: Haie am Hardenbergplatz
Im Westen nichts Neues? Die City (West) zwischen Realität und Vision. Teil VII der Serie „Orte im Wandel – Visionen für Berlin“ ■ Von Hans Wolfgang Hoffmann
Berlin im Jahre 2010: Nach langer Durststrecke wird die Friedrichstadt durch den Umzug der Regierung doch noch zum neuen alten Geschäftszentrum. Am Gendarmenmarkt verdrängen in den Büropausen Nadelstreifen die Rucksäcke der Interrail-Touristen. Auch im alten neuen Zentrum rund um die Gedächtniskirche sind die Lichter nicht ausgegangen. Aus der isolierten Mitte der Mauerstadt ist eine offene „Zoo-City“ geworden. Man nutzt die Potentiale der Nachbarschaft: Zoo, Tiergarten, Universität, Diplomatenviertel. In der großen Halle des Bahnhofs Zoo halten S-Bahnen im Minutentakt, während die Fernzüge am Zentralbahnhof Station machen. Statt Verkehrschaos heißt es „Haie am Hardenbergplatz“: Mit der „Zoo-Galerie“ verschanzt sich der Zoologische Garten nicht länger hinter Mauern, sondern bietet der Stadt eine Gratis-Tierschau. Das rechnet sich: Die Vermietung der Läden in drei Etagen beschert dem Zoo höhere Einnahmen als der Ticketverkauf. Die Direktion überlegt, ganz auf Eintritt und Zäune zu verzichten.
Der Tiergarten reicht jetzt, im Jahre 2010, bis in die City. Aus dem informellen Weg an der S-Bahn ist eine breite Promenade geworden. Die einst verschlafene Wohnlandschaft des Hansaviertels beleben zahlreiche Biergärten. An langen Samstagen unterbricht man den Einkaufsbummel für ein Picknick im Park. Auf der Rückseite des Bahnhofs, wo früher Salatköpfe wuchsen, Busfahrer ihren Pausenkaffee nippten und Forscher in versprengte Baracken huschten, rücken Wirtschaft und Wissenschaft enger zusammen. Gemeinsam werden naturwissenschaftliche Institute gebaut und genutzt. Die neue Zentralbibliothek von HdK und TU erweitert den Campus bis an den Hardenbergplatz und macht den einst hermetisch abgeschlossenen Block der TU für die Öffentlichkeit zugänglich. Nördlich davon, auf der Halbinsel zwischen Spree und Landwehrkanal, ist ein neues Quartier entstanden: In der „Spreestadt“ mischen sich Wohnen und forschungsorientiertes Gewerbe. Die lange vergessene Reservefläche nimmt auch jene Büros auf, für die neue Hochhäuser um die Gedächtniskirche politisch nicht durchsetzbar waren.
Am Breitscheidplatz werden gekappte Verbindungen neu geknüpft. Einst nur erweiterter Bürgersteig von Ku'damm und Tauentzien, ist er jetzt die Spinne in einem Netz von Boulevards. Die Kantstraße wird durch den Teilabriß der westlichen Platzwand, des im Jahr des Mauerbaus fertiggestellten und denkmalgeschützten Schimmelpfenghauses, von ihrem Hinterhof-Dasein befreit. Auf der Nordseite verschwindet mit dem Straßentunnel eine weitere Barriere. Das „Bikini-Haus“ taucht aus dem Abseits und wird zu dem, was seine Erbauer, Hans Schoszberger und Paul Schwebes, schon 1955 erträumten: Auftakt eines durchgrünten City-Bandes zwischen Ost und West. Im Diplomatenviertel wird die Promenade zur kulturellen Weltreise. Das Konzept des Klingelhöfer Dreiecks, die Mischung von Wohnungen und Gesandtschaften, hat sich durchgesetzt. In- und ausländische Institutionen agieren nicht mehr wie ihre Vorgänger allein in vornehmer Abgeschiedenheit der Villen. In offenen Häusern bringen sie ihre Botschaft unters Volk. Mußten in den achtziger Jahren die leichten Mädchen an der Tiergartenstraße mangels Bürgersteig noch in den Büschen stehen, finden jetzt die Parkfeste der Botschafter unter Pergolen statt. Das Ambiente der spanischen, afrikanischen, japanischen und türkischen Nächte dringt bis in die abgeschlossenen Refugien des Kulturforums und des Potsdamer Platzes.
Von dieser Vision ist die City (West) im Jahr 1996 noch weit entfernt. Heute ist sie noch immer das, wozu sie durch Krieg und Mauer wurde: Hier errichtete die insulare Halbstadt ihr Einkaufszentrum. Einziger Schmuck ist der Kurfürstendamm, mit dessen noblem Image das Kerngebiet zwischen Joachimstaler Straße und Wittenbergplatz jedoch wenig gemein hat. Bei jeder Eröffnung eines T-Shirt- oder Buletten-Discounters setzt ein Wehklagen über den vermeintlichen Niedergang ein. Dabei hängt die Stärke des Kurfürstendamms nicht an einzelnen Geschäften, sondern an dem im Vergleich mit anderen City-Lagen hohen Wohnanteil. In den Seitenstraßen liegt er bei bis zu 60 Prozent.
Um die „Charlottenburger Mischung“ zu bewahren, stellte der Bezirk 1992 „City-Leitlinien“ auf. Doch ihren Schlagworten „Weiterwohnen“, „Natürlich Grün“, „Wachstum in Grenzen“ fehlt die Schlagkraft. Ein Verdrängungsprozeß ist im Gange: 1995 mußten drei Viertel aller neuen Mieter einen Mietzins über den Grenzen des Mietspiegels hinnehmen. Zuverlässige Zahlen über Zweckentfremdung durch Vermietung an zahlungskräftigere Praxen, Kanzleien etwa, gibt es nicht, dafür eine hohe Dunkelziffer. Der Ansatz des Bezirks war zu defensiv, um die Flut von Bauanträgen in die gewünschten Bahnen zu lenken. Der Senat wollte mit Großprojekten, wie dem Victoria-Arreal oder dem Zoo-Fenster, den Wachstumsdruck von der City nehmen. Ein Konflikt war unausweichlich. Wie überall herrschte auch in der City (West) nach der Wende Euphorie. Der Mauerfall hat ein neues Kundenpotenzial freigesetzt. Überall wird aufgestockt. Ein Beispiel von Verdichtung ist der Neubau von Peek und Cloppenburg, dem Gottfried Böhm 1995 ein gläsernes Kleid überstülpte. Kurzfristig mag die Taktik der Hochrüstung richtig sein. Doch Quadratmeter für Büro- und Einzelhandel wachsen überall in und um Berlin weit schneller als der Bedarf. Die Konkurrenz verschärft sich. Nicht nur die Charlottenburger Baustadträtin Beate Prof befürchtet einen Bedeutungsverlust. Ist die City (West) bald nur noch eine Einkaufsstraße von lokalem Gewicht?
Wie man die Lage verbessern könne, darüber dachten schon im April 1995 fünf Berliner Planungsbüros nach. In einem vom Stadtentwicklungssenator initiierten Workshop deckten sie Defizite und Chancen auf. Die meisten Elemente der eingangs entwickelten Vision entstanden dabei. Doch der Wettbewerb „Hardenbergplatz“ rangiert auf der Prioritätenliste des Senats weit unten. Ursprünglich sollte es noch in diesem Jahr Ergebnisse geben. Angesichts der Haushaltslage möchte der Senat nun keine Termine mehr nennen. Auch die Bundesvermögensverwaltung der Deutschen Bahn wartet nach dem Scheitern des Projekts IC-Hotel an der Bahntrasse zwischen Hardenberg- und Kantstraße bisher vergeblich auf neue Initiativen des Senats. Noch ist die „Spreestadt“ ein Schlagwort ohne Inhalt. Seit Jahren wird an den Bebauungsplänen für das Diplomatenviertel gezeichnet. Statt ein starkes Konzept für die Verbindung von westlicher und östlicher City zu entwickeln, werden dort immer neue Institutionen untergebracht. Selbst der Bereichsentwicklungsplan, den die Gruppe Planwerk erarbeitet, wagt nicht mehr als Kosmetik: Platzgestaltung am Kulturforum, Läden am Landwehrkanal und eine Buslinie auf der Tiergartenstraße. Auch daß sich Stadtentwicklungssenator Strieder um die Gedächtniskirche keine neuen Hochhäuser wünscht, ist noch keine Strategie.
Unter der Regie seines Staatssekretärs Hans Stimmann konzentrierte sich bisher die Aufmerksamkeit auf das östliche Zentrum. Fünf Jahre nach der Maueröffnung ist der Bezirk Mitte flächendeckend überplant. Dort konvertiert die Hauptstadt der DDR zum Regierungssitz des ganzen Landes und wird um eine Geschäftsstadt erweitert. Für die City (West) verharrt die Perspektive der Planer auf dem Stand der Teilung. Es wird Zeit, daß auch diese Mauer fällt.
Teil VIII am 4. Mai: Land in Sicht? Leben an der Stadtgrenze.
Literatur:
„Charlottenburger City-Leitlinien“, Bezirksamt Charlottenburg, Juli 1995, kostenlos.
Bauwelt-Serie „Neues im Westen“, Heft 7/10/13/17 1996,
je 11 Mark.
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