: Der Treck der Aussiedler nach Westen
■ In den neuen Bundesländern sind sie willkommen, aber sie zieht es in den Westen. Ein Gesetz soll die Aussiedler stoppen
Berlin (dpa/ap/taz) – Im Osten von Deutschland sind die Aussiedler willkommen, aber die Aussiedler mögen den Osten nicht. Kaum angekommen, ziehen sie in die alten Bundesländer weiter: 50 bis 70 Prozent aller Neuankömmlinge waren es in den letzten beiden Jahren. Sie gehen, weil im Westen die Verwandten schon länger leben, weil er in ihrer Vorstellung „golden“ ist, weil dort angeblich die Arbeitsmarktchancen besser sind.
Über die Binnenwanderung sind einige der neuen Länder regelrecht unglücklich. Während im Westen der SPD-Chef Oskar Lafontaine mit seiner Forderung nach Zuzugsbeschränkung Wahlhilfe für die Rechten betreibt, wären die Länder im Osten schon froh, wenn sie wenigstens die von der Bundesregierung festgelegte Quote erfüllen könnten. Lafontaines SPD-Kollege Manfred Püschel, Innenminister von Sachsen- Anhalt, berichtete kürzlich, daß sich die Gemeinden regelrecht um die Aussiedler „reißen“ würden, damit ihre Ortschaften nicht aussterben. Aber von den insgesamt bisher zugewiesenen 11.300 Aussiedlern seien 70 Prozent in den Westen gegangen. Ähnlich sieht es im Land Brandenburg aus. Laut Verteilerschlüssel müßten dort 7.700 Aussiedler wohnen, aber nach einer dpa-Umfrage sind es nur 3.500. Dem Land Sachsen wurden im vergangenen Jahr 15.000 Neuzuwanderer zugewiesen, aber nur 9.700 sind geblieben. Thüringen nimmt laut Quote 7.400 Aussiedler auf, 60 Prozent von ihnen ziehen aber wieder weg. Und auch das bevölkerungsarme Mecklenburg-Vorpommern erfüllt mit 4.500 Aussiedlern die Quote nicht. Ministerpräsident Berndt Seite (CDU) beklagte, daß trotz „einzigartiger“ privater Aussiedlerschulen 80 Prozent das Land wieder verlassen.
Seit Ende März ist der Treck nach Westen offiziell gestoppt. Laut neuem Wohnortzuordnungsgesetz müssen die Aussiedler jetzt zwei Jahre am zugewiesenen Ort leben, wollen sie nicht die sechs- monatige Eingliederungshilfe und die Unterstützungsgelder nach dem Bundesozialhilfegesetz verlieren. Insgesamt kamen in diesem Jahr 40.944 Aussiedler nach Deutschland. Das sind zehn Prozent weniger als in den Vergleichsmonaten 1995. Der Grund ist, laut Bundesinnenministerium, daß die Aussiedler jetzt vor ihrer Abreise mehr Deutschkenntnisse nachweisen müßten. aku
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