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Der Fleck, ein Dreck, ein Bürgerschreck

Assoziationshöfe noch und noch: „Der Fleck in Geschichte und Gegenwart“, zu sehen in Berlin  ■ Von Brigitte Werneburg

Es hat ein Ende mit der Sudelei. Wer am Computer schreibt, der kleckst nicht mehr mit Tinte aufs Papier, der schreibt ins Reine. Doch lange davor waren die Sudelbücher schon heroische Vergangenheit. Und dabei möchte man Peter Funkens Einfall zur Ausstellung „Der Fleck in Geschichte und Gegenwart“ letztlich der Lektüre Lichtenbergs zuschlagen. So amüsant, assoziations- und im wahrsten Sinne kunstreich sind konzeptuelle Ausstellungen im Moment eher selten.

Wer also glaubt, der Cyberspace sei fleckenlos, wird eines anderen belehrt. Daß bei der Produktion von Mikrochips die schönsten Patzer passieren, zeigt wenigstens die optische Fehlerkontrolle. Dann strahlen die schadhaften Chipstrukturen wie kleine Sonnen.

Aber dem stigmatisierten Chip geht erst einmal die stigmatisierte Therese von Konnersreuth voran, das legt schon der Ausstellungstitel nahe. Nichts verwehrt es allerdings, die Chronologie des elegant geführten Ausstellungsaufbaus zu verlassen und nach eigenem Gusto hin und her zu springen, eigene Knoten zu knüpfen, eigene Verdichtungen, kurz, Flecken zu machen.

Da ist zum Beispiel, ganz am Ende des Galeriegangs in der Orangerie des Körnerparks, der im Berliner Stadtteil Neukölln liegt, Anne Katrin Dolvens Video über das Entfernen eines Flecks. Ihr Wüten, das unsere gewöhnlichen Reinigungsrituale zum puren Staubwischen degradiert, scheint eigentlich nur das säkulare Echo auf das fromme Bluten zu sein.

Seht meine Wunden! Eva & Adele, die kahlköpfigen „Twins in Art“, antworteten darauf am Eröffnungsabend mit der unschlagbaren Eleganz ihres Schneiderkostüms aus geflecktem Leopardenfell. Es war zwar Imitat, doch symbolisch, das heißt vernünftig gesprochen, wollten sie doch nur sagen – man kann auch für sich bluten lassen.

Sudelsucht und Fleckenfreude, das ist die Sehnsucht nach dem unschuldigen Tun, wenn nicht der Wunsch nach der Idee. Aus nichts entsteht ja leichter eine Idee als aus einem Fleck. „Man muß nur draufdrücken, dann wird ein richtiger Schmetterling draus“ (Louis Ferdinand Céline). Oder man tropft Tinte auf ein Papiertaschentuch, was zumindest bei Bernhard Garbert „Nasenbluten“ ergibt. Man sieht, die Männer vertreten die symbolische Ordnung und verschmähen die rohe Natur – gerade weil der Fleck sie so häufig verrät?

Seitdem jedenfalls der Putzteufel die Frauen nicht länger in seinen Klauen hat, schrubben sie auch nicht mehr sofort all ihre Ideen weg. In heller „Panik“, wie Luis Weinberger seinen Tintenfleck auf zwei Gipsblöcken nennt. Selbst wenn sich beobachten läßt, daß die hausfraulichen Tugenden noch immer durchschlagen. So vertuscht Polly Apfelbaum ihr unreines Tun in wohltätiger Dekoration, und ihr Fleckentuch ist zum schmucken Vorhang drapiert, während Maya Roos im Fleck das Spiegelei erkennt. Nur Nonja, eine Orang-Utan-Frau aus dem Schönbrunner Tiergarten in Wien, scheint der Kleckserei ohne Hintergedanken ergegeben und malt sehr flache, übrigens auch sehr saubere, farbenfrohe gestische Abstraktionen. Es wird berichtet, daß ihr Mann, vom Kunstschaffen seiner Gattin entnervt, ihr die Farben wegzufressen versucht.

Aus kunsthistorischer Sicht kommt als Nonjas Vorgänger natürlich nur „Fips der Affe“ in Betracht. Wenngleich er ein grimmiger Bursche ist, der mit der Tinte nur so um sich schmeißt: Bei Wilhelm Busch ist es die helle Wut, die dunkle Flecken zeitigt. Er war es auch, der mit seinem „Maler Klecksel“ den Anstoß für die Ausstellung gab. Klecksel ist natürlich der verfemte Künstler, der Schmierer und Dilettant, die Vaterfigur des Dada- und des Surrealismus, noch mehr des Action- painting, des Tachismus, kurz, der modernen Abstraktion. Lothar Günter Buchheims „leicht faßliche Anleitung, Methode Sailer-Mose“, deckte 1958 auch gleich das Geheimis der Frage: „Wie malt man abstrakt?“ auf: „Neo-Pointillismus“ war nur ein Fliegenschiß.

Ein Wahnsinn, dem Wolfgang Hahn Methode gab. Denn rund zwei Jahrzehnte später züchtete Hahn tatsächlich Fliegen, die er mit bunt gefärbter Zuckerlösung fütterte und auf einen Malkarton setzte. Der Rest erledigte sich von selbst. Der Fleck, ein Dreck, ein Bürgerschreck: bei Sigmar Polke unschuldig weiß, bei Louise Lawler an der Wand, bei Dürer auf dem Bauch, „da, wo es weh tut“, bei Ludwig Wittgenstein in einem passenden, identischen Loch und bei Thomas Kapielski über Jahrzehnte von eiligen Berliner Kellnern in die Schwingtür zwischen Küche und Lokal gerieben. Die Heilige Jungfrau ist er für Picabia, aber nur ein klassischer Rohrschachtest für Warhol, während der entscheidende Vorzug der Konzeptkunst bei Lawrence Weiners „Two Minutes of Spray Paint Directly Upon the Floor From a Standard Aerosol Spray Can“ in ihrer jederzeit möglichen Wiederholung schließlich offen zu Tage liegt.

Und dabei möchte man meinen, nichts widersteht der Fleck mehr als seiner standardisierten Reproduktion. Unkontrollierbarkeit ist das große bürgerliche Stichwort zum bösen kleinen Fleck, der Unordnung und Chaos signalisiert und den alltäglichen Unfall aus Ungeschick. Der Fettfleck im Buch ist der Schandfleck des eifrigen Lesers. Ist dieser deshalb gleich einer der Gesellschaft? Und glaubten wir die politische Säuberung in unserem Jahrhundert überwunden, sehen wir uns nun mit der ethnischen konfrontiert. Es ist viel Leid mit dem Eifer um den Fleck und den Kampf um die Reinheit verbunden. Nicht zuletzt deshalb ist es ein glückliches Schwelgen in dieser Ausstellung, in der es selbst Stempel der „Flecken großer Künstler und Künstlerinnen“ gibt. Gereon Inger hat ihre Sudeleien gesammelt, systematisiert und reproduziert. In seinem Multiple vereinigen sich bürgerlicher Ordnungswille und anarchistisches Fleckentreiben zu guter Letzt in schönster Ironie.

Bis 14. April, Galerie im Körnerpark, Schierker Straße 8

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