■ Normalzeit: Qualität und Gerechtigkeit
„Nach Einbruch der Nüchternheit“ heißt eine neue Bio-Bibliographie des Ton-Dia-Künstlers Thomas Kapielski, die käuflich in der Kunstbuchhandlung von Barbara Wien zu erwerben ist. Es geht in dem Text-Bild-Band um Qualität und Gerechtigkeit: „,Gute Kunst‘ setzt sich durch, weil man gut nennt, was sich durchsetzt. Das kann zum Verhängnis werden, wenn man dann gerade in einer allgemein anerkannten Kitschecke siedelt und dort nach Einbruch der Nüchternheit nicht wieder rauskommt.“
An anderer Stelle heißt es – nach einer Schilderung verschiedener Kunst-Aktionen: „Da müßte jetzt mal das ,Kunstforum‘ langsam klingeln. Klingelte aber nicht. So blöd war man eben auch, daß man dachte, gerechterweise müßte jetzt mal das ,Kunstforum‘ an der Türzarge scharren. Und man würde sie dann hinhalten. Ach Gottchen.“ Zum Verhältnis von Qualität und Nüchternheit bemerkt der Autor, daß er alle Ideen zweimal ausfertigte: „Einmal besoffen und einmal nüchtern“, und daß er auch „zweifache Begutachtungen“ vornahm: „Wenn beides paßte, war's gut. Eine nüchterne Lösung, die besoffen nicht standhält, kam in den Mülleimer.“ Unterm Strich war schließlich das Ergebnis noch nüchterner: „Die Höhe der Kunst ist gewollte Arbeitslosigkeit angesichts der irrsinnigen Versessenheit auf den durchgehenden Betrieb“.
In einem Schwung erledigt sein Künstler-Werkverzeichnis, wozu die Unternehmer-Biographien 100 Jahre brauchten – von den Exemplifizierungen protestantischer Ethik (bei Rockefeller und Carnegie z.B.) bis zu Donald Trumps „Art of the Deal“. In den Bestsellern von Lee Iacocca etwa geht es ebenfalls um Qualität und Gerechtigkeit! Der als Topmanager von Ford entlassene spätere Chrysler-Präsident hält die von ihm mitgebauten Autos – z.B. Ford-Mustang, -Fiesta und Chrysler-Minivan – für „die besten“. Und so wie Kapielski seine besten Lösungen regelmäßig beim „Trödellibanesen“ fand, ist auch Iacocca davon überzeugt: „Die richtigen Leute einzustellen, ist das Beste, was ein Manager tun kann.“
Letztlich ist Qualität jedoch für ihn eine Frage der „Tatkraft“. Als Henry Ford ihn desungeachtet feuert, notiert er: „Obwohl ich es hätte voraussehen können, lebte man doch immer in der Hoffnung, daß die Gerechtigkeit siegen würde, solange man gute Arbeit leisten würde.“ Seine größte „Performance“ hatte Iacocca, als Chrysler in Konkurs zu gehen drohte. Am Schluß und nach Schließung von 31 Fabriken schreckte Iacocca nicht einmal mehr vor (sozialistischer) Arbeiter-Mitbestimmung und -Beteiligung zurück. Derweil ein Banker, von Lehman Brothers, die Situation mit der des Vietnamkrieges verglich: „Chrysler könnte ein Sumpf sein, aus dem man nicht mehr herausfindet.“ Zwar bekam die Firma schließlich eine Staatsbürgschaft, aber „dann spitzte sich die Situation erneut zu: Wir hatten nur noch eine Million!“ (Normalerweise benötigte Chrysler 50 Mio. am Tag.) Iacocca ging daraufhin persönlich in die Werbung.
Auch Kapielski schreckte nicht vor diesem Schritt zurück, als es im Verlauf der Wiedervereinigung immer düsterer um die Kunst wurde. Es gibt noch eine weitere Gemeinsamkeit zwischen ihnen: „Farbdias von Unfallautos“ – die sie beide für eine „wirksame Lehre“ halten. Über das Verhältnis von Qualität und Nüchternheit urteilt Iacocca: „Wer heutzutage noch von einem fröhlichen Menschen bedient wird, wittert dahinter automatisch Drogeneinfluß... Was Qualität betrifft, bin ich überempfindlich – es ist eine Grundhaltung.“ Dazu genügt es jedoch keineswegs, „alle in einen großen Hörsaal zusammenzutrommeln, das Licht auszuschalten und Dias zu zeigen!“ Helmut Höge
wird fortgesetzt
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