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Zwischen Unschuld und Peepshow

Ganz ohne Abgrenzungsbedürfnis und theoretischen Überbau gehen sie ihre beachtlichen eigenen Wege: die PerformerInnen von „reich & berühmt“, einer Theaterwerkstatt im Podewil  ■ Von Gerd Hartmann

Als Antwort jodelt Hermann, der Plüschbär, bayerisch, aber blechern. Dabei war die Frage ganz ernsthaft. Ob sich die auf dem Podium versammelten Theatermacher als Abkopplung vom Stadttheater oder als Abkopplung vom freien Theater verstünden, lautete sie. Dann raffte sich Performer Amore, Mitglied des Dresdener Zentrallaboratoriums, der den Jodelteddy als Repräsentanten seiner Bühnenfiguren mitgebracht hat, aber doch noch zu einem verbalen Zusatzkommentar auf: Kategorisierungen seien völlig unwichtig, es ginge darum, sich in ein Verhältnis zu setzen.

Versammlungsort: das Café im Podewil. Versammlungsgrund: die Theaterwerkstatt „reich & berühmt“, die bis Samstag drei Arbeiten junger TheatermacherInnen nebst einem kleinen musikalischen Rahmenprogramm präsentiert. Als Gegengewicht zum Almauftrieb der Etablierten beim Theatertreffen versteht sich das Minifestival in Mitte durchaus. Jedoch nicht als Gegenveranstaltung. Sosehr sich die Herangehensweisen von der Stadttheaterkonkurrenz unterscheiden mögen (und auch von dem, was die verschlafene freie Szene in Deutschland üblicherweise als Hinterherrennen in alle Richtungen präsentiert), kämpferischen Ausschließlichkeitsanspruch vertritt hier kein Mensch.

Die Girlies und Boys auf dem Diskussionspodium – alle schon um die Dreißig – gehen zwar ihre eigenen Wege. Aber es besteht weder Abgrenzungsbedarf noch die Notwendigkeit eines theoretischen Überbaus. Aufklärung ade, Spiel, Spaß und Labor lauten die Maximen. Die Neuerer der Ninties haben keinen Schaum vor dem Mund. Passende Begrifflichkeiten sind eh schwer zu finden. Das Koordinatensystem ist weggebrochen, Aktionstheater oder Happening im Raum, alles schon besetzt.

Dabei sind die Ergebnisse der spielerischen Suche nach dem zeitgemäßen Transport von Inhalten jenseits von Kindergeburtstag. Helena Waldmann (Jahrgang 1962, mit viel Stadttheatererfahrung und einziges Nicht-Girlie unter den DiskutantInnen) stellt in ihrer Arbeit für den Frankfurter Mouson- Turm „face... à“ eingeschliffene Sichtweisen zur Disposition. Auf den beiden Längsseiten der völlig abgeschlossenen Bühne liegt das Publikum aufgereiht auf dem Boden. Kontakt zum Handlungsraum gibt es nur indirekt: mittels einer im 45-Grad-Winkel angebrachten Spiegelleiste, die sowohl Bühnenausschnitte überträgt als auch, quasi als Insert am Bildrand, die Köpfe der gegenüberliegenden Zuschauer.

Zusätzliche Distanz zur realen Aktion geben Kopfhörer, die auf einem Kanal einen geflüsterten Text von Marguerite Duras übertragen, auf dem anderen Atemgeräusche, knapp über der Hörbarkeitsgrenze. Diese mehrfach gebrochene Voyeursperspektive verunsichert und entspannt zugleich. Eine kongeniale Versinnlichung der Duras-Erzählung „Der Mann im Flur“, die mit äußerster Distanz und vielfachen Konjunktiven beschreibt, wie ein Paar miteinander vögelt, zwischen Geilheit, Liebe und Gewalt.

Waldmann stellt den knappen Sätzen ein Tanzpaar entgegen. Sie, sich aktiv bewegend, er passiv, fast bewegungslos. Durch gezieltes Licht sind oft nur einzelne Partien der Körper sichtbar. Sprachliche Nahaufnahmen verbinden sich mit Körper-Close-ups, ohne Verdoppelung. Und das Liegen produziert einen Dämmerzustand zwischen Unschuld und Peepshow.

Tiefes Mißtrauen gegenüber dem Schauspieler als Gefühls- und Sinntransporteur eint alle Regisseure des Festivals. Während Waldmann aufs äußerste reduzierte Bewegungschiffren anbietet, die ihre erotische Zuordnung ausschließlich aus dem Kontext beziehen, setzt Stefan Pucher seine Akteure als multimediale Darsteller ein. Die Körper können Projektionsfläche für Dias sein, oder Cover-Medium für den Rock 'n' Roll- Spirit der letzten drei Dekaden.

Seine Produktion „Zombie“ aus dem Frankfurter TAT betreibt Cultural Studies mit Techno-Dramaturgie. Der mit Wort- und Musikzitaten aus der Popgeschichte scratchende DJ bestimmt den Rhythmus. Die Mythen der Retrogeneration liefern die Folie: Splatterfilme mit ihren Untoten und die genauso sarglebendigen Ikonen des Music-Business. Pucher, der selber lange als DJ arbeitete, stochert mit Lust in den Phänomenen der Massenkultur herum. Dabei regiert – nicht nur in dieser Produktion – der Medienmix. Die Bühne als virtueller Raum, wo man sich durch Zeiten, Partys und gesampelte Realitätsschnipsel klickt.

Splittertechnik auch beim Dresdener Zentrallaboratorium. „Thema Nr. 1 Rauschen“ rhythmisiert sich durch Zeitansagen, die Texte sind mit dem Zufallsprinzip aus den Zeitungsrubriken eines bestimmten Tages zusammengesetzt. Menschen gibt es in dieser fragmentarisierten Alltagscollage nur noch auf dem Monitor. Auf der Bühne führen batteriegetriebene Spielzeugfiguren ihr Eigenleben.

Versatzstücke von Trivialmythen und die Irritation der gewohnten Zuschauerhaltung: das ist der spannende wie innovative Link zwischen den Ansätzen. Und Hermann, der Teddy, jodelt dazu.

„Zombie“ von Stefan Pucher, heute um 21 und 23 Uhr (anschließend Party); „Thema Nr. 1. Rauschen“ vom Zentrallaboratorium, am 11.5. um 21 und 23 Uhr, sonstige Veranstaltungen erfragen, im Podewil, Klosterstraße 68–70, Mitte, Telefon: 24749777.

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