: Das Jackett von Jeanette
Jeden Abend um 19.30 Uhr verliert Pro7 den Überblick – und liefert seinen spielfilmverwöhnten Zuschauern ein Nachrichten-Potpourri ■ Von Thorsten Schmitz
Ein Kunststück verspricht Pro7 jeden Abend: „Die ganze Welt um halb acht, in guten wie in schlechten Zeiten.“ Und trotzdem funktioniert die Hauptnachrichtensendung aus Kirchs Konservenkiste wie ein Überraschungsei: Man weiß nie, was einen erwartet. Auch hinter den Kulissen nicht.
Die Moderatorin trägt ein senffarbenes Jackett. Senf ist der Tod für den Bildschirm von Pro7. Die Zuschauer stehen auf die Farben ihrer BMWs und Handys, auf sattes Schwarz, Rot und Blau. Senf zerstört den Lifestyle.
Betont öffentlich-rechtlich schiebt Jeanette Riesch die rechte Schulter nach vorne, drückt den rechten Unterarm fest auf den Glastisch, hebt wenig, nur ganz wenig, die Augenbrauen – da ertönt die Stimme des Regisseurs über Studiolautsprecher. „Was ist das für ein Jackett Jeanette?“
Mit zugepetztem Auge läßt sich die Moderatorin die blonde Quotenfrisur zurechtsprayen. „Ich hatte es schon zweimal an“, sagt sie. „Aber es paßt nicht zum Studiohintergrund“, mäkelt Wolfgang Lanzenberger. „Was Graues wäre gut.“ Riesch protestiert: „In Grau sehe ich aus wie hundert!“
Pro7 ist ein junger Sender für junge Leute mit jungem Geschmack, die Nachrichten sind ein Feigenblatt, das sich um die Spielfilme rankt. Wenigstens die Optik soll stimmen. Drum läßt Lanzenberger nicht locker: „Hinter mir stehen fünf Männer, die alle finden, daß dein Jackett nicht geht.“ Eine edle Farbe möchte der Nachrichten-Designer, die ganze Sendung ist eine einzige edle Komposition. So edel, daß man vergißt, ihr eine Information zu entnehmen.
Sprachlos zieht die Nachrichtensprecherin ein dunkelblaues Jackett an – und lächelt wieder. Das Versöhnliche im Blick gehört zu Rieschs Naturell: „Trotz Aufständen, Unruhen und Katastrophen verliert sie nie ihre positive Ausstrahlung“ – so sieht Pro7 seine Anchorwoman. Ihre blonden Haare fungieren als Beruhigungsmittel: Frauen mit dunklen Haaren, sagt ein Redakteur, „schaffen kein Vertrauen“.
Mit den „Pro7 Nachrichten“ sucht der Münchner Sender sein Image als nichtssagender Filmabnudelsender abzuschütteln. So sind die Werbestrategen von Pro7 um kein Superlativ verlegen, wenn es um die frisch frisierte Hauptnachrichtensendung geht. Mehr als 30 Millionen Mark kostete der Technik-Tempel, für Pro7 „Deutschlands modernste Nachrichtenzentrale“: ein 450 Quadratmeter großer und „bisher einzigartiger Newsroom“ auf zwei Ebenen für 120 Mitarbeiter, in dem 180 Bildschirme flimmern und die Redakteure arbeiten. In Wahrheit tun sie nur so, als seien sie schwer beschäftigt, vor allem aber sind sie jung und schön.
Vor dieser Kulisse, einer Art CNN-Imitat, hetzen Jeanette Riesch, 30, oder Jan Fromm, 55, die Zuschauer um den Erdball. In ihrem Bemühen, die ganze Welt in dreißig Minuten zu packen, präsentieren sie atemraubend viele Meldungen – als hätten sie den Überblick verloren.
Komponiert wird die Tagesschau an diesem Freitag von Joachim Beck, 38, und Folkert Lohmann, 42, den Chefs vom Dienst. Beck plant am Morgen vor und „leiert an“, Lohmann übernimmt den Taktstock am Nachmittag und „fährt die Sendung zu Ende“. Das Splitting soll verhindern, daß nur ein Chef der Sendung seinen persönlichen Stempel aufdrückt. Man will ja ernst genommen werden.
„Wir machen eine seriöse Nachrichtensendung“, sagen Beck und Lohmann. Als glaubten sie selbst nicht so richtig daran, flimmert ein Digitalband mit der immer gleichen Losung zwischen den 180 Schmuck-Monitoren: „Pro7- Nachrichten: gründlich und kompetent.“ Was Beck und Lohmann nicht machen wollen, wissen sie genau: kein bißchen Boulevard. Die „Tagesschau“ hilft ihnen, nicht vom Pfad der Seriosität abzukommen: „Im Hinterkopf habe ich immer, was wird wohl die ,Tagesschau‘ bringen“, sagt Beck. Wie in der Lenor-Werbung das schlechte Gewissen schweben die öffentlich-rechtlichen Nachrichten über den Redakteuren: „Man nimmt uns doch erst dann eine Meldung ab“, sagt ein Inlandsredakteur, „wenn sie auch in der ,Tagesschau‘ gelaufen ist.“ Die Redaktion fühlt sich in ihre ARD-Kollegen ein – und bleiben doch auf der Strecke. „Wenn wir so viele Korrespondenten hätten wie die“, ist ein Redakteur überzeugt, „könnten wir dieselbe Qualität liefern.“ Pro7 verfügt über ganze zwei Auslandskorrespondenten – und nur sechs in Deutschland.
Neun Stunden vor der Sendung stehen die drei „Topthemen“ schon fest: Innenminister Kanthers Pressekonferenz zum Aufenthaltsstatus von Bosnienflüchtlingen, der 50-Punkte-Plan gegen Arbeitslosigkeit und Inflation, der CDU/ CSU-Strategiegipfel in Wildbad Kreuth. Was am Abend aussieht wie das spontane Produkt eines Tages, ist in Wahrheit die langfristig geplante Schau: Zwei Drittel der Themen standen Tage vorher schon fest. Nicht vorhersehbar allerdings ist das Wetter: Der Bonner Korrespondent kann nicht zum Strategiegipfel fliegen, weil wegen dichten Schneetreibens alle Flüge gestrichen wurden. Das Topthema ist in Gefahr, in den Nachrichtenüberblick zu rutschen, ohne Korrespondenten-Bericht live vor Ort. Beck bleibt bedächtig: „Es wird schon klappen.“ Es muß klappen, denn alle anderen Sender sind schon längst da.
Als kurz darauf die ersten Meldungen kommen von einer Geiselnahme in Hagen, wiegelt Beck ab: „Wir schicken nicht zu jeder Blutlache ein Kamerateam.“ Seriositätshalber fällt die Geiselnahme am Abend unter den Tisch.
Zur kollektiven Kontrolle, ob das Soll an Ernsthaftigkeit auch nie unterschritten wird, gucken alle Redakteure am Vormittag die Sendung vom Vorabend. Sie entdecken arge Fehler – formeller Natur allerdings nur. In einem Bericht aus Straßburg steht die Stadt mit doppeltem s geschrieben, wie kann so was passieren? Weshalb hat niemand darauf geachtet, daß hinter den Namen der Politiker Poppe und Lummer die Parteien stehen? Und die Schlagzeile „Grünes Licht für umstrittenes Kunstfett“ ist wirklich zu dämlich. Sehr schön, daß man die Meldung von der Aufnahme Rußlands in den Europarat noch mitnehmen konnte, noch viel schöner aber, daß der Pro7-Zuschauer nun weiß, was der Europarat eigentlich ist. Die „Tagesschau“ hat das bei ihrer Klientel vorausgesetzt – und nichts erklärt. In Börsenatmosphäre verteilen Beck und Lohmann die Themen an die Redakteure, diskutiert wird so gut wie nicht.
Am Mittag feilt das Chef-Duo Beck und Lohmann an den Schlagwörtern unter den Bildern neben dem Moderatorenkopf. Als Alternative zu Strategie fällt ihnen Kursbestimmung ein, statt Preisauftrieb erscheint am Abend das Wort Inflation – unter einem Gemüsekorb. Jüngere Zuschauer soll die Nachrichtensendung in den Bann ziehen, „deshalb erklären wir viel und viel mehr als die ,Tagesschau‘“, sagt Folkert Lohmann. Irgendwas scheinen sie dabei falsch zu machen: Zur Zeit werden höchstens eine Million Menschen der „Tagesschau“ untreu.
Eine der wichtigsten Arbeiten verrichtet zu diesem Zeitpunkt der Praktikant: er stiert auf drei Fernseher, über die Bilder aus aller Welt kommen. Die Zuschauer gucken Pro7 wegen der Spielfilme, nicht wegen der Nachrichten. Deshalb gibt es keine Nachricht ohne Bild: „Sonst würden die sofort umschalten“, sagt eine Redakteurin. Der Praktikant notiert jede Schießerei in Tschetschenien, jede Demonstration in Kapstadt. Als Beck ihn nach den Aufnahmen von Hillary Clinton vorm Untersuchungsausschuß fragt, liefert er mit der Antwort zugleich ihren Gebrauchswert: „Na ja, sie sind halt aktuell.“
Es dürfe „keine Grauzone im Verstehen geben“, skizziert Siegfried Butty, 47, das Arbeitsethos. Selbst komplexe Themen, findet der stellvertretende Chefredakteur, müßten in einfache und klare Sätze gegossen werden. „Wir wollen von jedem verstanden werden, egal ob einer 17 Wochen auf Feuerland war oder als Putzfrau arbeitet.“ Pro7 dürfe sich nicht in „Thomas-Mann-Sätzen verlieren“. Jeden Tag die Welt in eine vertrauenserweckende 30minütige Form gießen, die sie ja gar nicht hat, „das ist unsere Mission“. Vertrauen durch Quantität, ungeachtet der Qualität. Um das Erinnerungsvermögen von Putzfrauen und Feuerlandurlaubern zu steigern, werden die Themen am Ende jeder Sendung in Videoclip-Manier zusammengefaßt. Der Service ist umstritten. „Die Zuschauer müssen denken“, befürchtet ein Redakteur, „wir hielten sie für dumm.“
In der letzten Stunde vor dem Erklingen des monumentalen musikalischen Intros redigiert Folkert Lohmann Texte und kontrolliert Filmüberspielungen – die Redakteure lachen derweil über einen Witz im Stern, in dem eine Schneefrau zu einem Schneemann sagt: „Sie haben so was herrlich Unverfrorenes.“ Die Muße dazu haben sie, bei den vielen kurzen Meldungen ist jeder Redakteur im Laufe des Tages für höchstens fünf oder sechs Textzeilen zuständig.
In der Maske läßt sich Jeanette Riesch ein hitzebeständiges Make- up auftragen. Sie findet es „ganz mühsam“, das Vertrauen der Zuschauer zu finden. Wie das funktionieren soll, ist ihr ein Rätsel. Sogar ihre Freunde sprechen von „den richtigen Nachrichten“ – und meinen damit nicht ihre, sondern die der „Tagesschau“.
Um 19.30 Uhr liest Jeanette Riesch die Ergebnisse eines Zwölfstundentags vom Teleprompter ab. Vor lauter Seriosität haben sich in die Berichte Worthülsen eingeschlichen. Der Reporter vermeldet aus Wildbad Kreuth unzensiert, daß „trotz Eis und Schnee von unterkühlter Stimmung zu Beginn des Strategiegipfels keine Rede sein könne“, CDU und CSU würden ihre „politische Marschrichtung“ festlegen, demonstrierten „Geschlossenheit“.
Der Konferenz-Journalismus ergeht sich gern in solchen Vermutungen, weil es außer Vermutungen in der Regel nichts zu berichten gibt. Welcher Reporter nimmt schon die Mühen eines mit Hindernissen gepflasterten Weges auf sich und sagt: „Ich weiß nichts.“
Der Beitrag über Innenminister Kanthers Erklärung, daß Bosnienflüchtlinge nach dem Grundsatz „Ein Gast bleibt ein Gast“ behandelt werden, beginnt mit Demonstranten in Bonn, die für ein Bleiberecht sind. Pro7 reichert den Bericht mit Bildern an von Flüchtlingen, die Treppen kehren, Tee trinken, Zigaretten rauchen. „Eine Katastrophe!“ sagt ein Redakteur, „wir geben Kanther Futter und zeigen, daß Flüchtlinge nur faulenzen.“ Folkert Lohmann ist das gar nicht aufgefallen, er fand die Sendung „ganz normal“.
Morgen wird Jeanette Riesch etwas früher in die Redaktion kommen, der Regisseur will das so. Sie soll mal alle ihre Blazer und Blusen vor der Kamera testen.
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