: "Ich bin halt ein Besessener"
■ Eduard Bernhard - Porträt eines Veteranen der deutschen Umweltbewegung
Wer ihn in seinem Haus in Kleinostheim im bayerischen Landkreis Aschaffenburg, hart an der Grenze zu Hessen, besuchen will, muß sich durch Berge von Zeitungen und Fachzeitschriften, Kopien von handgeschriebenen Resolutionen, Presseerklärungen und Entwürfe von Gegenanträgen für die Hauptversammlungen schmutziger Konzerne zu seinem Schreibtisch durchkämpfen. „Bringen Sie eine Machete mit“, hatte Eduard Bernhard (69), den seine Freunde „Eddy“ nennen, schon vorher empfohlen. Er lebe nämlich, sehr zum Unmut seiner Frau, in einem „Blätterwald“.
70 Jahre alt wird der Veteran der Ökologie- und Umweltschutzbewegung im Juni. Dreißig davon hat er im Dauerkampf gegen die Atomschmieden in Hanau und die Reaktorblöcke in Biblis verbracht, hat agitiert als Vorstand des BUND-Naturschutz und heute des BBU (Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz), nicht zu reden von der Geburtshilfe für diverse Bürgerinitiativen.
Eduard Bernhard war dabei in Hanau und Biblis, in Brokdorf und Wackersdorf, in Wyhl und in Gorleben, im Startbahn- und im Lindigwald. Und er war auch in Tschernobyl, am „Ort des Grauens“ (Bernhard) – drei Jahre nach der atomaren Katastrophe.
Noch heute macht es ihn wütend, daß „solche Figuren wie der Herr Professor Birkhofer“ weiter in der Reaktorsicherheitskommission (RSK) der Bundesregierung sitzen. Birkhofer und andere Mitglieder der RSK, sagt Bernhard mit blitzenden Augen, „haben uns Ende April 1986 belogen und betrogen“. Der Fallout nach dem GAU wirke sich nur in einem Radius von 25 Kilometern rund um den geplatzen Reaktor aus, habe die RSK seinerzeit erklärt. „Danach haben die Kinder noch draußen gespielt, Gemüse und Salate aus dem Garten wurden gegessen, die Menschen gingen noch am 1. Mai – fünf Tage nach dem GAU – sorglos draußen spazieren! Alles skandalös.“
Der Zorn packt ihn auch noch zehn Jahre danach. Er hat die sterbenden Menschen und kahlköpfige Liquidatoren von Tschernobyl gesehen, die mißgebildeten und die an Krebs erkrankten Kinder. Er hat danach Kleider- und Medikamentensammlungen organisiert und dafür gesorgt, daß ein strahlenkrankes Mädchen aus der Ukraine an der Universitätsklinik in Frankfurt untersucht und behandelt wurde. „Himmel und Hölle“ habe er dafür in Bewegung setzen müssen, sagt Bernhard. Und noch heute sei er der hessischen Exgesundheitsministerin Iris Blaul (Bündnisgrüne) dafür dankbar, daß es letztendlich doch geklappt habe mit der kostenlosen medizinischen Hilfe für das Kind.
Die Politiker nahmen und nehmen ihn ernst, den zornigen alten Mann mit der Lederhand. Eduard Bernhard hat fast allen die Hände geschüttelt und sie anschließend ins Gebet genommen: Helmut Schmidt und Willy Brandt, Eduard Zimmermann und Klaus Töpfer, Walter Scheel und Joschka Fischer. Sie haben ihm für sein Engagement das Bundesverdienstkreuz um den Hals gehängt, ihm goldene und silberne Ehrennadeln ans Revers gesteckt – und ihn dabei (klammheimlich) verflucht.
Die Orden haben ihn nicht besänftigt. Immer wieder ist er ihnen auf die Füße getreten, ist ihnen, „wenn es sein mußte“, auch mit Strafanzeigen auf die Nerven gegangen. Ihnen, den Politikern, und, als kritischer Aktionär, auch den Chefs der großen Konzerne. Stolz macht ihn, daß Siemens-Chef Heinrich von Pierer ihn mitverantwortlich macht für das Ende der Plutoniumverarbeitung in Hanau. „Ich habe diesen Vorwurf natürlich zurückgewiesen, denn die Hauptschuld am Debakel von Siemens in Hanau tragen die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder von Siemens selbst. Hätten die schon vor zehn Jahren auf mich und andere gehört und die Finger von dem Teufelszeug gelassen, hätten sie die verlorenen Milliarden in sinnvollere, ökologisch verträgliche und zukunftsträchtige Projekte investieren können.“
An Selbstbewußsein mangelt es ihm heute nicht, dem in Bremen geborenen Vater von zwei Kindern und Großvater von drei Enkelkindern. Das war vor mehr als 50 Jahren anders. Im März 1945 lag der 18jährige Eduard Bernhard schwer verletzt in einem Lazarett der US-amerikanischen Armee.
Am „Brückenkopf Wesel“ hatte es den Gefreiten kurz vor Kriegsende noch „erwischt“, die Hand war weg. Und er mußte sich, nachdem er notdürftig wieder zusammengeflickt und dann entlassen worden war, auf der Heimreise eine „Bergpredigt“ von deutschen Zivilisten anhören. „Die haben mir von den Verbrechen der Nationalsozialisten erzählt und gesagt, daß Millionen Menschen noch leben könnten, wenn wir Soldaten uns rechtzeitig von Hitler und seiner verbrecherischen Ideologie abgewendet hätten.“ Für ihn ein Schlüsselerlebnis:„ An diesem Tag habe ich mir vorgenommen, gegen drohendes Unheil, gegen Ungerechtigkeiten hier und in der Welt selbst etwas zu tun, für mein eigenes Gewissen, zum Schutz meiner Familie, aber auch zum Schutz nachfolgender Generationen.“
Nach dem Krieg arbeitete Bernhard als kaufmännischer Angestellter bei einer Transportfirma in Bremen. Anfang der 60er Jahre verschlug es ihn und seine Familie nach Kleinostheim. 1966 dann das erste Engagement für den Umweltschutz. Durch den Lindigwald bei Aschaffenburg sollte eine vierspurige Schnellstraße gebaut werden. Auch ein Friedhof sollte dran glauben. Bernhard gründete eine Bürgerinitiative und wandte sich an den Bischof von Würzburg. Dem war die Ruhe der Toten heilig. Lindigwald und Friedhof blieben mit bischöflichem Segen von der Trasse verschont.
Weil das so gut geklappt hatte, ging es danach Schlag auf Schlag: Bernhard gründete eine Initiative für einen Kinderspielplatz, legte den Grundstein für die BUND- Kreisgruppe Aschaffenburg, gründete einen Tennisclub – und trat in die CSU ein. „Mein größter Fehler.“
Ein halbes Jahr hielt er es aus bei den Christsozialen. „Als ich mit überregionalen Themen kam, etwa der Problematik der Atomenergie, war ich schnell weg vom Fenster.“ Für sich selbst hat er nach dem Gastspiel bei der CSU den Schluß gezogen: „Nie wieder Mitglied in einer Partei werden.“
Nach der BUND-Kreisgruppe hob Bernhard die Kreisgruppe Aschaffenburg der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald aus der Taufe, gründete die Bürgerinitiative östlicher Untermain und danach, zusammen mit Elmar Diez, die legendäre Initiativgruppe Umweltschutz Hanau (IUH). Die kochte den Nukem- und Transnuklear-Skandal mit hoch. Und letztendlich war es die erfolgreiche Klage der fünfjährigen Tochter von Elmar Diez gegen diverse Teilerrichtungsgenehmigungen für die neue MOX-Fabrik der Siemens, die in Hanau den Anfang vom Ende der Plutoniumverarbeitung einläutete.
Der Tanz auf tausend Hochzeiten forderte seinen Tribut. Im Herbst 1995 erlitt Eddy Bernhard einen Herzhinterwandinfarkt und kam knapp mit dem Leben davon. Schonen müsse er sich, sagten die Ärzte und seine Frau, die ihn täglich in der Klinik besuchte. „Dafür war ich unendlich dankbar.“ Doch kaum ging es ihm besser, hing er, noch in der Klinik, schon wieder am Telefon und verschickte Presseerklärungen per Fax. 700 Mark Kommunikationskosten mußte er beim Verlassen der Klinik berappen. Bernhard: „Ich weiß, ich bin ein Besessener.“
Ganz so toll wie in den „heißen Jahren“ will er es heute nicht mehr treiben. Natürlich müsse die Anti- Atom-Arbeit weitergehen und die Aufklärungsarbeit nach Störfällen bei der chemischen Industrie und der Kampf gegen den Sondermüll und das Engagement als kritischer Aktionär und...
Folgerichtig stand Bernhard Mitte März bei der Hauptversammlung der Degussa wieder am Mikrofon. Und zur Hauptversammlung von Hoechst am 30. April, vier Tage nach dem Tschernobyl-Jahrestag, hat er seinen Gegenantrag schon verschickt. In der Redaktion dudelt gerade das Telefon: „Die tageszeitung, guten Tag.“ „Guten Tag, Bernhard. Herr Klingelschmitt, bitte notieren Sie: Skandal um Plutoniumsuppe bei der WAK in Karlsruhe...“ Klaus-Peter Klingelschmidt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen