: Radioaktive Strahlen in Salzlauge
Wasser fließt in die Erkundungsschächte für das geplante Atomendlager von Gorleben ■ Aus Hannover Jürgen Voges
Der Geologe Eckhard Grimmel aus Hamburg hofft, daß die Natur selbst das Endlagerprojekt in Gorleben stoppt – „durch einen richtigen Wassereinbruch, bevor radioaktiver Müll eingelagert ist“.
Grund zu diesem Sarkasmus hat der Gorleben-Spezialist Grimmel allemal. Seit Wochen mühen sich in dem Endlagerbergwerk die Schachtbauer wieder einmal nicht mit Salzgestein ab, sondern mit Wasser, genauer: mit gesättigter Salzlauge.
Von Mitte März an ist in beiden Schächten aus zwei Bohrlöchern von je 10 Zentimeter Durchmesser Salzlauge ausgetreten, insgesamt 140 Kubikmeter. Jetzt aber sei ein Ende der Zuflüsse absehbar, behauptet Roland Sauer, zuständiger Referent im niedersächsischen Oberbergamt. In dem Bohrloch in Schacht I träten pro Minute nur noch ein bis zwei Liter Lauge aus, in Schacht zwei sei es sogar nur noch ein halber Liter. Nach dem Anbohren der Lauge waren den Bergleuten bis zu zwölf Liter pro Minute entgegengeflossen.
„In Salzstöcken können solche Laugeneinschlüsse immer vorkommen“, meint Sauer. Das Versiegen der Zuflüsse und auch der hohe Druck, unter dem sie zunächst standen, beweise, daß dieses Wasser lange von allen Seiten vom Salz eingeschlossen und ohne Verbindung zum Grundwasser war. Deswegen könne man bald mit dem Endlagerbau fortfahren. „Die Verbindung von Schacht I und Schacht II ist die nächste Arbeit“, sagt der Endlagerreferent, den auch das Methangas, das aus den Bohrlöchern austrat, nicht stört.
„Natürlich findet man in Salzstöcken immer mal Laugeneinschlüsse“, sagt auch der Hamburger Grimmel, „aber keineswegs so häufig wie in Gorleben.“ Grimmel erinnert daran, daß man schon bei den ersten vier Tiefbohrungen zur Erkundung des Salzstocks auf Laugennester gestoßen ist. Später waren Monate nötig, um den Schacht I gegen Laugenzuflüsse abzudichten. „Nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung muß der Gorlebener Salzstock von Laugenestern geradezu durchsetzt sein“, schließt der Hamburger Geologieprofessor. Und anders als sein Kollege im Bergamt sieht er darin eine dauernde Gefahr für das Endlager. Wenn der Salzstock nämlich durch den hochradioaktiven Müll aufgeheizt werde, beginne die Lauge zu den abgebrannten Brennstäben hin zu wandern, beschreibt Grimmel „das Problem der Laugenmigration“. Heiße Salzlauge aber sei chemisch sehr aggressiv, könne künstliche Barrieren und Endlagerbehälter auflösen, zersetze sich unter der Strahlung zu einem explosiven Gemisch von Wasserstoff- und Sauerstoffgas. Vor allem aber hält es Grimmel keineswegs für ausgeschlossen, daß die Laugennester wieder mit dem Grundwasser in Verbindung treten können. Alte Kanäle, die durch auskristallisierendes Salz unterbrochen wurden, könnten wieder aufbrechen. Schließlich gerate das an sich schon plastische Salz noch mehr in Bewegung, wenn beim Endlagerbau Hohlräume entstehen. Und bei einem der Laugennester stießen die Schachtbauer außerdem auf eine Schicht von Anhydrid, einem Gipsgestein, das Wasser sehr weit in die Tiefe führen kann.
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