Your own private Mecklenburg

Männer auf verlorenem Hügel oder Neuseeländer sichtet Berliner Künstlerzausel: „Rosinenberg“ von Trevor Peters, ein zeitloser „Film über die Liebe und andere Notwendigkeiten“  ■ Von Anke Westphal

Dem Betrachter eröffnet sich eine vom Frühnebel verhangene Weite. Idaho, Mecklenburg, gar Neuseeland? Dann ruht der Blick auf Backstein, Kletterrosen und Korn – klarer Fall: Als lupenreines Mecklenburg erweist sich, was der Neuseeländer Trevor Peters zur Seelenlandschaft seines Dokumentarfilms „Der Rosinenberg“ bestimmte.

Der Rosinenberg ist ein abseits eines mecklenburgischen Dorfes gelegener Hügel, auf dem sich in den dreißiger Jahren drei Bauernfamilien angesiedelt hatten: eine aus dem Rheinland, eine aus Westfalen und eine aus Mecklenburg. Die Bauersfrauen und Töchter galten als die schönsten weit und breit, was den Namen des Hügels erklärt, doch das ist lange her. Jetzt leben drei Männer auf dem Rosinenberg, jeder allein in seinem Haus, und den Berg müßte man eigentlich Käuze-Berg nennen.

Mitte der achtziger Jahre machten die drei sich als „komische Berliner“ „verdächtig“, weil sie die abgelegensten Höfe kauften: „Das konnte ja auch kriminell sein, so weit vom Schuß.“ Sie waren aber keine Kriminellen oder gar Staatsverschwörer, sondern nur Künstler, was mitunter dem ersteren gleichgesetzt wurde – ein Fotograf, ein Kunsttischler, ein Maler. Sie werden von Frauen und Freundinnen verlassen, pulen Steine aus den Pflaumen und fahren kuriose Sitzfahrräder. Einsam verzehren sie abends ihr Brot, einer liest morgens die taz. Das ist dem Regisseur keine Frage zum Ausmaß des Rückzugs wert – so what.

Ich weiß nicht, warum der Regisseur ausgerechnet diese drei Eigenbrötler auswählte, deren Leben zudem vom melancholischen Gleichmut der Landschaft gerahmt wird, und was genau er nun mit diesem Film bezweckt. Peters ist, wie erwähnt, Neuseeländer, doch Klischees sind ja international. Man hofft vergeblich auf den fremden Blick, allein – worauf sollte er sich wohl richten? Mag sein, daß Trevor Peters im idealisch stilisierten Leben der drei Zausel den Traum seines eigenen Lebens gespiegelt sah, aber das kann ich nur vermuten, denn ich kenne Peters' Leben nicht.

Wenn man die drei Männer so reden und also auf die Fragen des Regisseurs antworten hört, kann einem auch die Vermutung kommen, daß Peters einfach nur demonstrieren wollte, wie wenig manche Zeitgenossen für ein geselliges Miteinander geschaffen sind und daß eine hübsche Landschaft hinterm Haus und ein paar Schafe auf der Weide ja auch etwas Schönes sind im Leben. Motto: Männlich, ältlich, ledig sucht Kunst und praktiziert eine bestimmte Abart von Sozialautismus, die im Dienst des Höheren steht. Für diese sich nun einmal aufdrängende Deutung können die drei Künstler trotz aller Eigenbrötelei nun herzlich wenig, im Gegenteil.

Immer wenn die Geschichte des Malers erzählt wird, tut es einem besonders leid, daß der Regisseur seinem Film so erbärmlich wenig Struktur gibt. Einmal stolpert er mit seinen Helden gar übers Feld – was für ein sinnträchtiges Bild! Nun befragt Peters die alte Bauersfrau Schingen nach ihrem Leben. Wären nicht ihr Frohsinn und ihre Vitalität, der Film müßte mit all diesen Sonnenauf- und -untergängen und stummen Charakterköpfen glatt als Postkarte durchgehen. Nach dem Tod des Mannes hat Frau Schingen flugs den Hof verkauft und ist in die nächste Stadt gezogen, wo es immerhin einen Markt gibt und sie ihren Hut spazieren tragen kann. Die zehn Kinder waren in alle Lande verstreut.

„Der Rosinenberg“ will kein völlig hermetischer Film sein, nein, Trevor Peters erkundigt sich auch bei anderen Dorfbewohnern nach der Akzeptanz der drei Grauköpfe, vollbringt dabei aber tatsächlich die Kunst, fast alle Auftretenden der Austauschbarkeit anheimzugeben. „Unsere Kinnstler“, sagt der ehemalige Bürgermeister, aber was folgt daraus? „Diese Unordnung da sagte mir nicht zu“, bekennt der Ortsspitzel. „Die liefen ja fast nackicht rum“, empört sich ein anderer, und doch erfährt man nichts wirklich über enge DDR- Normen und vor allem darüber, wie es den Künstlern dennoch gelang, halbwegs friedlich neben ihnen kozuexistieren.

„Der Rosinenberg“ ist, so scheint's, völlig aus Zeiten und Welten gelöst, aber vielleicht ist das ja Peters Methode, eine innere Emigration abzubilden. Trevor Peters bezeichnet seinen Dokumentarfilm im Untertitel als „Film über die Liebe und andere Notwendigkeiten“. Sicher ist damit die Verkettung aus Liebe und „heiliger Pflicht“ umschrieben, der sich die Bäuerin Schingen unterordnete, und doch. Was für ein schöner leerer Film.

„Der Rosinenberg“, Deutschland 1995, Regie: Trevor Peters, 90 Min, ab 23., 24., 26. und 27.3., Babylon Mitte, Rosa-Luxemburg-Straße