: Der Union kommt jedes Risiko gelegen
Hessens CDU knallt durch: Weil unabhängige Richter Untersuchungshäftlinge aus dem Knast entließen, inszenieren die Schwarzen eine Kampagne gegen den grünen Justizminister ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Wiesbaden (taz) – „Was im Libanon die Hisbollah, ist in der hessischen Rechtspolitik der Fundamentalismus der CDU.“ Im Gespräch mit der taz schlug der hessische Minister der Justiz und für Europaangelegenheiten, Rupert von Plottnitz (Bündnis 90/Die Grünen), gestern hart gegen die Union zurück. Deren Plakat- und Wandzeitungsaktion gegen das „Sicherheitsrisiko“ Rupert von Plottnitz beschäftigt inzwischen auch das Landeskriminalamt (LKA) in Hessen.
Die Landesregierung hat das LKA – wie nach Drohbriefen und Schmähschriften gegen Minister und Staatssekretäre üblich – von der Kampagne der Union in Kenntnis gesetzt. Das Landeskriminalamt soll die aus dieser Kampagne resultierenden möglichen Folgen für die Sicherheit des Staatsministers eruieren. Immerhin sei von Plottnitz von der CDU dafür verantwortlich gemacht worden, daß „Schwerverbrecher“ (CDU) auf freien Fuß gesetzt wurden, Drogen demnächst in Apotheken eingekauft werden könnten und die lebenslängliche Freiheitsstrafe abgeschafft werde. Da könnten schon einmal einigen Sicherheits- und Ordnungsfanitikern aus dem rechten Spektrum alle Sicherungen durchknallen.
Rupert von Plottnitz wird also von den Bodyguards des LKA mit Argusaugen beobachtet, seit er ins Visier der Union geraten ist. Die „Hisbollah“ aus Wiesbaden, der vom Minister vor allem der rechtspolitische Sprecher der Union im Landtag, Christean Wagner, und der Fraktionsvorsitzende Roland Koch zugeordnet werden, habe mit ihrer Plakataktion und mit den nachgeschobenen öffentlichen Äußerungen „die Grenzen der demokratischen Formen der politischen Auseinandersetzung weit überschritten“, konstatierte ein sichtlich genervter Minister am Mittwoch im Rechtsausschuß. Der war im Landtag zu einer Sitzung zusammengekommen, weil in der vergangenen Woche – nach einem Beschluß des Oberlandesgerichts (OLG) in Frankfurt – insgesamt drei Untersuchungshäftlinge in die Freiheit entlassen worden waren, denen die Staatsanwaltschaft „Drogenhandel und Geldwäsche“ vorgeworfen hatte.
Entlassungen wegen zu langer Untersuchungshaft
Das OLG begründete seinen Beschluß damit, daß die zuständige 12. Strafkammer in Darmstadt „in angemessener Frist“ keinen Termin für die Verhandlung gegen die drei mutmaßlichen Täter anbieten konnte. Bereits im Februar waren zwei mutmaßliche Drogendealer vom OLG aus der U-Haft entlassen worden, weil das Landgericht in Hanau keinen Verhandlungstermin benennen konnte und die Männer deshalb unzumutbar lange hätten in der U-Haftanstalt einsitzen müssen.
Der „Strafanspruch des Staates“ werde da unter der Verantwortung von Minister Rupert von Plottnitz leichtfertig aufgegeben, monierte der CDU-Rechtspolitiker Wagner im Ausschuß. Und die Bürgerinnen und Bürger müßten nur deshalb um ihre Sicherheit fürchten, weil SPD und Bündnisgrüne in ihrer Sparwut auch im Justizbereich Stellen und Sachmittel gestrichen hätten. „Herr Minister! Verhindern Sie umgehend, daß in Hessen weiter Schwerstkriminelle freikommen!“
Von Plottnitz selbst verwies zunächst lapidar auf die „Unabhängigkeit der Gerichte“ und drehte den Spieß um. In seiner einjährigen Amtszeit seien in zwei Fällen Untersuchungshäftlinge nach unabhängiger richterlicher Entscheidung freigelassen worden. In den vier Jahren der Regierung Wallmann/Gerhard (CDU/FDP) hätten unabhängige Richter dagegen in 30 Fällen Untersuchungsgefangene aus der Haft entlassen, weil von den Tatgerichten keine Termine benannt werden konnten. Und das, so der Minister weiter, seien auch keine Bagatellfälle gewesen (es handelte sich um Heroinhandel und Wirtschaftskriminalität).
Er könne sich nicht erinnern, sagte der Minister weiter, daß die damalige Opposition aus SPD und Bündnisgrünen seinerzeit ein solches „Kriegsgeschrei“ wie die Union heute angestimmt habe. Politische Delikatesse am Rande: Justizminister unter Wallmann war Karl-Heinz Koch (CDU), der Vater des amtierenden Fraktionsvorsitzenden der Union, Roland Koch, der heute für die Kampagne der Union gegen den grünen Minister federführend verantwortlich zeichnet.
Gehandelt habe sein Haus bereits nach dem ersten Vorfall, sagte von Plottnitz vor dem Ausschuß. Gerade am Landgericht in Darmstadt seien Ersatzstrafkammern eingerichtet worden, denn die ganze Geschichte sei auch für ihn „wenig vergnüglich“. Ein „Frühwarnsystem“ soll zudem dafür sorgen, daß Engpässe bei den Gerichten früher als bisher im Ministerium bekannt werden. Dennoch räumte von Plottnitz ein, daß letztendlich nicht ausgeschlossen werden könne, daß ein unabhängiges Gericht auch in Zukunft zu der Auffassung gelangt, daß ein U- Häftling freigelassen werden müsse, weil die tolerierbare Haftzeit – aus welchen Gründen auch immer – überschritten wird.
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