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Hinein in den Mief der Hauptstadt

Am Kiosk und im Taxi erfährst du die Wahrheit über Deutschland. Jakob Arjouni verlegt sich vom Krimi auf den Zeitroman und von Frankfurt aufs Berliner Milieu: „Magic Hoffmann“  ■ Von Peter Unfried

Ein Mann kommt nach Deutschland. Er ist aus dem Gefängnis entlassen worden und steht nun in Berlin. Der Mann heißt Hoffmann. Fred Hoffmann kommt aus Dieburg, einer hessischen Kleinstadt, zwischen Darmstadt und Aschaffenburg gelegen. Hoffmann war nach einem Banküberfall sozusagen vier Jahre weg aus Deutschland. Da hat er eine Menge verpaßt. Oder auch nicht. Hinter Mauern hat es keine Bedeutung, wenn draußen welche umfallen.

Doch jetzt ist er 24 und macht sich auf den Weg ins Leben. In Berlin sitzen Annette und Nickel, die beiden Jugendfreunde und Komplizen, und verwalten das gestohlene Geld. Also: Der Junge besteht darauf, sich „Magic“ rufen zu lassen, er redet vorwiegend in englischen Versätzen, denn er will, wie einst den Freunden geschworen, im Trio nach Kanada.

Jakob Michelsen (31), der sich Jakob Arjouni nennt, hat seit Mitte der 80er mit einer Krimi-Trilogie um den türkisch-deutschen Privatdetektiv Kemal Kayankaya jede Menge Schlagzeilen und Auflage gemacht. „Happy birthday, Türke!“ (1985) und „Mehr Bier“ (1987) waren glänzend unterhaltsam geschriebene Krimis aus dem Frankfurter Bahnhofsmilieu. Der dritte Kayankaya, „Ein Mann, ein Mord“ (1991), wies allerdings bereits stärkere Abnutzungserscheinungen auf.

Dreimal Stilübungen gemacht, sich mit Freude gesuhlt im ironischen Spiel mit den Versätzen des Krimi-Genres – nun fühlte sich unser Mann reif für Größeres. Arjouni ist in Rödermark Ober-Roden aufgewachsen, zwischen Darmstadt und Aschaffenburg gelegen. Seit acht Jahren lebt er in Berlin. Jetzt geht sein Magic Hoffmann nach Berlin, Deutschland.

Er trifft sie alle. Zuerst: Den Kioskmann (ein beliebtes Motiv aus der Kayankaya-Trilogie. Merke: Am Kiosk erfährt man die Wahrheit über Deutschland). Schon diese Exposition weist nun aber leider jene erzählerischen Schwächen auf, die den gesamten Roman bestimmen. Und er führt einen jener Sätze ein, die in einem neueren Krimi als halbparodistisches Spiel mit dem Genre durchflutschen, die aber hier richtig weh tun: „Andererseits hatte noch keiner der Jungs bei seiner ersten Flasche in Freiheit einen so bestimmten und zielstrebigen Blick gehabt.“

Nun, auch in Dieburg ist nichts mehr, wie es war, das hat selbst Fred schnell raus. Annettes Mutter, die Erfinderin der „Rama-Familie“ hat das Kleinstadt-Idyll nicht aufrechterhalten können. Die nämlich, sagte schon der Vater einst zum kleinen Fred, sei „klüger als das, was sie lebe“. Aha! Aus Verzweiflung und gewissermaßen stellvertretend wegen all der Dieburger und deutschen Lebenslügen ist sie zur Alkoholikerin geworden. Darüber nun ist auch Fred mächtig mitgenommen. Ihm „stockte der Atmen“. Annettes Vater übrigens auch. Das klingt dann so: „Seine früher strahlend blauen Augen waren in den letzten Jahren stumpf geworden.“ Das ist fast so schön wie der Satz: „Bei Monis Augen hatte er das Gefühl, sein Blick falle ins Meer.“

Diese dahingeschriebenen Kolportage-Versätze sind nicht Arjounis einziges Problem. Auch seinem Personal tut er mächtig Gewalt an. Statt die Charaktere sich durch Handlungen und O-Töne entfalten zu lassen, stranguliert er sie, kaum, daß sie eingeführt sind, mit rigiden Regieanweisungen.

„Tatsächlich war Fred dumm ebenso wie klug. Sagenhafte Einfalt wechselte mit überraschender Schlauheit ab. [...] Was Fred nicht interessierte, kapierte er auch nicht.“ Jedenfalls: Während alle von Deutschland reden, sich aber, wie Annette, eigentlich nicht im geringsten darum scheren, muß Fred, der nichts von seinem Land will, es schmerzlich erfahren. Und: Wo ginge das besser als im Berlin der Nachmauerzeit, dieser Stadt der „Illusionsneurose“?

Also werden abgeklappert: das Proletariat; wir lernen kennen: einen sehr unfreundlichen „Taxifahrer“ (immer gut, speziell in Berlin). Eine fette Frau im „rosa-grün gestreiften Jogginganzug“ namens „Twiggy“: Verarmt! Arbeitslos! Po' white trash! Der „gewitzte Rudi“ wiederum haut den Osten übers Ohr. Der Kontrast dazu sind Annettes Filmfreunde von der Agentur „Megastars“: Kulturdeppen mit Kulturdeppengeschwätz. Aber was, Klischees? Die sind einkalkuliert in Arjounis satirischer Erzählperspektive, behaupteten jedenfalls die Rezensenten.

Also: An der FU, an der die StudentInnen das große I mitsprechen, wird an Hoffmanns Freund „Nickel“, dem Sohn eines Eisenwarenhändlers (Achtung: satirische Perspektive), noch einmal das literarische Prinzip exekutiert. Zunächst wird Nickel mit einem Satz festgenagelt: „Schon immer hatte er den Hang gehabt, etwas mit über etwas reden zu verwechseln.“ Dann? Verwechselt er etwas mit über etwas reden.

Während der Antiheld Hoffmann die emotionale und klimatische Kälte, den Mief, die geistige Provinz der Hauptstadt erleidet, tut sich in dieser Tristesse plötzlich ein Ausweg auf: Liebe, äh.

Maria Remarque, hilf! Es tritt auf eine Frau namens – Moni Sergejew. Das ist jetzt mal eine patente Berliner Göre, mit der man Wodka trinken kann, GV haben, Geld verspielen und Geschäfte mit der Russen-Mafia machen.

Während die prätentiöse Annette die Kleinstadt in ihr mit Hochkultur betäuben will, und der pedantische Neo-Spießer Nickel sich längst in der großen seine kleine Welt gebaut hat, steht also Hoffmann mitten im Leben. Rassismus. Im prallen Leben. Antisemitismus. Wird immer praller.

Denn, ehrlich: Das alles reicht noch nicht für einen Deutschland- Roman. „Ich bin seit zwei Wochen aus'm Knast, und von allen Seiten höre ich Deutschland, Deutschland, und irgendwie hört sich's immer gleich an.“ Sagt Hoffmann. Nichts wie raus aus Deutschland. Diesem „locus terribilis“ (Focus), wo kein Klischee gescheut wird, im Gegenteil, einkalkuliert ist.

Moni kommt mit. Aufgepaßt: Zum ersten Mal, seit Hoffmann in Berlin ist, scheint der Mond (Seite 267). Dann scheint zum ersten Mal, seit er in Berlin ist, die Sonne (Seite 271). Dann ein „langer Kuß“ (Seite 273).

Und dann haben die früh und noch in Dieburg eingeführten Nazis ihren großen Auftritt. Bahnhof Zoo. Das ist jetzt wie in den 30ern. Da sind die Nazis, dort die Kommunisten. Gewalt der Straße. Apokalypse! Hochpolitisch. Ein zweiter Schlag mit dem Baseballschläger zertrümmert Monis Schädel. So ist das also mit Deutschland.

„Mit meinem neuen Roman“, hat Arjouni Focus anvertraut, „bin ich aufs offene Meer hinausgeschippert, stets in der Gefahr, das Ufer aus den Augen zu verlieren.“

Kein Witz: Diese jungen Rebellen wie Christian Kracht („Faserland“) und Jakob Arjouni haben einen cause – sie wollen einen Roman schreiben. Am besten einen in literarischer Tradition. Kommt nämlich gut. Das neue Deutschland auf den Punkt bringen. Kommt noch besser.

Sie haben nichts zu sagen über Deutschland. Sie haben überhaupt nichts zu sagen. Genau das tun sie dann auch. Die einen handwerklich gewieft, wie Kracht, die anderen mit einigen richtig guten Witzchen zwischendrin, wie Arjouni. Damit liefern sie möglicherweise eine ziemlich präzise Analyse ihrer Generation. Gute Literatur nicht. Arjounis Schlußpointe allerdings ist großartig.

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