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Der Trainer! Die Mannschaft!

Angeblich psychologisch gestärkt durch das 1:0 von Stuttgart zieht Bayern München gen Barcelona, wo auch nur Fußball gespielt wird  ■ Aus Stuttgart Peter Unfried

Es könnte sich einer fragen: Hat denn der Kaiser nach dem 1:0 von Stuttgart und dem daraus resultierenden Dreipunktevorsprung ein gutes Wort für seinen Otto?

Hat er. Und zwar genau: Eins. Da es Franz Beckenbauer im Kabinengang des Neckarstadions möglicherweise in seiner Eigenschaft als Präsident des FC Bayern gesprochen haben könnte, muß es hier auch übermittelt werden. Die Frage lautete: Hat die Mannschaft auch für den Trainer Rehhagel gespielt? Das gute Wort war: „Sicherlich.“ Kaum ausgesprochen, nahm Beckenbauer aber bereits die Linke aus dem Hosensack, fing an, damit zu wedeln und sprach sein zweites Wort: „Andererseits.“ Diese zwei unscheinbaren Worte lassen ahnen, wie es in Beckenbauer aussieht, und also um den Fußballehrer Rehhagel steht.

„Risiko gehört dazu“, sagt Beckenbauer zwar nonchalant; erstaunlich ist es immer, wenn einer seine nachweislich wichtigste Offensivkraft namens Mehmet Scholl eine Halbzeit draußen läßt. Noch erstaunlicher ist freilich zu nennen, wenn der Grund darin zu finden wäre, daß im gegenteiligen Fall andere bereitstanden anzunehmen, Scholl sei mal wieder von mächtigerer Hand ins Team gedrückt worden. Demgegenüber steht die Aussage des Nationalspielers Ziege, daß „sicherlich der Trainer die Mannschaft“ aufstelle. Tatsächlich. Dies macht er „immer so“, sagt hierzu Rehhagel, „wie ich es für richtig halte.“

Diesmal machte also eine Hälfte Andreas Herzog mit, ohne daß annähernd zu erkennen gewesen wäre, wozu. Der begabte Wiener ist zum bedauernswertesten Bauern in diesem Ränkespiel geraten. Hätte Bayern verloren, wäre bewiesen gewesen, was in München alle glauben: Daß Rehhagel keine Ahnung vom Fußball hat.

Was man sagen kann, ist, daß Rehhagel über Fußballspiele nur deskriptiv zu reden in der Lage ist. Interessant ist dazu im Vergleich das analytische Vorgehen von VfB-Trainer Rolf Fringer. Der wußte, daß die Bayern nach Hamanns frühem Platzverweis nicht einzig gewannen, weil „aufopferungsvoll gekämpft“ (Rehhagel) wurde. „Führerlos“ sagte Fringer, sei der VfB gewesen, mit einer Abwehr, die nicht nur bei Klinsmanns Siegtor „total pennte“, und es nicht schaffte, die Bälle so zügig nach vorne zu bringen, daß die mathematisch zwangsläufigen Überzahlsituationen entstehen konnten.

Das Problem, sagt Fringer, sei „keine Sache des Kopfes“, sondern grundsätzlich eine „Qualitätssache“. Der Mann glaubt, eine Idee zu haben, doch nicht genug Spieler, sie auszuführen. Der FC Bayern hat diese Spieler. Während hüben Elber eine Handvoll bester Chancen vertat, war es drüben Jürgen Klinsmann, der nicht nur bei seinem Tor zeigte, daß sein Wert weit über die Rendite aus den Trikotverkäufen hinausgeht.

Ja, der Jürgen! „Der Jürgen“, sagte Lothar Matthäus, „schießt die Tore für die Mannschaft.“ „Mannschaft“ ist das Wort, das die vorgebliche Mannschaft am häufigsten gebraucht. „Wir“, sagt Matthäus, „sind eine Mannschaft und halten zusammen.“ Womit ein für allemal klar ist, wo das Problem auch liegt. Bayern ist: keine Mannschaft. Und hält: nicht zusammen.

Warum eigentlich nicht? „Wir sitzen alle im selben Boot“, sagt Klinsmann, „und haben gemeinsam ein Ziel.“ Es stimmt: jeder einzelne bei Bayern hat gemeinsam ein Ziel. Das heißt, unter anderem, UEFA-Pokal. Morgen muß man mit magerem Hinspiel-2:2 beim FC Barcelona ran und wähnt sich dank der glücklichen Umstände von Stuttgart nun von psychologischem Rückenwind unterstützt. „Warum sollen wir in Barcelona keine Chance haben“, fragt der Präsident und fügt exklusiv hinzu: „Barcelona spielt Fußball.“

Später sah man, wie er sich in den Stadion-Katakomben durch einen Pulk wand, in dessen Mitte hellerleuchtet der Angestellte Klinsmann sprach. Fast schien es, als sei er einen Moment versucht, sich dazuzustellen und auch zu horchen. Dann aber ging er weiter. Irgendwie könnte einer den Eindruck gewonnen haben, daß dies kein rundum glückliches Wochenende für ihn war.

FC Bayern München: Kahn - Matthäus (46. Kreuzer) - Babbel, Helmer - Hamann, Herzog (46. Scholl), Sforza, Nerlinger, Ziege - Witeczek (77. Papin), Klinsmann

Zuschauer: 53.000 (ausverkauft)

Tor: 0:1 Klinsmann (48.)

Rote Karte: Hamann (30./ grobes Foulspiel)

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