■ Die nordrhein-westfälische Koalitionskrise verweist auf die Mängel der Wirtschaftspolitik von Bündnis 90/Die Grünen: Grüne Grenzverschiebung
Sind die Grünen ein prinzipienloser Haufen? Als der Streit mit den Sozialdemokraten auf Spitze und Knopf stand, wollten sie sich bereits „noch einmal biegen“ lassen, um die Koalition zu retten. Das reichte der SPD nicht. „Aber brechen lassen wir uns nicht“, schoben sie warnend hinterher. Nun sind sie gebrochen, sehen sich vor einer „klaren Niederlage“. Wieder einmal heißt es: „Die Schmerzgrenze ist erreicht.“
Ist sie natürlich nicht. Die Grünen werden weitermachen. Nicht, weil sie auf eine bessere SPD hoffen könnten, die Hoffnung würde gerade angesichts der nordrhein- westfälischen Sozialdemokraten trügen. Nein, die Notwendigkeit des Weitermachens wird deutlich, wenn sie den Blick von der SPD weg auf die eigene Partei lenken. Der Konflikt verweist gleichermaßen auf eine strategische Ausweglosigkeit wie einen programmatischen Mangel der Grünen.
Sie haben zur rot-grünen Perspektive keine Alternative. Die strategische Orientierung auf die Opposition entspricht einem grundsätzlich anderen Politikentwurf, den die Partei bereits vor Jahren abgeschrieben hat. Und von einer schwarz-grünen Variante sollte schweigen, wer eine rot- grüne noch nicht zum Erfolg gebracht hat.
Dem Bruch der Koalition in Nordrhein-Westfalen würde, mit einer gebührenden Schamfrist, die Neuauflage dieser Koalition folgen, vielleicht mit einem besser ausgehandelten Vertrag, sicher aber mit ähnlichen, wenn nicht den gleichen Problemen. Doch diesmal von Anfang an eher von Skepsis denn von Aufbruchstimmung begleitet. Auch die Dynamik von Rot-Grün verbraucht sich mit der Zahl der Anläufe. Ein Scheitern der Koalition würde zudem eine rot-grüne Option in Bonn 1998 mit einer kaum mehr abtragbaren Hypothek belasten.
Bei solchen Aussichten tröstet der Verweis kaum, daß auch die Sozialdemokratie einen Bruch der Koalition nicht schadlos überstehen würde. Wer dabei mehr Schuld auf sich geladen hat, wäre allenfalls eine spannende Frage für Parteihistoriker.
Sind die Grünen also genötigt, um den Preis der Machtperspektive der SPD jedwedes Zugeständnis zu machen? Die Auseinandersetzung in Nordrhein-Westfalen verweist auf einen Mangel, in dem die SPD tatsächlich sehr schmerzlich herumgebohrt hat, den sie gleichwohl nicht verursachte. Die Grünen agierten in dem Konflikt als Vertreter eines Einzelanliegens gegen die sozialdemokratischen Sachwalter eines Gesamtinteresses. Diese Rolle ist defensiv und verweist auf eigene Schwächen. Es mangelt den Grünen an Vorstellungen zur Wirtschaftspolitik, die den Kriterien der Mehrheitsfähigkeit und der Durchsetzbarkeit Genüge tun. Als Vertreter ökologischer Interessen haben sie sich jahrelang darauf kapriziert, im Widerstreit zur Ökonomie Partei zu ergreifen. Ihre Leistung bestand dabei darin, beide Sektoren miteinander kompatibel zu machen. Sie setzten an die Stelle eines fundamentalen Wertekodex, der auch Treibsatz grüner Umweltaktivitäten war, einen Rechte- und Verfahrenskanon. Die Ökologie fand Eingang in das liberale Modell der Güterabwägung. Aus Umweltbelastungen wurden Produktionsfaktoren, sie induzierten zwar Innovationen, waren aber eben auch Kostenfaktoren. Umweltschutz hatte eine Korrektivfunktion und wurde in rot-grünen Koalitionen entsprechend gewichtet.
In Anbetracht der strukturellen Krise der Wirtschaft wandelt sich dieses Korrektiv nun für die Grünen zum zentralen Treibsatz der Wachstumsförderung. Neben der anderen Verteilung der Arbeit bildet die ökologische Innovation der Volkswirtschaft, so der Sprecher des Parteivorstandes, Jürgen Trittin, den positiven Gegenentwurf seiner Partei. Zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, den Umweltschutz fördern und die Wirtschaft ankurbeln, wer könnte da nein sagen? Ja, warum sagen da noch so viele nein?
Weil der Gegenentwurf genausoviel verspricht wie der Entwurf und genausowenig halten kann, denn er kämpft mit den gleichen makroökonomischen Rahmendaten.
Weil es an angemessenen Zweck-Mittel-Kalkulationen fehlt. Weil es verkürzt ist, die Innovation auf die Ökologie zu begrenzen. Die Gentechnologie ist gleichfalls eine Zukunftsbranche, die die Grünen allerdings, zum Teil gut begründet, lieber außer Betracht lassen. Weil die Aussicht einer ökologischen Innovation zu vage formuliert und die Bestandssicherung ein zu vitales Interesse der noch einen Arbeitsplatz Habenden ist. Und weil sich, last, but not least, die Interessen der Ökologie und der Ökonomie nicht so nahtlos in eins setzen lassen. Wäre dem so, stünde es um die Mehrheitsfähigkeit dieses Modells nicht so schlecht.
Die Grünen sind, trotz aller Angst, eine grünlackierte FDP zu werden, bereits eine liberale Partei, radikal in der Verteidigung der Bürgerrechte, egalitär in der Verfechtung der sozialen Grundsicherung und zurückhaltend in der Anwendung staatlicher Zwangsmittel. So profiliert sie darin erscheinen, so schwer tun sie sich mit der marktliberalen Kehrseite der Medaille – Ausläufer einer linken Politökonomie, der das Privateigentum an Produktionsmitteln Kern allen Übels war.
Allerdings heißt die Anerkennung der Eigentumsrechte nicht, daß man in sie nicht steuernd eingreifen darf, ja beizeiten muß, um dem sozialen Rechtsstaat Genüge zu tun. Ausgangspunkt eines solchen Eingriffes ist, und das ist der gegenüber früher verschobene Blickwinkel, die Stabilität und nicht die Umwälzung des gesellschaftlichen Gefüges. Daraus resultiert die mögliche Mehrheitsfähigkeit grüner Positionen im Spannungsfeld von Ökologie und Ökonomie. Weniger die Frage nach dem Richtigen oder Falschen, sondern die nach dem Angemessenen gälte es in diesem Spannungsfeld zu beantworten.
Die Wirtschaftspolitik ist eines der letzten Felder, auf denen die Grünen innerparteilich einen Zielkonflikt austragen, der ein überkommenes Selbstverständnis aufbricht. Das Primat der Ökologie hat nicht per se Gültigkeit, das hat sich bereits bei entsprechenden Auseinandersetzungen in der hessischen Koalition gezeigt, darum wird nun in Nordrhein- Westfalen gerungen. Erst wenn die Grünen eine eigene tragfähige Wirtschaftspolitik formulieren, werden sie das von ihnen so schmerzlich vermißte Stehvermögen gegenüber der SPD erlangen. Denn per se sind die Sozialdemokraten nicht die besserern Ökonomen, sie sind bisweilen auf diesem Feld noch nicht einmal modern. Dieter Rulff
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