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Ein sterbendes Dorf am Rande der Rollbahn

■ Wird Schönefeld ausgebaut, liegt Diepensee inmitten der Betonpisten

Seine Haare sind so grau wie die Metallhaut des Jagdbombers neben ihm. Jürgen Engelke, der Leiter des Flugzeugmuseums im Dorf Diepensee wartet auf BesucherInnen – seit zwei Jahren. Die sowjetische Militärmaschine aus den fünfziger Jahren rostet. Zwischen flachen Schweineställen eines volkseigenen Gutes der DDR gammelt ein Dutzend alter Hubschrauber und Flugzeuge. Es gibt schrottreife Lastwagen, olivgrüne Radarschüsseln und eine schwarzrote Dampflokomotive. Das Gras sprießt in diesem Sammelsurium, das sich Aero Park Brandenburg nennt.

„Geld kann man damit nicht verdienen“, meint Parkchef Engelke. Sein Auskommen hat er als Bediensteter des Flughafens Schönefeld, dessen Gelände 300 Meter hinter dem Museum beginnt. „Aber hier passiert nichts, Diepensee ist ein sterbendes Dorf.“

Die Ortschaft ummittelbar am südlichen Zaun des Flugplatzes Schönefeld lebt auf Abruf – und das seit Jahrzehnten. Schon zu DDR-Zeiten existierten Pläne, die Rollfelder nach Süden zu erweitern, die Häuser abzureißen und die BewohnerInnen umzusiedeln. Das neueste Konzept einer Firmengruppe für den Bau des Großflughafens sieht nun zwar vor, Diepensee stehen zu lassen. In 15 Jahren soll der Ort aber im Norden, Westen und Süden vom Flughafen umgeben sein. Nur von Osten wird eine Straße in die zwei Kilometer breite Sackgasse zwischen zwei Startbahnen führen. Die Düsenklipper fliegen dann im Minutentakt (siehe Artikel oben).

Noch aber ist nichts entschieden. Die Glocke der Depression liegt weiter über dem Ort. Eine gläserne Ausstellungshalle an Stelle des Schweinekobens? „Geht nicht, wir dürfen keine Neubauten errichten“, beschwert sich Parkleiter Jürgen Engelke. Die Nachfolger der Treuhand, denen Diepensee jetzt gehört, genehmigen keine Verschönerungen. Das würde nur die Schadensersatzansprüche der Dörfler erhöhen, die vor dem lärmenden Flugplatz fliehen wollen.

Man sieht es der Dorfstraße an. Jedes zweite der Bauernhäuser aus braunem Ziegel verfällt. „Dort wohnt niemand mehr, dort auch nicht“, sagt einer der Zurückgebliebenen. Ein Mütterchen mit Grünzeug im Bastkorb humpelt über das Kopfsteinpflaster zu ihrer Ruine von Hasenstall am Flughafenzaun. Darüber steigt ohrenbetäubend ein Urlauberjet in den Himmel.

Die Kioskbesitzerin an der Hauptstraße hat das „Leben zwischen Baum und Borke“ satt. Alles, was sie will, ist eine Entscheidung über die Zukunft ihres Dorfes. Werde der Ort zur Enklave, von Pistenbeton umschlossen, sei ihr auch das recht. Der Mann pflichtet ihr bei. 15 Jahre – dann liege er vielleicht schon unter der Erde. Und wenn die Investoren den Friedhof verlegen wollen? „Egal, man kann meine Knochen woanders hintragen“, sagt er.

Michael Pilz, der ehrenamtliche Bürgermeister des 362-Seelen- Dorfes, dagegen fleht: „Bitte keinen Großflughafen in Schönefeld!“ Die Lebensbedingungen würden sich katastrophal verschlechtern: „Wir wohnen dann mitten im Lärm.“ Und die Diepenseer hätten mangels Geld keine Möglichkeit wegzuziehen. Doch diesen Fall hat die Industrieverwaltungsgesellschaft (IVG), die den Großflughafen bauen will, schon einkalkuliert. Umzugswilligen Einwohnern würde man finanziell unter die Arme greifen, erklärt IVG-Geschäftsführer Klaus Köllen. Abwanderung hier – Zuwanderung dort. Auch Bürgermeister Pilz schätzt, daß mit der Entscheidung für den Flughafen Schönefeld die Stagnation in seiner Ortschaft überwunden würde. Diepensee könne sich dann zu einem attraktiven Gewerbegebiet mausern. Die Zahl von heute 50 Arbeitsplätzen werde steigen.

Von Diepensee führt eine Allee aus Ahornbäumen nach Süden ins freie Land – weg vom Flugplatz. Die alten Wipfel stehen jetzt in saftigem Grün: der einzige Ort des Dorfes, der nicht dem Verfall preisgegeben ist. Beim Bau des Großflughafens werden Motorsägen diese brandenburgische Allee hinter dem Ortsschild kappen. Die Bäume müssen dann den Betonpisten weichen. Hannes Koch

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