piwik no script img

Studentin oder Krankenschwester?

■ Rätselhaftes Trauerspiel: Oliver Czesliks „Kinderlieber“ im Stükke Theater

Mit Erstlingswerken ist das so eine Sache. Kaum hat ein Autor sich einen Namen gemacht, greift er tief in die unterste Schublade seines Schreibtisches und schickt seinem Verleger, was dort lange Jahre friedlich geruht hat. Jugendsünde oder genialer erster Wurf, das ist dann die Frage. Wie immer die Antwort lautet – früher oder später kommt das Drama des begabten Kindes auf die Bühne.

Vor wenigen Wochen wurde das Kammerspiel „Kinderlieber“, das der junge Dramatiker Oliver Czeslik 1984 geschrieben hat, im sächsischen Freiberg uraufgeführt. Jetzt zieht das Stükke Theater nach. Das „Spiel um Liebe und Tod“ kreist um vier Personen: eine Frau und drei Männer. Eduard und Marianne lieben einander mit einer schmerzhaften, nach Unbedingtheit strebenden Kinderliebe, jeder will dem anderen die ganze Welt sein.

Was sie mit den beiden anderen verbindet, bleibt rätselhaft, denn von Beginn an schlüpfen die Figuren in ständig wechselnde Rollen. Ein junger Mann stolziert als sechzigjähriger General umher – Eduards Vater, der den Sohn verstoßen haben will aus nichtigem Anlaß. Abraham (Thomas Chemnitz) gibt den treuen Freund und sucht zu vermitteln. Die vier führen eine Art bürgerliches Trauerspiel auf, mit dazu passender Diktion: „Ich möchte Sie küssen, mein Kind!“ Das Künstliche der Situation wird betont, indem die Darsteller sich selbst Regieanweisungen geben, die klingen wie aus einem Schauerroman: „Meine Augen verengen sich zu Schlitzen, meine Stirn wirft gefährliche Falten ... Ich lege mich aufs Bett und presse meine haarigen Fäuste vors Gesicht.“

Was so dramatische Reaktionen eigentlich hervorruft, läßt sich nur erahnen. Durch das Wirrsal der Beziehungen läuft kein roter Faden. Vielleicht ist Marianne schwanger, vielleicht aber auch nicht. Mal arbeitet sie als Krankenschwester, mal studiert sie. Der General verwandelt sich plötzlich in den sinistren Showmaster Quast, läßt Puppenköpfe aus Kästen springen und stiftet Marianne fast zum Mord an. Ort der Handlung ist ein weihnachtliches Zimmer – oder doch ein Unterstand knapp hinter der Front? Die Figuren fürchten sich vor dem Feind „da draußen“, aber der Schützengraben liegt im selben Raum.

Das Spiel mit Realität und Fiktion beherrscht auch Oliver Czesliks bekanntestes Stück „Heilige Kühe“, das 1992 an der Schaubühne uraufgeführt wurde. Und doch ist dort alles anders: In „Heilige Kühe“ scheint die Situation zunächst nur allzu klar, erst später verschwimmt die Identität der Figuren, verwischt die Grenze zwischen Ernst und Spiel. In „Kinderlieber“ hat diese Trennung nie existiert, und die Figuren haben von vornherein keine Konturen, die sie verlieren könnten. Nicht vorhandene Grenzen aber kann man auch nicht überschreiten. Als intellektuelles Spiel ist das Stück letztlich uninteressant. Und auch als Beziehungsdrama scheitert es, denn das Schicksal der Figuren läßt einen kalt, selbst wenn Eduard und Marianne sich am Ende in reifer Liebe finden.

„Kinderlieber“ ist die erste eigene Regiearbeit von Klaus Schultze, bisher Regieassistent am Stükke Theater. Indem er das Stück als Leseprobe beginnen läßt, betont er die artifizielle Grundsituation. Alke Brinkmann hat dicke Wände mit pastoser Oberfläche auf die Bühne gestellt und Folien davor gespannt – sichtbar gemachte Doppelbödigkeit. Die Schauspieler bleiben blaß: Armin Mahal spricht Eduards Text lustlos weg, Gerhard Bös als General nervt durch zu leises Genuschel, das wohl dämonisch klingen soll. Nur Sabine Svobodas heiter-anmutige Präsenz bringt ein wenig Licht ins Dunkel. Auch wenn „Kinderlieber“ vielleicht besser im Dunkel der Schublade geblieben wäre. Miriam Hoffmeyer

Bis 21. 5., Fr.–Di., 20.30 Uhr, Stükke, Hasenheide 54, Kreuzberg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen