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Bremen-Tourismus als DramolettUnvergeßliche Stunden

■ Ein Einakter von Ingo Sax / Das unternehmungslustige Ehepaar auf Stippvisite in Bremen wird von einer wenig einfühlsamen Auskunfts-Dame aus der Stadt befördert

Am Info-Stand, ein älteres Ehepaar kommt mit Gepäck, ein Herr mit Hornbrille beobachtet die Informationsdame aus dem Hintergrund.

Mann: Einen schönen guten Tag.

Dame: Guten Tag. Sie wünschen?

Mann: Meine Frau und ich, wir sind zum ersten Mal in Bremen, und wir möchten die Stadt kennenlernen. Wie fangen wir das am besten an?

Dame: Och, das ist ganz einfach. Erstmal stellen sie Ihr Gepäck ins Schließfach, dann haben Sie die Hände frei.

Frau: Ja ... und dann?

Dame: Na, dann gehen Sie hier raus, über die große Kreuzung immer geradeaus, bis Sie rechts die Schweine sehen.

Mann: Was bitte für Schweine?

Dame: Keine lebenden, so künstliche mit'm Mann dabei. Da gehen Sie durch die Fußgängerzone zum Liebfrauenkirchhof.

Frau: Wir dachten mehr an was Lebendiges, auf'n Friedhof wollten wir eigentlich nicht.

Dame: Keine Sorge, das heißt nur so. Und da essen Sie erstmal 'ne ordentliche Bratwurst, daß Sie was in'n Magen kriegen. Links ist dann das Rathaus, im Arkadengang davor sitzen unsere Stadstreicher und sind dankbar für 'ne Mark. Das hat was von Paris. Die Clochards, sie wissen schon.

Mann: In Paris waren wir vorigen Monat, da haben wir gar keine gesehen.

Dame: Na sehen Sie, das können Sie hier schön nachholen. Hinter Ihnen steht dann der Roland, unser Wahrzeichen, beachten Sie den Adler auf dem Schild, der hat nur einen Körper, aber zwei Köpfe, einer guckt nach links und der andere nach rechts. Wir Bremer nennen sie auch Henning und Ulrich.

Frau: Wieso das denn?

Dame: Sie reißen beide den Schnabel auf, leider in verschiedene Richtungen. Von da an gehen Sie über den Marktplatz, da sehen Sie einen goldenen Mann fliegen, das ist die Böttcherstraße. Da gehen Sie dann durch und stoßen auf eine vierspurige Hauptverkehrsstraße.

Mann: Müssen wir da vielleicht rüber?

Dame: Nein, keine Sorge, gehen ie einfach links an der Straße lang bis zur Ampel, da sehen Sie viele kleine Häuser, das ist das Schnoorviertel. Da finden Sie viele kleine Kunsthandwerker und hübsche Kneipen.

Frau: Das ist gut.

Dame: Danach gehen Sie zum Dom. Wenn Sie Glück haben, dann ist der Bleikeller offen, da können Sie die Leichen ankucken.

Mann: Bislang hört sich das an wie'n Nachmittagsbummel für Nekrophile.

Dame: Wie, was bitte?

Mann: Gibt's vielleicht irgendwo so was wie'n öffentlichen Leichenschmaus oder so?

Dame: Nö, nicht, daß ich wüßte.

Frau: Na gut, und was machen wir dann?

Dame: Vom Dom aus gehen Sie dann wieder am Rathaus vorbei bis zu den Schweinen und sind so in gut zwei Stunden wieder hier.

Mann: Ja, und dann?

Dame: Was und dann?

Frau: Wir wollten eigentlich ein paar Tage hierbleiben.

Dame: Wirklich? Wozu?

Mann: Das frage ich mich jetzt auch. Wann geht der nächste Zug nach Hamburg?

Dame: Keine Ahnung, die Zugauskunft ist da drüben.

Mann: Danke sehr, sehr freundlich von Ihnen. (Beide ab)

Der Herr tritt zu der Dame.

Dame: Na, wie war das?

Herr: Nun ja, noch nicht ganz das, was wir uns vorgestellt haben.

Dame: Wieso? Sie haben doch gesagt: kurz, klar, informativ und motivierend. Und das war es doch wohl.

Herr: Schon, ja, nur vom Erfolg her nicht ganz so befriedigend, wie wir uns das eigentlich vorgestellt hatten.

Dame: Aber so richtig motiviert war ich doch, oder? Für den Gast nur das beste, das haben Sie doch gesagt.

Herr: Schon ja, aber das Ziel sollte eigentlich sein, daß die Touristen bleiben und nicht gleich wieder abreisen.

Dame: Finden Sie nicht, daß da irgendwie'n Widerspruch drinsteckt?

Herr: Irgendwie schon, ja. Daran werden wir noch arbeiten müssen. Versuchen Sie es mal mit Hinweisen auf den künftigen Ocean-Park und den Space-Park, vielleicht hilft das.

Dame: Aber das würden bei den beiden doch frühestens die Enkel zu seh'n kriegen.

Herr: Sehen Sie, genau das meine ich, motivieren, Hoffnungen schaffen, den Blick nach vorn richten, Zukunftsvisionen haben, wie es Henning Scherf sagte. So langsam fange ich an zu begreifen.

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