: Legitim ist Israels Aktion nur in den Augen der USA
■ Die israelische Operation richtet sich nicht nur direkt gegen Hisbollah-Kämpfer. Vielmehr sollen Libanon und Syrien veranlaßt werden, Hisbollah zu kontrollieren
Die Operation „Früchte des Zorns“ richtet sich direkt gegen Hisbollah. Denn wie keiner anderen Partei ist es der schiitisch-islamischen Organisation in den vergangenen Jahren gelungen, der israelischen Armee empfindliche Verluste beizubringen.
Die Hisbollah wurde noch während der Libanon-Invasion Israels im Jahre 1982 gegründet, und zwar in Konkurrenz zur schiitisch-libanesischen Miliz Amal unter der Führung Nabih Berris. Von Beginn an verstand sie sich als islamische Speerspitze im Kampf gegen die israelische Besetzung. Mit spektakulären Selbstmordkommandos gegen US-amerikanische und französische Friedenstruppen – bei der am 23. Oktober 1983 in Beirut 303 Soldaten getötet und mehr als 30 verletzt wurden – erzwang die Hisbollah den Rückzug der internationalen Truppen. Es gelang ihr in den Folgejahren, die israelische Armee in die südlibanesische Sicherheitszone abzudrängen. Bei der Explosion von Autobomben oder in Hinterhalten wurden im Laufe der Jahre Dutzende israelischer Soldaten getötet.
Der hohe Blutzoll, den Israels Armee im Libanon bezahlte, hatte einen Gegenschlag immer wahrscheinlicher werden lassen. Politische Rücksichtnahmen auf laufende Friedensverhandlungen hatten ihn bisher verhindern können. Auch die jetzige Aktion zielt weniger darauf ab, die Kämpfer der Hisbollah direkt zu treffen, als vielmehr politischen Druck auf die libanesische und die syrische Regierung auszuüben. Diese sollen veranlaßt werden, die Hisbollah unter ihre Kontrolle zu zwingen.
Die Hisbollah ist eine politische Partei, die mit acht Sitzen im libanesischen Parlament vertreten ist. Sie verfolgt in Anlehnung an ihren geistigen Führer Ajatollah Chomeini einen radikalen Islamismus, von dem sich die schiitische Gemeinde im Libanon einen größeren Einfluß im Lande verspricht. Generalsekretär der Organisation und Befehlshaber der militärischen Operation der Hisbollah ist Sid Hassan Nasrallah. Er ist Nachfolger von Abbas Mussawi, der am 16. Februar 1992 von den Israelis ermordet wurde.
Solange Israel einen Teil des Libanon besetzt hält, ist in den Augen der Libanesen und aller Araber ihr militärischer Widerstand gegen die israelische Besetzung gerechtfertigt und von der UN- Charta legitimiert. Der libanesische Ministerpräsident Rafik Hariri warnte denn auch vor einem Bürgerkrieg, der ausbrechen würde, sollte die libanesische Armee die Hisbollah entwaffnen.
Die Operation Israels erinnert in vielem an die Operation „Rechenschaft“ vom Juli 1993, als Ministerpräsident Jitzhak Rabin die libanesische Bevölkerung schon einmal aus dem Süden vertreiben ließ. Die damalige Militäraktion endete mit einem von der US-amerikanischen Regierung vermittelten „Gentlemen's Agreement“ zwischen Israel und der Hisbollah. Danach sollte Israel keine Zivilisten im Libanon mehr angreifen, die Hisbollah keine weiteren Angriffe auf den Norden Israels unternehmen. Die Erschießung eines libanesischen Jugendlichen durch einen israelischen Panzer beendete dieses Übereinkommen und läutete die jetzige Runde der Kämpfe ein.
Diese sind gleichwohl nur in Folge der Konferenz von Scharm al-Scheich zu verstehen. Dort wurde jeder militärische Widerstand gegen eine fremde Besatzung als Terrorismus gebrandmarkt. Die Hisbollah stand schon damals im Fadenkreuz der israelischen Militärs. Zwar wird sie nach wie vor vom Iran finanziert und werden ihre Kämpfer von iranischen Revolutionswächtern im Bekaa-Tal ausgebildet. Dennoch ist ihr die Legitimität ihres Widerstandes nicht abzusprechen. Dagegen läßt sich auch nicht anführen, daß die syrische Besatzungsarmee im Libanon die Hisbollah instrumentalisiert und sowohl die Nachschubwege als auch die Versorgung der Hisbollah-Kämpfer garantiert. Selbst wenn man einräumen mag, daß die syrische Armee damit vor allem das Ziel verfolgt, den politischen Druck auf Israel zu variieren, um bei den Verhandlungen über die Golanhöhen zu einem vorzeigbaren Ergebnis zu kommen, stellt das die Legitimität des syrischen Vergehens nicht in Frage.
Die Tatsache, daß Hisbollah bei allem Fanatismus seiner Mitglieder und Kämpfer bisher keinerlei gewalttätige Aktionen außerhalb des libanesischen Staatsgebietes unternommen hat, stellt das israelische Vorgehen im Libanon vor zusätzliche Legitimationsprobleme. Die Diffamierung des islamischen Widerstandes gegen die israelische Besetzung arabischen Territoriums als „terroristisch“ vermag gegenwärtig offensichtlich nur die USA zu überzeugen. US- Außenminister Warren Christopher hat die israelischen Angriffe als legitime Gegenwehr gegen die Angriffe der Hisbollah bezeichnet. Doch die Probe aufs Exempel, wie Hisbollah sich verhalten würde, sollten sich die Israelis tatsächlich aus „ihrer“ Sicherheitszone im Südlibanon zurückziehen, hat er nicht in Erwägung gezogen. Ein Frieden mit Syrien wird aber davon abhängen, ob die israelische Armee auch im Libanon reinen Tisch macht. Allerdings nicht auf die Art, wie sie es jetzt wieder mal versucht. Georg Baltissen
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