piwik no script img

Quiddjes – nein danke

■ Der altehrwürdige „Verein geborener Hamburger“ bangt um seine hanseatische Identität Von Heike Haarhoff

Zum 100jährigen Jubiläum seines Vereins würde Rudolf Koch so furchtbar gern Hamburgs Ersten Bürgermeister als frischgebackenes Mitglied begrüßen dürfen. Wenn der Senat zu Ehren des deutschtümelnden Vereins geborener Hamburger am 12. Januar nächsten Jahres im Michel einen kleinen Empfang geben wird und er Henning Voscherau die Hand schütteln dürfte, das wäre doch feierlich. Zum Leidwesen des zweiten Vorsitzenden Koch schließt die strenge Satzung jedoch den Regierungschef als nicht gebürtigen Hamburger vom Vereinsleben aus.

Diese Ausgrenzung will Koch abschaffen: Bis Oktober sollen die Mitglieder entscheiden, ob sie künftig auch „Menschen aufnehmen, die zwar nicht in Hamburg geboren sind, aber hier leben und sich mit der Vaterstadt verbunden fühlen“. Denn oft, gibt Koch zu bedenken, sei der Geburtsort ja „eher eine Frage des Zufalls“. Und keinesfalls ausschlaggebend darüber, ob man „sich hanseatisch fühlt“.

Henning I. als Nachkömmling einer „alteingesessenen Hamburger Familie“ jedenfalls hätte bestimmt das Zeug zu einem lokalpatriotischen Vereinsbruder. Bedauerlicherweise, kennt Koch die Voscherau'sche Familiensaga ganz genau, flüchteten seine Ahnen im Krieg aber in die Heide, wo Hamburgs derzeitiger Bürgermeister wenige Meter vor der Vereinsgrenze zur Welt kam.

„Sehen Sie mal, sogar der von Dohnanyi ist Mitglied bei uns. Der ist nämlich in Hamburg geboren, aber ursprünglich kommt seine Familie aus Ungarn“, suchte Rudolf Koch jetzt bei der Jahreshauptversammlung die Paradoxie der Vereinssatzung begreiflich zu machen. Es sei „geographisch und auch sonst nicht mehr haltbar“, daß beitrittswillige Pinneberger oder Norderstedter „vom Aufnahmeausschuß nach Vorlage von Geburtsurkunde und Personalausweis abgewiesen“ würden. So gelinge es nie, den Verein zu verjüngen.

Die meisten sind zwischen 65 und 95 Jahre alt, der natürliche Mitgliederschwund von einst 4.000 auf 600 mache die baldige Umbenennung in „Verein gestorbener Hamburger“ wohl unumgänglich, zischeln böse Zungen. Doch vor allem die „altehrwürdigen Mitglieder“ haben arge Bedenken gegen „die Öffnung“ und bestehen nun auf einer Abstimmung per Briefwahl. Vor „Überfremdung“ wurde da gewarnt. Die niederdeutsche Kultur sei „bedroht“, wenn gar Quiddjes unkontrolliert Mitglied werden könnten.

Ähnliche Sorge hatte sie schon vor ein paar Jahren bei der letzten Satzungsänderung umtrieben, als Frauen der Beitritt in den staubigen Alt-Herren-Club gestattet wurde. Zuvor waren die Damen nur als Köchinnen und Putzhilfen bei den Festen ihrer Gatten geduldet.

„Alte Mitglieder tun sich eben schwer bei dem Gedanken. Die werfen kriminelle ausländische Mitbürger und tadellose in einen Topf“: Koch hat für alles Verständnis, und ganz besonders für den alltäglichen Rassismus: „Normalerweise“, beruhigt er seine zitternden Altehrwürdigen, „werden Ausländer bei uns sowieso keine Vereinsheimat finden. Die haben ja ihre eigenen schönen Kulturvereine.“ Mit den „schönen Ausfahrten im Sommer“, den Kaffee-und-Kuchen-Schlachten, der Hamburgensiensammlung, den alten Fahnen und dem vereinseigenen Seemannschor könnten „die ja nichts anfangen“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen