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„Nur einmal anfassen!“ möchte ich ihn“

■ Kreischende Fans bei der Teeny-Gruppe „Caught in the Act“ in Bremen / Das Quartett wird als Nachfolger der britischen Erfolgsband „Take that“ gehandelt

Rebecca ist mit ihrer Kraft am Ende. Ihre Unterlippe bebt. Sie zittert am ganzen Körper. Der eisige Wind pfeift durch ihre dünne Sweat-Shirt Jacke. „Es ist so arschkalt“, bibbert die 14jährige Schülerin und preßt ihre verschränkten Arme noch fester um den Brustkorb. Elf Stunden steht sie vor dem Glaspavillon an der Stadthalle und wartet auf Eloy. Eloy ist „der Mann ihrer Träume“ und Sänger bei der Pop-Gruppe „Caught in die Act“, die Donnerstag abend in der Musik-Sendung „Swutsch“ von Radio Bremen aufgetreten ist.

Das Quartett, das auf der Bühne ohne Instrumente auskommt und nur singt und tanzt, wird als Nachfolger der Popgruppe „Take That“ gehandelt. Die britische Erfolgsband hat sich vor kurzem aufgelöst und Millionen von Teenagern in tiefste Verzweiflung gestürzt – wie unzählige Anrufe bei den Notruftelefonen verschiedener Radiosender beweisen. Seitdem sie sich mit ihrem Song „Love is everywhere“ (aus der Fernsehserie: „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“) in die Herzen vieler Mädchen und in die Charts gesungen haben, sind „Caught in die Act“ auf dem besten Wege, dieses Erbe anzutreten. Und das genießen sie: Daß Schönste an ihrem Ruhm sei, „von tausenden Mädchen angehimmelt zu werden“, verrieten „Caught in die Act“ kürzlich in einem Interview. Ob sie feste Freundinnen haben, halten Eloy de Jong (23), Bastiaan Ragas (24), Lee Baxter (24) und Benjamin Boyce (24) streng geheim – sie wollen es sich mit ihren weiblichen Fans nicht verderben.

„Ich will nur mal mit Eloy reden“, sagt Rebecca. „Er sieht so süß aus.“ Punkt fünf Uhr hat ihr Wecker geklingelt. Seit sechs Uhr früh wartet sie vor dem Swutsch-Studio. „Ich darf „Caught in die Act“ auf keinen Fall verpassen.“ Eigentlich wollten die Jungs ihren Auftritt für die Sendung gegen 17 Uhr aufzeichnen – doch hinter der Glasfront des Studios sind nur ein paar Kameraleute zu sehen. Vor der Glasscheibe hängen etwa 80 Mädchen über den eisernen Absperrgittern und warten sehnsüchtig auf jene vier Jungs, die ihre Phantasie entzünden. „Haben wir ein ,C'“, ruft ein Mädchen ihren Mitstreiterinnen zu. „Ccccccc“, echot der Chor. „Haben wir ein ,a'“, feuert sie die Fans an. „Aaaaaa“, gibt die Menge zurück. „Haben wir ein ,u'? „Uuuuuuuuu“, buchstabieren die Mädchen den Namen ihrer Lieblingsband weiter.

Die zwölfjährige Deniz ist schon ganz heiser. Mit der rechten Hand umklammert sie ein Bild von Benjamin Boyce. „Ich liebe ihn. Er sieht so süß aus“, schwärmt sie. „Nur einmal anfassen will ich ihn. Nur mal so machen“, seufzt Deniz und tippt mit ihren Fingern zart auf den Unterarm der Journalistin. „Das wär's schon. Das wär' der Traum.“ Deniz zieht eine Stoffkatze aus ihrer Jackentasche. „Für Benji.“ Um den Hals der Katze hängt eine Schleife mit einem zusammengerollten Stück Karo-Papier. Was drauf steht? „I love you und meine Adresse.“

Eine junge Frau, die mit ihrer Clique daneben steht, rollt mit den Augen. „Das ist ja peinlich“, sagt sie verächtlich. Doch auch sie und ihre Freundinnen warten auf „Caught an the Act“. „Wir sind aber keine Fans. Und auch keine Groopies“, betont die junge Frau, die über sich nur verraten will, daß sie 21 Jahre alt ist, aus Lübeck kommt und als Krankenschwester arbeitet. „Wir sind Supporter. Wir unterstützen die. Wir sind für sie da. Wir fahren mit dem Auto nach dem Konzert hinter ihnen her ins Hotel. Sitzen im Restaurant am Nebentisch. Die grüßen uns schon. Die kennen uns, weil wir immer da sind. Wir haben eine ganz andere Beziehung zu denen, als diese kreischenden Mietzen.“

Plötzlich gellt ein spitzer Schrei über den Platz. „Daaaaaaaaa“. Benjamin, Eloy, Lee und Bastiann betreten die Bühne. Sie senden ihren Fans ein Lächeln durch die Glasscheibe. Ohrenbetäubendes Gekreische. Mit offenen Mündern und weit aufgerissenen Augen hängen die Mädchen über dem Absperrgitter und kreischen. Benjamin, ein dünner, hochgewachsener Junge mit kurzem blonden Stoppelschnitt, hebt die Hand. Die Girls schreien. Die ersten Tränen fließen. „Benji, Benji, Benji“, schluchzen die Mädchen. Transparente wehen. „Eloy and Lee are the most handsome boys all over the world“ oder „Merle loves Lee“ steht dort in großen Lettern auf weißen Tüchern. „Don't walk away from me“, dröhnt durch die Lautsprecher. Die Mädchen stimmen ein. Einige haken sich unter und schunkeln im Takt.

Abseits vom Trubel steht Monika J. Sie wartet auf ihre Töchter Wiebke (16) und Beeke (14), die in der Menge verschwunden sind. „Ich war mit meinen Töchtern schon auf sechs Konzerten“, erzählt die Mutter. „Die Hälfte der Zeit habe ich aber mit meiner Tochter beim Sanitäter verbracht. Die kippt immer um. Die nimmt sich das alles so zu Herzen... Aber wir waren ja auch mal jung“, sagt sie und hält sich mit beiden Händen an dem Kragen ihrer rosa Wolljacke fest. „Der größte Wunsch meiner Töchter ist, einmal ganz nah an die Jungs ranzukommen. Denen einmal gegenüberzustehen. Ich hab' schon alles versucht – sogar das gleiche Hotel gebucht. Nichts zu machen. Ich hab' auch schon alle möglichen Leute gefragt, ob sie mir nicht helfen können“, sagt sie und schweigt einen Moment. „Haben Sie denn keine Gelegenheit uns mit hinter die Bühne zu nehmen?“

Kerstin Schneider

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