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Raider heißt jetzt Bands Untied

Nimm 25! Bei „Bands Untied“ wird ein ganzer Jahrgang Berliner Bands an einem Abend über die Bühne des Tempodroms gejagt. Eine irre logistische Leistung. Keiner spielt länger als 10 Minuten – sonst wird der Stecker gezogen  ■ Von Andreas Becker

Auch dieses Phänomen hat es in Berlin schon öfter gegeben: Jemand (am Monopolyspiel können auch mehrere Personen teilnehmen) erfindet eine Musikveranstaltung, gibt dem Kind einen Namen und organisiert die Sache ein paar Jahre. Auch wenn er es nie öffentlich sagen würde: Das Kind gehört ihm, er ist der Vater, niemandem würde er das Kind anvertrauen (what about mother?).

Worum es geht? Der erste Fall liegt schon einige Jahre zurück und betraf die „Berliner Jazztage“. Der „Erfinder“ bestand damals darauf, daß nach seiner Ablösung als Chef auch der Name verschwinden müsse. Er beanspruchte, wie es so schön in der Wirtschaft heißt, „Titelschutz“. Seitdem heißt das Festival JazzFest. Was einige Jahre für sprachliche Verwirrung sorgte. Denn Markenartikel kann man nun einmal nicht umbenennen – Ausnahme: „Raider heißt jetzt Twix.“

Und nun, geneigte Leser, werden Sie (fiktive Dienstanweisung der taz-Anzeigenabteilung: Leser sind fortan zu siezen) gleich fragen: „Bands Untied“ – issen ditte nu wieder? Denn Bands United heißt jetzt Bands Untied. Vier mal gab's das Festival, bei dem in fünf Stunden 25 Berliner Bands über die Bühne gejagt werden, schon als Bands United, organisiert vom Berliner Bandsyndikat.

Letzteres darf man noch schreiben, denn das gibt's qua Auflösung gar nicht mehr. Aber wegen irgendwelcher Szenekleingeister, Teilmengen des Syndikats, ist es diplomatisch geboten, die Veranstaltung nicht weiterhin Bands United zu nennen. Wer sitzt schon gern im Gericht rum...

Trotzdem existiert das zweite Festival dieser Art neben Metrobeat ohne Veränderungen weiter. Motto wie immer: alle relevanten Bands eines Jahrgangs an einem Abend durchhören. Denn die wichtigen Dinge im Leben (wie Zähneputzen) brauchen nicht mehr als zehn Minuten. Wer während des ersten Songs pinkeln geht, bekommt, mit viel Glück, noch die Zugabe mit. Denn bei Bands United – pardon, militante Titelschützer: bei Bands Untied – spielt keine Band länger als zehn Minuten. Dann wird notfalls der Stecker gezogen, was bislang aber erst einmal geschah. Nach fünf Minuten Umbaupause geht's weiter, jedenfalls wenn keiner in der Hektik sein Instrument verschlampt (dann heißt es leihen!). Eine irre logistische Leistung, die sich vor allem von hinten gesehen (Backstage!) ausnimmt wie ein Marathonlauf im Hühnerstall.

„Ich empfehle immer, drei Songs zu spielen. Den ersten als Soundcheck, den zweiten als Höhepunkt und den dritten als Zugabe. Hinter der Bühne werden die Musiker belohnt mit einer Party mit Buffet und Getränken für dreihundert Leute“, sagt Mabel Aschenneller, Organisator von Bands Untied. Denn Gagen gibt's nicht. Allenfalls Überschüsse – im letzten Jahr gingen sie, leider nur in Form von 5.555 Mark (eine Zahl, die notorische Rechnungsprüfer stutzen läßt), ans Lighthouse. In diesem Jahr bleibt hoffentlich wieder etwas mehr übrig, denn das Geld fließt in das neue Tempodrom am Anhalter Bahnhof, das inzwischen rund 60 Millionen Mark kosten soll.

Mabel, dem Tempodrom-Besucher bekannt als guter Geist vor, hinter und auf den Showbrettern der kleinen Zeltstadt, und seine Kollegen vom Veranstalter Piranha (Heimatklänge & Co) nahmen die Hürde wieder einmal mit Humor und Pragmatismus: Um gar nicht erst in unsinnige (Rechts- )Streitigkeiten zu verfallen und um das beliebte Festival zum Saisonauftakt des Tempodroms zu retten, hat man in einer Nacht-und- Nebel-Aktion einfach die Buchstaben gedreht. Und siehe da, die Zeichen geben neuen Sinn. Denn united, vereinigt, fühlte man sich in der Berliner Musikszene, wenn überhaupt, dann wohl nur mit Bauchschmerzen. Untied dagegen heißt, wie Mabel inzwischen aus dem Effeff weiß: ungebunden, autark, entfesselt, ausgelassen, locker, losgelöst.

Diese Wörterbuchattribute passen vielleicht gar nicht einmal so schlecht auf die 25 teilnehmenden Bands. Mabel und ein paar tapfere Freunde haben sich durch 200 eingeschickte Tapes von Berliner Bands gehört. „Vielen mußten wir dann leider absagen.“ Aus den unterschiedlichsten Gründen. Nicht einfach war es, einen Mix aus Newcomern und ein paar bekannteren Acts zu schaffen. Der größte Publikumsrenner dürfte in diesem Jahr „Mähähädchen“ Lucilectric sein. Die Zusage der Hitband bekam Mabel wohl nur, weil er mal mit Droge von Lucilectric in einem besetzten Haus in Amsterdam gewohnt hat. Pothead und Passionfruit haben leider abgesagt, letztere wegen Auflösungserscheinungen (ohne Niko W. Gings wohl doch nicht...). Zur zweitberühmten Combo sind damit Gom Jabbar aufgerückt.

Stilvielfalt wird großgeschrieben. Die Auswahl der Bands erfolgte nach dem streng subjektiven, sympathischen Motto: „Ich möchte mit jeder Band Lust haben, 'ne Party zu feiern. Außerdem haben wir nicht mehr wie in den letzten Jahren die typischen vierköpfigen Jungsbands mit Gitarren dabei.“ Beim Durchhören der Kassetten hatte Mabel das Gefühl, daß Bands, bei denen Frauen mitspielen, mehr zu sagen haben oder reifer klingen, something like that. Nun sind 12 Bands mit mindestens einer Frau dabei. Quotensieger: das Drei-Frauen-A-cappella-Projekt Tri Star. Zehn schöne Minuten dürfte uns auch Chansonette Popette Betancor bereiten oder das „Girl in the House“ Paula P'Kay. Wer dann mal aufs Klo will oder zum Tresen muß, der könnte dazu zum Beispiel den Auftritt von „Nepper Schlepper Schlechte Rapper“ nutzen...

Das Tempodrom hat in der letzten Woche nun tatsächlich das bekommen, worauf man seit Jahren wartete, was man aber irgendwie nie glauben wollte: die Kündigung des Platzes. Rundum sind schon Löcher, 1997 verschwindet auch das Tempodrom in einem. Wenn nicht noch ein zentraler Platz ohne genervte Anwohner gefunden wird, mindestens für zwei Jahre.

Beginnen wir also die letzte Saison mit einer leckeren Henkersmahlzeit. Vielleicht gibt's dann ja doch schneller als gedacht ein neues Tempodrom: völlig untied.

Bands Untied im Tempodrom, In den Zelten, Tiergarten. Dienstag, 30. April. 25 Bands für 25 DM (Vorverkauf 18 DM)

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