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214.000 Menschen sind arbeitslos

„Arbeitsmarktbericht 1995“: Trotz erfolgreicher Beschäftigungsprogramme noch nie soviel Menschen arbeitslos. Senatorin Bergmann bezeichnet Bonner Sparpaket als „Schwachsinn“.  ■ Von Markus Grill

Es gibt wieder weniger Jobs. Während vom Kanzler bis zur PDS alle von der Schaffung von Arbeitsplätzen reden, sinkt die Zahl der Stellen in Berlin ständig – zumindest im Westteil der Stadt. Senatorin Christine Bergmann (SPD) stellte gestern den „Arbeitsmarktbericht 1995“ vor und kritisierte zugleich heftig den Bonner „Katalog der Grausamkeiten“.

Mehr als jeder siebte Berliner war im letzten Jahr ohne Job. Die Arbeitslosenquote stieg von 13,2 Prozent im Jahr 1994 auf 13,6 Prozent im vergangenen Jahr. In absoluten Zahlen: 3.250 Hauptstadtbewohner mehr als noch ein Jahr zuvor mußten 1995 stempeln gehen. Im Ländervergleich war Berlin das Bundesland mit dem größten Einbruch bei der Erwerbstätigkeit.

Dabei war die Arbeitslosenquote im Westteil der Stadt um knapp zwei Prozentpunkte höher als im Ostteil. Während dort mit minus 10.000 seit der Vereinigung die Zahl der Beschäftigten am geringsten fiel, wurden im gleichen Zeitraum in Westberlin rund 20.000 Arbeitsplätze abgebaut – ein Negativrekord, stellte Bergmann fest. Im Westteil der Stadt gab es im letzten Jahr 6,3 Prozent mehr Arbeitslose, im Osten 6,1 Prozent weniger als im Vorjahr. Allerdings tauchen in Ostberlin nach wie vor erheblich mehr Menschen durch sogenannte arbeitsmarktpolitische Maßnahmen nicht in der Arbeitslosenstatistik auf. Im Westen profitieren nur rund 26.000 Menschen von Altersübergangsgeld, beruflicher Weiterbildung oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM). Im Osten der Stadt kommen diese Leistungen 73.000 Personen zugute.

Auch diese Zahlen sind höher als noch ein Jahr zuvor. Insgesamt betraf dies 99.000 Berliner gegenüber 95.000 im Vorjahr. Während also immer mehr Leute von arbeitsmarkpolitischen Maßnahmen abhängig sind, steigt trotzdem die Zahl der Arbeitslosen weiter an.

Bergmann bezeichnte angesichts der 214.000 beschäftigungslosen Berliner die Arbeitslosigkeit als das gesellschaftliche Problem Nummer eins. Ein regionales Bündnis für Arbeit und Ausbildung sei dringend notwendig, um den sozialen Frieden zu wahren.

Ein Schwerpunkt im letzten Jahr habe nach ihren Worten in der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung, Sozialdumping und Schwarzarbeit gelegen. Mit Stolz verwies Frau Bergmann auf die Berliner Bundesratsinitiative für ein nationales Entsendegesetz und die Kontrollen auf Baustellen. Trotz diesen Maßnahmen geht's dem Bau aber weiter dreckig. So stieg die Zahl arbeitsloser Bauarbeiter in den ersten drei Monaten dieses Jahres um die Hälfte an. Nach Angaben der Fachgemeinschaft Bau sind jetzt 22.000 Bauarbeiter in Berlin ohne Kelle anzutreffen, weitere 7.000 arbeiten kurz. Die Arbeitslosenquote im Bauhauptgewerbe liege bei einem Viertel.

Das Vorhaben der Bundesregierung, die Lebensarbeitszeit zu verlängern und die Bürger erst mit 65 in Rente zu schicken, hält die Arbeitssenatorin für „Schwachsinn“. Der Plan sei eine „arbeitsmarktpolitische Katastrophe“, weil er verhindere, daß Jugendliche ins Berufsleben wechseln können. Die Kohl-Regierung will außerdem die Zuschüsse an die Bundesanstalt für Arbeit streichen. Die dadurch entstehenden Haushaltslöcher bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik könnte Berlin nicht mehr stopfen. Gleichzeitig betonte die Arbeitssenatorin jedoch, noch nicht genau abschätzen zu können, wie sich die Bonner Pläne in Berlin auswirkten. Noch sei alles in der Diskussion. „Aber ich habe hier ganz beträchtliche Befürchtungen.“

Bei ihrer Pressekonferenz sprach sich Bergmann als Arbeitssenatorin eindeutig für die Fusion von Berlin und Brandenburg aus. Denn obwohl beide Länder noch nicht vereinigt sind, pendeln schon jetzt täglich 95.000 BrandenburgerInnen nach Berlin, 41.000 BerlinerInnen nach Brandenburg. Eine Fusion mache ein gemeinsames arbeitsmarktpolitisches Förderprogramm möglich.

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