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Nadeltausch a la Hindelbank

■ Der Frauenknast in Vechta/Niedersachsen wagt die Spritzenvergabe im Modellversuch. Man stützt sich auf die Erfolge in der Schweiz: „Das darf jetzt hier nicht scheitern“

„Hindelbank macht uns sicher.“ Ullrich Krenz, Anstaltsleiter des Frauengefängnisses in Vechta/ Niedersachsen, startet ab Ostern die Vergabe steriler Einwegspritzen an Heroinabhängige. „Hätten wir da nicht die Frauenanstalt Hindelbank/ Bern als Vorbild, wir wären lange nicht so weit.“

Spritzenvergabe in deutschen Knästen ist immer noch ein Reizthema. JustizministerInnen scheiterten daran. Bedienstete wehren sich vehement dagegen, Anstaltsleiter scheuen die juristische Grauzone. Auch in Niedersachsen wagt man sich mit Vechta vorerst nur an den Modellversuch heran. Zwei Jahre soll er laufen. Doch auch in diesem Punkt wird zuversichtlich in Richtung Schweiz geblickt: In Hindelbank währte die Spritzenvergabe ebenfalls zunächst nur unter Vorbehalt. Letzten Sommer war das eine Jahr Projektzeit um. Niemand hatte sich in Hindelbank neu mit HIV oder Hepatitis B oder C infiziert. Der Drogenkonsum war nicht weiter gestiegen. Seither werden Einwegspritzen in den Schweizer Gefängnissen legal verteilt.

„Vechta darf nicht scheitern“, kommentiert der Politikwissenschaftler Rüdiger Meyenberg. Meyenberg ist Professor an der Universität Oldenburg und leitet dort die „Arbeitsstelle Sucht und Prävention“. Er ist außerdem Leiter des „Modellversuchs Spritzenvergabe“ und sitzt einer Expertenkommission vor, die vom niedersächsischen Justizministerium einberufen wurde. Den Spritzentausch in Deutschlands Gefängnissen hat er schon lange propagiert. „Doch aufgemerkt haben die Ministerien erst, als er endlich von den Anstalten selbst gefordert wurde.“

Auch Vechta hat sich bei Justizministerin Heidi Alm-Merk in Hannover gemeldet. „Schon früher und immer wieder“, erinnert sich Ullrich Krenz. Wirkung gezeigt habe allerdings erst die erschreckend hohe Zahl an Hepatitis-infizierten Frauen. Knapp 80 Prozent der heroinabhängigen Frauen in Vechta haben das Gelbsucht-Virus; Hepatitis B und C können in tödlichem Leberversagen enden. „Und über 50 Prozent unserer rund 180 Frauen nehmen harte Drogen“, so Krenz.

Diese Zahlen haben Hannover dann letztendlich doch noch aufgeschreckt. Heidi Alm-Merk rief die Kommission zusammen; diese untersuchte Gegebenheiten, Vorbehalte und Ziele und reiste gemeinsam nach Bern. Man kam beeindruckt zurück. „Man diskutiert dort“, staunt Professor Meyenberg. Der Umgang mit Drogen sei dort überhaupt sehr viel offener und unkomplizierter, die Abhängigen würden weniger stigmatisiert und drangsaliert.

Doch Hindelbank ist nicht so ohne weiteres auf Vechta übertragbar. Vechta will den Spritzentausch im geschlossenen Vollzug. Und das deutsche Betäubungsmittelgesetz formuliert nicht klar, daß die Vergabe von Spritzen an Drogenabhängige keine Straftat ist. „Da sind wir in einer Grauzone“, sagt Rüdiger Meyenberg. „Wir müssen experimentieren, denn eine Reihe von Fragen sind nur durch Experimente zu beantworten.“

In Vechta bekommt nun zunächst einmal jede Frau, die Bedarf anmeldet, vom medizinischen Personal eine Spritzenattrappe. Diese wird in einem für alle sichtbaren Kästchen in der Zelle aufbewahrt, und sobald dann ab Ostern die Automaten stehen, kann dort (anonym) die alte Spritze gegen eine neue getauscht werden. „Die Frage ist nun, wie bringen wir die Bediensteten dahin, daß sie die Spritze wie ein Gummi-Eßbesteck wahrnehmen und nicht wie bislang als kriminelles Indiz.“ Und Rüdiger Meyenberg, der dokumentierende und kontrollierende Wissenschaftler, kann auch nicht ganz ausschließen, daß die Spritze nicht vielleicht doch als Waffe eingesetzt wird. „Die Verantwortung dafür liegt immer bei der Anstaltsleitung.“

Diese gibt Entwarnung und spricht wiederum von Hindelbank. Dort wurde nämlich keine Spritze mißbraucht. Ullrich Krenz bestätigt außerdem, ein „relativ großer Teil“ der Bediensteten für die Bereiche Betreuung, Versorgung und Überwachung stehe dem Spritzentauschprojekt „wohlwollend gegenüber“. Wie weit die Unterstützung wirklich geht, kann er nicht genau sagen. Doch die Bediensteten sind neugierig auf die Erfolge in der Schweiz. Letzten Sommer wurde eine Partnerschaft zwischen beiden Frauengefängnissen gegründet. Seither ist ein regelmäßiger MitarbeiterInnenaustausch ins Laufen gekommen; es gibt auf beiden Seiten Wartelisten. „Wer das gesehen hat, wie dort pragmatisch mit dem Problem umgegangen wird, tut sich bei uns erheblich leichter.“

Ullrich Krenz findet, „das gute Klima“ ebne in Vechta dem Spritzentausch den Weg. Niemand der Bediensteten laufe dort in Uniform herum. Man werde zwar alles daran setzen, daß die Droge nicht ins Haus komme, und wie gehabt alle vier Wochen die Zellen durchsuchen. „Aber wir wollen auch nicht, daß die Frauen sich hier infizieren“, so Krenz. Die Spritzenvergabe ist ihm wichtig – Abstinenz- und Substitionstherapie sind es ihm noch viel mehr. „Der Weg ist aber jetzt schon der richtige.“

Das findet man inzwischen auch im Justizministerium in Hannover. Man sei den Empfehlungen der Expertenkommission zwar nicht blind, aber in großen Teilen gefolgt, bestätigt Justizsprecherin Franziska Grevel. „Jetzt ist die Frage, ob der Modellversuch hält, was wir uns versprechen.“ Wenn die Infektionsraten zurückgehen, vielleicht auch wenn sie nicht steigen, könne man über eine landesweite Einführung reden. Doch anderswo blocken noch die Bediensteten: Dem Versuch in Vechta wird zunächst einer im Männergefängnis Groß-Hesepe, einer Abteilung der JVA Lingen I folgen. „Da sind sie noch nicht so weit, sie wissen noch zu wenig“, weiß die Sprecherin. Hamburg und Berlin seien weiter.

Tatsächlich versucht sich Hamburg mit einer (unsinnigen) Spritzenvergabe im offenen Vollzug, Berlin ergeht sich in Absichtserklärungen. Bremen schweigt.

Silvia Plahl

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