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Im Schatten junger Apfelblüten

Spontan, natürlich und auf keinen Fall erhaben: Eine umfangreiche Ausstellung im Pariser Grand Palais ehrt Camille Corot als großen französischen Landschaftsmaler und Vorreiter des Realismus zu dessen 200. Geburtstag  ■ Von Gabriele Hoffmann

Die Retrospektive war als Revision gedacht. Zu seinem 200. Geburtstag sollte die allzu stimmige Einordnung Camille Corots als Maler poetischer Landschaften noch mal unter die Lupe genommen werden. Jetzt lockt sie scharenweise Menschen ins Grand Palais. Mit einer großen Zahl von Leihgaben, vor allem aus den USA, soll bewiesen werden, daß es sich lohnt, Corot, den so gegensätzliche Naturen wie Baudelaire und Pissarro bewunderten, aus dem Schatten von Realismus und Impressionismus herauszuholen.

1825 bricht der junge Corot, Sohn eines Tuchhändlers und einer Modehändlerin, zu einer dreijährigen Italienreise auf. In Rom und in der Campania entstehen zahllose Ölskizzen, bei denen der Maler oft über mehrere Tage das Licht an einem Ort zur immer gleichen Tageszeit studiert. Was den Besucher der Pariser Ausstellung an den frühen römischen Stadtansichten mit Blick auf Colosseum, Engelsburg und die Kirche Trinitá dei Monti so fasziniert, ist die Synthese aus schlichter Wiedergabe des Gesehenen und einer Ruhe und Selbstverständlichkeit, die auch den Maler charakterisiert. Nüchtern und klar ist die Pleinairmalerei Corots dieser Periode, Licht und Schatten sind die einzigen Akzente.

Vor der Julirevolution 1830 flüchtet der an Politik wenig interessierte Maler aus Paris in die Provinz. Im Bild „Die Kathedrale von Chartres“ tritt das Bauwerk, damals Monument einer romantisch- nationalen Gotikverehrung, in den Hintergrund, teilt sich die Aufmerksamkeit des Betrachters mit einem vom Lichteinfall herauspräparierten Haufen behauener Steine am Fuße eines Hügels im Bildvordergrund. In einer solchen regelwidrigen, die Bedeutsamkeit der Dinge auf den Kopf stellenden Komposition zeigt Corot freimütig seine natürliche Abneigung gegen jede Form von Erhabenheitskult. „Abstoßende Vulgarität“ bescheinigten ihm die Zeitgenossen für Bilder wie „Wohnhaus und Fabrik von M. Henry“. Gleichzeitig galt er unter Kollegen schon bald als der führende Landschaftsmaler Frankreichs, der ab Mitte des Jahrhunderts nicht nur Schüler, sondern ungewollt auch ein Heer von Fälschern beschäftigte. Aus heutiger Sicht gelang es Corot jedoch keineswegs immer, die Spontaneität und Natürlichkeit seiner Pleinairmalerei auf die eher großformatigen, für den Salon bestimmten Gemälde zu übertragen. Man vergleiche die Ölskizze der Flußlandschaft von Narni (1826) in lebhaft verzahntem Licht und Schatten mit der im Atelier entstandenen ziemlich schwerfälligen Version im Stil einer Pastorallandschaft in der Tradition von Lorrain und Poussin, den Klassizisten des 17. Jahrhunderts.

Corot gehört zur Gruppe der Maler von Barbizon (Rousseau, Daubigny, Diaz, Dupré), die ab 1830 gemeinsam im Wald von Fontainebleau ihre „Studien“ auf Leinwand oder Papier malten, die sie dann im Atelier vollendeten. Erst nach einer weiteren Italienreise entstehen Bilder wie „Die Zitadelle von Volterra“, in denen Linien und Flächen ganz dem natürlichen Aufbau der Landschaft folgen und feinste Schatten die vom Licht ausgebleichten Farben strukturieren. Einzelne Menschen und kleine Gruppen – eine Hirtin zwischen Felsbrocken, diskutierende Mönche auf einer Terrasse über dem abendlichen Florenz, heimkehrende Fischer auf dem Gardasee – interpretieren das Dauerhafte der Natur als Sinnbild des Friedens und der Verläßlichkeit.

Jedes Jahr unternimmt Corot fortan Reisen in die französische Provinz, in die Normandie, in die Gegend von Rouen und nach Ville d'Avray, wo er im Landhaus seiner Eltern ein Atelier besitzt.

In die von flötespielenden Hirten und tanzenden Nymphen bevölkerten, später entstehenden Pastorallandschaften, mischt sich die Sehnsucht des Städters nach einem einfachen, ungestörten Leben in der Natur. Immer weiter entfernt sich Corot von der reinen Zuständlichkeit seiner frühen Landschaften, immer mehr wird er zum Dichter. „Erinnerung an Mortefontaine“ ist eines der späten Meisterwerke des Malerpoeten, der jetzt mit seinem eigenwilligen Malgestus zarte graugrüne oder goldbraune Schleier über die Dinge legt. Licht und Feuchtigkeit lösen die Konturen auf und schließen die vielgestaltige Natur zu einem Stimmungsgemälde zusammen. Corot entwirft mit seinen stillen, mythischen Naturansichten Gegenbilder zur frühindustriellen städtischen Betriebsamkeit. Parallel dazu arbeitet er an „Atelierbildern“: Eine junge Frau – vielleicht sein Modell – hat den Platz des Malers vor der Staffelei eingenommen. In der herabgesunkenen Hand hält sie eine Mandoline. Malerei und Musik begegnen sich im Moment einer Ruhepause. Die zahlreichen Variationen von „Corots Atelier“, in einheitlich toniger Malerei, kann man als ein unpathetisches Bekenntnis des Malers zu Selbstbesinnung und Stille verstehen. Dem romantischen und oft melancholischen Tenor seiner späten Gemälde widerspricht der freie, spontane Malduktus, unübertroffen im Gemälde „Dame in Blau“ von 1874, seinem Todesjahr.

Bis 27. 5., Grand Palais, Paris. Der Katalog kostet 380 frs.

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