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„Ich habe mich zu sehr verändert“

Die „neue Frau“ ging wählen, rauchte auf der Straße und traf Maharadschas. Ihr Star war die Pagenkopf-Ikone Louise Brooks. Das Zeughauskino zeigt Jazz-Babies und Verkäuferinnen in 25 Filmen aus den Zwanzigern und Dreißigern  ■ Von Lars Penning

Zu Beginn der zwanziger Jahre schnitten die Frauen die alten Zöpfe endgültig ab. Die neuen Bubikopffrisuren waren jedoch nur der offensichtlichste Ausdruck einer tiefgreifenden Veränderung der Gesellschaft. Die Frauen hatten das Wahlrecht erlangt und traten verstärkt ins Berufsleben ein. Von Werbung und Industrie wurden sie als Konsumentinnen entdeckt. Sie rauchten in der Öffentlichkeit und „befreiten“ ihre Körper: im Schwimmbad, bei Gymnastikstunden und in der Liebe. Tänze wie Shimmy und Charleston spiegelten das neue Lebensgefühl im Tempo der hektischen Großstädte wider: Die Dekade der „Flapper“ und „Jazz-Babies“ hatte begonnen.

Daß die vielfältigen modernen Frauentypen in den verschiedensten Facetten auch im Kino Einzug hielten, zeigt jetzt die Reihe „Die Neue Frau“ im Zeughauskino am Beispiel von 25 ausgewählten Filmen. Szenen aus Arbeitswelt und Freizeit stehen im Mittelpunkt: Die Bandbreite reicht von den neusachlichen Verkäuferinnen und Mannequins, die als Laienschauspielerinnen ihre sonntäglichen Vergnügungen darstellen („Menschen am Sonntag“, 1929), bis zur kleinen Maniküre mit ihren großen Träumen vom kleinen Glück (Käthe von Angy in der Komödie „Ich bei Tag und Du bei Nacht“, 1932).

Selbstbewußtsein, privat wie im Arbeitsleben, war das Gebot der Stunde: In dem 1932 nach einem Drehbuch von Brecht entstandenen Film „Kuhle Wampe“ verkörpert Hertha Thiele eine patente Arbeitertochter (mit kurzen Haaren und Schlips) in einer Zeit grassierender Arbeitslosigkeit. Sie widerspricht den albernen Platitüden ihrer Eltern („Wer tüchtig ist, kommt immer weiter“), die ihren Bruder zum Selbstmord treiben, und hat als einziges Mitglied der Familie Arbeit in einer Fabrik. Auch im Umgang mit Männern demonstriert sie Stärke: Als ihr Freund aufgrund ihrer ungeplanten Schwangerschaft erklärt, er komme sich „reingelegt“ vor, verläßt sie ihn. Sie zieht zu einer Arbeitskollegin und findet Solidarität im Arbeitersportverein.

Leichtgewichtiger geht es dagegen in anderen Filmen der Ära zu: So porträtiert Dolly Haas, sonst Dauerabonnentin auf Hosenrollen im deutschen Film, in einer Komödie von Hermann Kosterlitz „Das häßliche Mädchen“, das als Sekretärin in der Männerabteilung einer Firma angestellt wird, wo man es nur allzugern wieder loswerden möchte. Renate Müller, die einstige „Privatsekretärin“, hat dagegen in Schünzels „Viktor und Viktoria“ (1933) diesmal die Hosen an: Als arbeitslose Schauspielerin springt sie für einen erkrankten Kollegen in einer Travestienummer ein. Der Frau, die einen Mann spielt, der eine Frau verkörpert, liegen bald Verehrer beiderlei Geschlechts zu Füßen. Wohl ist ihr in der Rolle nicht: „Ich muß Whiskey trinken und Hosen tragen und dummen Frauen was Liebes sagen.“ Hatte sie zu Beginn noch gesungen: „Ich möcht' so gern Karriere machen“, reicht ihr am Ende dann doch das Glück in den Armen Adolf Wohlbrücks. Die Karriere macht der „echte“ Damenimitator.

Auch im amerikanischen Kino wird der Umgang mit Arbeitslosigkeit in der Depressionszeit zum Thema: Um ihre Probleme zu lösen, begeben sich die unbeschäftigten Tänzerinnen in Mervyn Le Roys und Busby Berkeleys Musical „Golddiggers of 1933“ auf Männerfang. Ginger Rogers gibt das Motto in der Eröffnungsnummer aus: „We're in the money.“

Star der Filmreihe ist die amerikanische Pagenkopf-Ikone Louise Brooks, die ihre seinerzeit erfolgreicheren Konkurrentinnen Colleen Moore, die den Bubikopf im Kino populär machte, und das „It- Girl“ Clara Bow längst aus unserer Erinnerung verdrängt hat. In drei Filmen porträtiert Brooks die „neue Frau“: Frank Tuttles „Love 'em and Leave 'em“ (1926) zeigt sie als archetypisches Jazz-Baby der Zeit: vergnügungssüchtig und ohne schlechtes Gewissen. Sie gewinnt den ersten Preis beim Charleston-Tanzen und veruntreut die Betriebsfestkasse für ihre Pferdewetten. Der Schwester stiehlt sie den Verlobten, und sie verläßt ihn für einen Kaufhausbesitzer mit Rolls-Royce. Kontrastiert wird ihre Figur mit der soliden, vernünftigen Schwester (Evelyn Brent), die am Bett betet, auf die kleine Schwester aufpaßt und ihre Dummheiten wiederausbügelt. Die Tragödie löst der Film jedoch schließlich in einer Burleske auf.

In G. W. Pabsts „Tagebuch einer Verlorenen“ (1929) verkörpert Brooks eine Frau, die sich sexuell emanzipiert: Als Apothekertochter wird sie vom Gehilfen ihres Vaters verführt, kommt in eine Besserungsanstalt und landet schließlich im Bordell, wo es ihr gar nicht übel gefällt. Zwischen dem neuen und dem traditionellen Frauenbild wird sie in ihrem ersten Tonfilm „Prix de beauté“ (1930), einer französischen Produktion nach einem Szenario von René Clair, hin- und hergerissen: Brooks spielt eine Sekretärin, die an einem Schönheitswettbewerb teilnimmt und zur Miß Europa gewählt wird. Gab sie sich bislang noch alltäglichen Vergnügungen wie dem sonntäglichen Ausflug zum Schwimmbad hin, eröffnet sich ihr plötzlich eine neue Welt: schicke Kleider, teure Armbänder und Tangotanzen. Sie macht Bekanntschaften mit Maharadschas, Prinzen und Filmproduzenten. Dennoch gibt sie ihrem eifersüchtigen Verlobten nach und heiratet ihn. Bereits die nächste Einstellung zeigt sie perfiderweise beim Bügeln zwischen Kuckucksuhr und Vogelkäfig – man ahnt sofort, daß das nicht gutgehen kann. Schließlich verläßt sie ihren Mann, um Filmkarriere zu machen. In ihrem Abschiedsbrief schreibt sie: „Ich habe mich zu sehr verändert.“

Daß die „neue Frau“ jedoch auch bald für Parodien herhalten mußte, zeigt die Mack-Sennett- Komödie „Run, Girl, Run“: Als Starathletin ihres College-Teams („Sie rannte die Meile in fast nichts – und wurde deshalb beinahe rausgeworfen“) hat Carole Lombard statt harten Trainings nur Vergnügungen im Kopf: Ihre Siegeschancen sinken beträchtlich, da sie sich während des Rennens noch das Gesicht pudert.

Zeughaus-Kino, Unter den Linden, Mitte. Termine siehe cinemataz

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