und wir werden durch die konsequente Anwendung des Atomrechts zur Stillegung eines oder mehrerer Atomreaktoren kommen.

Claus Möller hat durch atomrechtliche Auflagen die Atommeiler in Brunsbüttel fast drei Jahre und Krümmel ein Jahr stillgelegt – der Ausstieg war so aber nicht zu bewerkstelligen.

Voigt: Die Landesregierung hat die Atomaufsicht nachlässig geführt. Ein Beispiel: Minister Möller weiß, daß alle drei schleswig-holsteinischen Atomkraftwerke auf Erdbebenlinien liegen. Brunsbüttel besitzt überhaupt keinen Erdbebenschutz, und das würde – bei konsequenter Anwendung des Atomrechts – zur Stillegung führen. Denn da kann man nicht nachrüsten.

Claus Möller: Bei der Erdbebenfrage müssen uns die Grünen wirklich nicht auf die Sprünge helfen. Wir haben das sehr sorgfältig untersucht, sind aber im vergangenen Jahr nicht so weit gewesen, daß wir die Erdbebenfrage atomrechtlich relevant hätten verwerten können. Wir haben jetzt ein neues Gutachten, das wir zur Grundlage unserer Genehmigungs- und Aufsichtsverfahren machen wollen, der Reaktorsicherheitskommission vorgelegt. Ich würde nicht so weit gehen zu sagen: Wenn unsere Gutachter sich durchsetzen, führt das automatisch zur Stillegung. Aber es kann dazu führen.

Voigt: Ich behaupte, daß unter strikter Anwendung des Atomgesetzes mehr möglich gewesen wäre. Und das wird nach der Wahl passieren. Beispiel Krümmel: Das Energieministerium hat 1994 seine Wiederanfahrge-nehmigung gegeben, obwohl die siebenfach erhöhte Leukämierate in der Umgebung des Atommeilers zumindest zu der Erkenntnis führt, daß Krümmel die Ursache sein könnte. Niemand hat bis heute das Gegenteil beweisen können. Atomrechtlich bedeutet das, daß hier ein Besorgnispotential vorliegt und die Aufsichtsbehörde die Kraftwerkbetreiber anweisen muß, zu beweisen, daß der Reaktor nicht der Grund ist. Wäre das geschehen, wäre Krümmel noch vom Netz. Und wenn den Betreibern der Beweis nicht gelingt – und ich vermute, er wird ihnen nicht gelingen –, bedeutet das endgültige Stillegung.

Möller: Ich staune, daß Herr Voigt – ohne jede Aktenkenntnis – zu solchen Äußerungen kommt. In Krümmel haben wir nach sehr sorgfältiger Prüfung auch von externen Sachverständigen keine andere Möglichkeit als die Zustimmung zum Wiederanfahren gehabt, zumal diejenigen, die die Strahlenthese erheben, nicht einmal sagen können, ob die Strahlung von Krümmel oder dem Geesthachter Forschungsreaktor der GKSS ausgeht. Auch die Grünen kennen die höchstrichterliche Rechtsprechung, an der eine Atomaufsicht nicht vorbeikommt. Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn sie unsere Entscheidung gerichtlich überprüfen lassen. Aber ich bin leider davon überzeugt, daß die Gerichte unsere Entscheidung bestätigen.

Die Frage wäre einfacher zu klären, wenn die Leukämie-Ursachenforschung weiter wäre. Doch die Verantwortung für die geplanten Fallkontrollstudien wird zwischen Kiel und Bonn hin- und hergeschoben.

Voigt: ... und es gibt viele Anzeichen dafür, daß Bonn die Ursachenforschung ganz knicken will.

Möller: In dieser Frage haben wir nie geeiert. Ich halte die bundesweite Studie für notwendig, aber die können wir nicht alleine finanzieren. Wir haben aber als bisher einziges Bundesland unseren Finanzanteil eingeworben. Und wenn Bonn weiter blockiert, werden wir im Norden Mittel einwerben, um zumindest eine Fallkontrollstudie für die Elbmarsch hinzubekommen. Aber ich muß bei alldem betonen: Der richtige Weg zum Ausstieg läuft über ein Kernenergieabwicklungsgesetz, für das wir uns bundesweit einsetzen.

Voigt: Ein solches Gesetz ist kein Königsweg zum Ausstieg. Denn wir wissen nicht, ob ein solches Regelwerk unter rechtlichen Gesichtspunkten standhält: Die Kraftwerkbetreiber haben bereits eine Verfassungsbeschwerde angekündigt. Deshalb muß die strenge Atomaufsicht im Zentrum stehen.

Sie beide wollen im Energiebereich weniger Atom und mehr Wind. Doch das Energieministerium deckelt den Windkraftausbau mit einer Obergrenze von 1.200 Megawatt, die potentielle Investoren verprellt.

Möller: Wir haben uns mit 1200 Megawatt ein hohes Ziel gesetzt, das wir spätestens im Jahr 2010 erreichen werden. Aber wir müssen bei der Bevölkerung die Akzeptanz für die Windkraft erhalten und die Kritik etwa der Umweltverbände sehr ernst nehmen. Ich möchte die schleswig-holsteinischen Windkraftregionen erst einmal mit 1200 Megawatt sehen, bevor ich entscheide: Wir machen den Deckel nach oben auf.

Voigt: Die Windenergie soll sich entwickeln wie jeder andere Wirtschaftzweig und nicht durch eine völlig willkürliche Obergrenze ausgebremst werden. Selbst wenn man den Natur- und Vogelschutz strikt beachtet und auf Tourismus und Denkmalschutz größte Rücksicht nimmt, kriegen wir erheblich mehr als 1200 Megawatt hin. Deshalb muß die Planungsgrenze vom Tisch.

Dem Windkraftausbau steht nicht nur die Planungsgrenze, sondern auch die Schleswag im Weg, die die Einspeisevergütung an die Windmüller nur unter Rückforderungs-Vorbehalt zahlt und angekündigt hat, in bestimmten Zeiten nicht allen Windstrom abzunehmen.

Möller: Es ist politisch instinktlos, ein von allen Parteien im Konsens beschlossenes Einspeisungsgesetz rechtlich überprüfen zu lassen. Dann auch noch nur unter Vorbehalt zu zahlen ist eine unverfrorene Verunsicherungstaktik gegenüber den Windmüllern, die wir strikt ablehnen. Die Ankündigung, zu bestimmten Zeiten nicht mehr den gesamten erzeugten Windstrom einzuspeisen und zu vergüten, widerspricht eindeutig dem Einspeisungsgesetz. Wenn die Schleswag das nicht korrigiert, werden wir rechtliche Schritte erwägen.

Voigt: Ich weiß wirklich nicht, was Sie da noch erwägen wollen – der Rechtsbruch der Schleswag ist in beiden Punkten eindeutig. Da muß man nicht prüfen, sondern anweisen. Eine solche politische Provokation gehört sanktioniert, und die rechtlichen Möglichkeiten dazu haben Sie.

Wir würden gerne noch wissen, wie Sie die Chancen einer rot-grünen Einigung im Energiebereich sehen, falls die WählerInnen einer solchen Koalition den Regierungs-Auftrag erteilen.

Voigt: Die Unterschiede, die uns im Bereich Atomaufsicht und Windkraftausbau trennen, liegen auf dem Tisch. Zudem sind viele Möglichkeiten der Energieein-sparung – ich nenne hier nur die wärmetechnische Sanierung im Altbauprogramm und eine weitreichende landeseigene Wärmeschutzverordnung – noch gar nicht angepackt worden. Ich glaube aber, daß wir uns einigen können, um in Zukunft größere Schritte in Richtung Atomausstieg, Windkraftausbau und Energieeinsparung zu gehen, als das bislang geschehen ist. Wir haben konkrete Vorschläge, und Claus Möller ist – anders als sein Kollege Klaus Matthiesen in NRW – kein Grünenfresser.

Herr Möller, Ihr möglicher Koalitionspartner macht Ihnen jetzt schon Komplimente. Gibt Ihnen das nicht zu denken?

Möller: Nein, denn dieses Gespräch hat mich in der Auffassung bestärkt, daß die Energiepolitik bei der SPD gut aufgehoben ist und wir keine Koalition brauchen. So gibt es etwa bei der Notwendigkeit einer besseren Wärmedämmung im Altbaubestand keinen Dissens, nur ist ein massives Förderprogramm für Schleswig-Holstein allein aus Landesmitteln gar nicht zu finanzieren. Das wäre etwas, was man aus einer bundesweiten Energiesteuer bezahlen könnte, die wir ja vehement fordern. Mit dem, was wir bislang an energiepoltischer Umsteuerung auf den Weg gebracht haben, brauchen wir den Vergleich mit den Bundesländern, wo Rot-Grün regiert, wirklich nicht scheuen. Für das Ergebnis, das die Grünen in Nordrhein-Westfalen vereinbart haben, würde ich hier auf jedem SPD-Landesparteitag Prügel beziehen.

Moderation: Marco Carini

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