: 36 Tage im nigerianischen Gulag
„Die Zelle war etwa vier mal dreieinhalb Meter groß und enthielt 65 bis 70 Menschen. Es gab weder Lüftung noch sanitäre Einrichtungen ...“: Ein Journalist aus Nigeria beschreibt seine Erlebnisse in Polizeihaft ■ Von Osa Director
Irgendwie hatte ich es geahnt. Es war gegen Viertel vor drei, nachmittags am 31. August 1995. Auf der Galadima Road in Kano näherte sich mir eine dünne Figur mit Leichenmiene: ASP Salisu Gyadi Gyadi, Öffentlichkeitsreferent der Kano-Landespolizeidirektion. Er gab mir die Hand, wir tauschten Höflichkeiten aus. Sein Boß, erklärte er mir, müsse mit mir reden. Nach viel Überredung und der Zusicherung, es werde nicht lange dauern, willigte ich ein.
In der Polizeidirektion brachte man mich direkt ins Büro des Chefs Hashimu Abdullahi. Als ich das innere Heiligtum seines Büros betrat, fragte er mich: „Osa Director, sind Sie Nigerianer?“ Widerstrebend antwortete ich mit „Ja“. Dann hob er eine Ausgabe unserer Schwesterzeitschrift Dateline in die Luft mit meiner Titelgeschichte „Abacha, Buhari at War Over Oil Money“, in der von einem Zwist zwischen dem Präsidenten und dem Leiter des Ölentwicklungsfonds die Rede war. „Sie haben also diesen Unsinn über unser Staatsoberhaupt geschrieben?“, fragte er mich. Ich antwortete: „Was ist denn falsch an der Geschichte, Sir?“ Daraufhin sagte er: „Schließt ihn weg und durchsucht sein Haus.“ So begannen meine 36 Tage im nigerianischen Gulag.
Meine Wohnung wurde auf den Kopf gestellt, als ob sie tödliche Gegenstände enthielt, die Nigeria in Stücke reißen könnten. Leider fanden die Agenten nur alte Zeitschriften. Also wurde ich zurück in die Direktion gefahren und in das Verhörzentrum geführt. Die Befragung dauerte etwa fünf Stunden, von 17 Uhr bis zwanzig nach zehn. Die Fragen waren absurd und alltäglich zugleich, primitiv und ekelhaft. Die Taktik war die der vorsintflutlichen Einschüchterung. Danach nahm man mir meine persönlichen Sachen ab, und um halb elf warf man mich in eine Zelle für Schwerverbrecher.
Die Insassen ernannten mich zum Minister
Die Zelle war etwa 4 mal 3,5 Meter groß und enthielt schätzungsweise etwa 65 bis 70 Menschen. Es gab weder Lüftung noch sanitäre Einrichtungen. Man kann sich den Gestank und die Gesundheitsgefährdung vorstellen. Die meisten Insassen waren auf das Niveau von Tieren reduziert, mußten sich in die verschiedensten Formen quetschen, schliefen halb übereinander, jaulten und knurrten in den unterschiedlichsten Tönen. Schlaf war ein Traum. Viele standen die ganze Nacht, andere konnten sich gerade mal hinsetzen.
Die Zelle war schlimmer als der Dschungel. Sie war zugleich eine Republik. Es gab einen Präsidenten, einen Vizepräsidenten und Regeln. Als ich hereinkam, schlief der Präsident gerade, und so verhörte mich sein Stellvertreter. Ich stellte mich vor. Die „Regierung“ der Zelle hieß mich willkommen, und ich mußte einige Initiierungsrituale über mich ergehen lassen. Da ich Journalist war, blieben mir die schlimmsten davon erspart, und ich wurde zum Informationsminister ernannt mit dem Auftrag, den Insassen von der Außenwelt zu erzählen. Ich fügte mich. Man machte mir sogar ein wenig Platz, so daß ich mich setzen konnte.
In den frühen Morgenstunden rief draußen eine Stimme: „Wo ist der Journalist?“ Ich antwortete. Die Polizisten öffneten die Tür und brachten mich hinaus. Später erfuhr ich, daß sie gehofft hatten, ich würde von den Verbrechern mißhandelt und geschlagen werden, aber da ich zu ihrer Enttäuschung nicht um Hilfe geschrien hatte, brachten sie mich in strömendem Regen in das Gebäude des „Central Investigation Bureau“ in Bompai, Kano.
Dort kam ich in eine bessere Zelle, etwa 2,5 mal 2,5 Meter mit nur neun Insassen. Sie waren nur kleine Diebe und weniger hart, und es gab keinen Präsidenten, nur einen Vorsitzenden. Hier verbrachte ich vier Tage auf dem nackten Zementfußboden. Ich lag immer in der Nähe der Tür und mußte den würgenden Gestank des Urins aushalten, der zuweilen in die Zelle hineinlief.
Mittlerweile hatten Verwandte und Kollegen herausbekommen, daß ich verhaftet war, und kamen mit Lebensmitteln vorbei. In nigerianischen Gefängnissen gibt es keine Verpflegung, so daß Häftlinge entweder auf Freunde angewiesen sind oder vom eigenen Geld, das sie bei der Leitung hinterlegen müssen, Lebensmittel durch Polizisten kaufen lassen. Wenn man kein Geld hat, hungert man, außer es findet sich ein mitleidiger Polizist. Mir wurden von außen so viele Lebensmittel gebracht, daß ich die Insassen beider Zellen in diesem Gebäude mitfüttern konnte.
Da der Polizeidirektor bald erfuhr, daß es mir offenbar gutging, wurde ich am 4. September um acht Uhr abends aufgerufen, mit allen meinen Sachen hinauszutreten. Die Insassen beider Zellen brachen in Jubel aus. Das Tor öffnete sich, ich ging zum Empfang – und sah einen meiner Verhörer vom ersten Abend. Da merkte ich, daß ich noch nicht frei war. Ich wurde in einem offenen Lieferwagen weggebracht, umringt von drei kräftigen Polizisten in Zivil mit Maschinenpistolen im Anschlag.
Die Fahrt ging etwa 30 bis 35 Kilometer. Der Zweck war, mich von der Außenwelt zu isolieren – meine Freunde und Verwandten, mein Arzt und mein Anwalt waren ja nicht informiert. Wir kamen schließlich in ein Dorf, und vor der Polizeiwache stand ein Schild: „Welcome to Kumbotso Divisional Police Headquarters, the Home of the Action Men“. Ich wußte, daß mich nun „action“ erwartete. Ich mußte meine Sachen abgeben und wurde in eine stockdunkle Zelle geführt. Ich setzte mich hin und wartete auf das Morgengrauen.
Mücken und Wanzen machten Schlaf unmöglich
Mit den ersten Lichtstrahlen durch die winzigen Luftlöcher in der Wand konnte ich erkennen, wo ich gelandet war. Es gab zwei Zellen nebeneinander, eine etwa 2,5 mal 2,5 Meter und die andere nur 2,5 Meter mal 60 Zentimeter. Beide Zellen gingen von einer kleinen Veranda ab, von der aus man auf die Toilette kam. Die Veranda war durch ein Eisentor von der Welt abgeschnitten; durch ein kleines Loch konnte man die Wärter rufen.
Dies war nun dreißig Tage lang mein Zuhause. Die ersten zwei Wochen verbrachte ich in der großen Zelle zusammen mit 20 bis 25 anderen Häftlingen. Ich schlief auf einer harten Betonplatte, die mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks meine Anatomie angriff. Die Toilette wurde nicht gereinigt, und der Gestank faulenden Kotes erschwerte das Atmen. In allen Ritzen und Spalten saßen Mücken und Wanzen, die Schlafen zu einem Ding der Unmöglichkeit machten. Die Moskitos schienen besonders gut trainiert: Sie widerstehen jedem Gift. Man bekommt zwar Moskitonetze, aber unter diesen kriegt man keine Luft, und außerdem werden die Moskitos um so aggressiver, je mehr Netze sie vorfinden.
Ich beschwerte mich mehrmals, aber ohne Ergebnis. Ich war eine Plage und wurde als solche behandelt. Nach vier Tagen brachte man mich in das dörfliche Gesundheitszentrum – aber dort gab es keinen Arzt, nur Hilfspflegekräfte. Einer fragte mich: Welche Medikamente haben Sie bisher genommen? Ich zählte sie auf. Der Pfleger schrieb mit und erklärte die Liste dann zu meinem Rezept. Als ich daraufhin nach den Medikamenten fragte, blickte er mich verwundert an und antwortete ruhig: „Medikamente haben wir nicht.“ Danach wurde ich in meine Zelle zurückgebracht.
Meine Gesundheit verschlechterte sich, ich verlor auch einmal das Bewußtsein und weiß nicht, wie ich wieder zu mir kam. Irgendwie bekam ich doch Medikamente, aber das Essen war grauenhaft. Manche Häftlinge bekamen überhaupt nichts, weil sie kein Geld hatten, und schrien tagelang.
Eine Nacht unternahm die Dorfpolizei eine Razzia gegen Diebe. Daraufhin füllte sich meine Zelle mit 26 Leuten, und es brach ein allgemeines Gewinsel aus, während die Insassen um den knappen Sauerstoff rangen. Dasselbe geschah nochmal zwei Tage später, und ich begann, selber zu schreien. Da ich erfahren hatte, daß in meinem Haftbefehl stand, ich solle einem Kontaktverbot unterliegen, beschwerte ich mich beim Chef der Dorfpolizei, einem Hünen von Mensch mit ebensoviel Kraft wie Intelligenz und Ordnungssinn. Er hörte mich an und ließ mich in die kleinere Zelle transferieren, wo ich die letzten zwei Wochen allein verbrachte.
Mit dieser neuen Würde ausgestattet, ernannten mich die Mithäftlinge zu ihrem Präsidenten. Viele Insassen konnten weder lesen noch schreiben, aber alle kannten meine Zeitschrift Tell. So hielten sie mich für den klügsten unter ihnen und machten mich zum Chef. Das war ziemlich ungemütlich, da es immer wieder Häftlinge gibt, die keine Befehle annehmen.
Während ich in Haft saß, kam mein Fall zweimal vor den Richter – in meiner Abwesenheit. Eine offenkundige Manipulation: Entweder wurde jemand anders als ich unter meinem Namen dem Richter vorgeführt, oder das Gesetz wurde überhaupt nicht beachtet und der Fall ohne Angeklagten verhandelt. Schließlich, nach 34 Tagen Haft, wurde ich gefesselt zum Gericht gebracht, ohne daß ich oder mein Anwalt wußte, daß ich vor Gericht kommen sollte!
Doch dieser Gerichtstermin, der 3. Oktober 1995, erwies sich als Segen. Als wir mitten am Vormittag zum Gida Murtala Court Nummer 3 in Kano kamen, war gerade Verhandlungspause. Bis die Verhandlung begann, hatte ich Kontakt zu fünf Anwälten gefunden, und meine Kollegen in der Stadt fanden heraus, wo ich war, so daß der Gerichtssaal schließlich voller Journalisten steckte und ich sogar fotografiert wurde.
Amtsrichter Bala Mohammed vertagte das Verfahren, weil die Anklage gegen eine Freilassung auf Kaution Widerspruch einlegte mit der Begründung, sie habe ihre Untersuchungen noch nicht abgeschlossen. Zwei Tage später kam ich doch gegen Kaution frei, mit der Auflage, keine Berichte gegen die Regierung zu schreiben und mich monatlich bei der Polizei in Kano zu melden.
Die nigerianische Polizei und Justiz bricht ihre eigenen Gesetze, bestraft unschuldige Bürger zur Befriedigung ihres sadistischen Egos. „Ungerechtigkeit schleicht durch das Land wie ein Tiger auf der Pirsch“, schreibt Ken Saro- Wiwa. Für die ersten elf Tage meiner Haft konnte ich mich nicht waschen. In meiner gesamten Haftzeit konnte ich gerade zehnmal auf die Toilette gehen. Ich stank so unmenschlich, daß es mir selbst vor mir ekelte; meine Nase lehnte meinen Körper ab. Die ganzen 36 Tage trug ich dieselben Kleider. Ich konnte weder Hemd noch Hose wechseln. Meine Hose wurde löchrig und eine Unterhose hatte ich nicht mehr. Ich verließ den Gulag als Steinzeitmensch. Aber mein Wille blieb stark, denn mir erschien es, als hätte ich eine Art Taufe durchgemacht.
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