■ Comedy & Kabarett, Kult & Kopierer: Der Schatz des verlorenen Jägers
Comedy boomt – auch wieder im Radio. Allerdings hat sich, laut Hirnforschung, die Sensibilität für Sinnesreize in 20 Jahren stark verringert. Nun, Scheiße von Mousse au chocolat zu unterscheiden, sollte selbst den gröbsten kulturellen Geschmacksnerven noch gelingen.
Dennoch läßt sich zum Beispiel eine hörige Fangemeinde via NDR 2 die „Nonsens-Sprechstunde“ (Bild) eines „Dr. Bernhard“ zum Frühstück schmecken, jener dilettantisch designten „Kultfigur“, die auf dem Stuhl eines Hamburger „Kreativen“ namens Olav Krüger (34) gewachsen ist. Angeblich. Ohrenzeugen der „Praxis Dr. Jaeger“ bezweifeln das.
Heino Jaeger, am 1.1. 1938 geboren, eigentlich bildender Künstler, genoß in den 70ern, zur Zeit der Blödelwelle, kurzfristig bescheidenen Ruhm: u.a. durch seine akustischen Karikaturen von rundgefunkten Telefonaten zwischen dem legendären Dr. von Hollander und dessen Klientel.
Der tragische Aberwitz im Binnenleben ratsuchender Individuen und die Fachkompetenz einer Seelenkoryphäe, die keinen Befund scheut – Grundstoff für Jaegers zweistimmige kabarettistische Meisterstücke: Da spukt's von schillernden Schinken, Kohlrouladen, Wellensittichen und Gatten, die plötzlich bellen, ihr Taxi kacheln oder Paßkontrollen für die Familie einführen. Schüchtern, aber hoffnungsvoll trotzig tragen die Betroffenen ihre horrenden Probleme vor. Dr. Jaeger hört sich's, mit müd verbrämtem Staunen, an. Ob ein durchgeknallter Kenigsberrjer mal iber säine Mebel plaudern mecht', ein zum Gotterbarmen heiserer, alter Seemann „unter Alpträumen“ leidet oder vom „Warnomat“ eines missingschen Senioren Öl auf den Teppich tropft: Am Schluß verkündet der manchmal melancholisch bräsige, meist aber einfühlsame Profi im kreglen Duktus des Humanexperten, dem nichts Menschliches fremd ist, die triftige Therapie: hie eine „Seemannspaste“, da den „Brummomat von der Firma Dennoch in Siegen; der einzige Nachteil, äh, ist der ständige Brummton“. Der Patient – lind baff, aber dankbar – akzeptiert sofort: „Ja, äh, schön' Dank, Herr Dokter, denn will ich den mal bestellen, denn ich leide sowieso unter Kopfschmerzen.“
Was Jaegers Genie ausmacht, ist der Kotnrast zwischen himmelschreiender Groteske und fast krankhafter Genauigkeit der Mimesis: Jede Note der Intonation, jedes sprachliche Detail, jedes unaussprechliche Sprechelement – Aspiration, Pausen, Füllsel... – sitzt mit einer gespenstischen Souveränität, die an Glossolalie grenzt. So würde Gott, besäße Er Humor, seine Geschöpfe am Jüngsten Tag veralbern. Daß Billigkopierer wie Olav Krüger quasi die Masterbänder einer solchen Urkomik ungeächtet verheeren dürfen, mag daran liegen, daß Meister Jaeger selbst – samt ×uvre – kaum noch präsent ist: Gerade mal 58 Jahre alt, scheint er seit langem entschossen, seine psychotische Alkoholikerbiographie in einem Oldesloer Altersheim als Mündel zu Ende zu schlafen. Wie der Schatz seines Schaffens in den Archiven von SRF, WDR und NDR (!). Vergebens bisher die Bemühungen eines intimen Kreises von Gewährsleuten, einen Verlag zu gewinnen für diesen „ganz großen Künstler“ von „Beckettschen Dimensionen“ (Hüsch), „einen Jahrhundertkomiker“ (Henscheid) mit dem „absoluten Gehör für die Äußerungsformen des einfachsten Menschlichen“ (Bettina Clausen, Literaturwissenschaftlerin).
Also lauschen seine VerehrerInnen auf privaten Pfaden multiplizierten Tonbändern. Sie können keinen Fuß mehr vor die Tür setzen, ohne daß ihnen eine Figur aus Jaegers Pandämonium begegnet. Denn Jaegers Modell war die Wirklichkeit – Olav Krügers ist Jaeger. Daran gescheitert sind beide. Jaeger in Würde. Frank Schulz
(Material: Christian Meurer)
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