Debatte: Doofes Menschenvolk
■ Morgen im „Modernes“: Tocotronic, geliebt und gehaßt – ein Streitgespräch unter den beliebten taz-Musikfachautoren
L.R.: Tocotronic können nicht spielen.
A.N.: Das ist doch nichts Schlechtes. Die Ramones können auch nicht spielen. Die leben vor allem von ihrem schlichten Charme. Drei, vier Akkorde geschraddelt, Billig-Harmonien aus dem Supermarkt des Rock'n'Roll. Aber genau so wollen sie sein: einfach, direkt. Nicht singen können, aber jung und unschuldig Musik machen.
Aber Jan, Arne und Dirk klingen auf ihrer ersten Platte, als ob sie noch nicht mal dazu Lust hätten. Kurzzeitig mag das charmant sein. Aber auf 18 Songs gedehnt macht es schlechte Laune. Auf ihren neuen Platten haben sie sich ein wenig zusammengerissen, was wiederum der erste Schritt in Richtung schnöde Rockband ist.
Und das geht nach hinten los, klar. Sobald sie sich an ausufernden Songstrukturen versuchen, klingt es wie Sonic Youth ohne Ideen. Aber solange sie sich kurz fassen und punkig bleiben, funktioniert es bestens.
Toll. Aus den drei Tocotronic-Platten kannst Du Dir gerade mal eine feine Kassettenseite ziehen.
Aber die ist voller Texte, wie sie schon lange jemand hätte schreiben sollen. Wenn sonst Sänger jemandem aus dem Herzen sprechen, stecken Allgemeinheiten wie „Keine Freundin haben macht traurig“ dahinter. Nur bei Tocotronic begegnen dir in Songs die absolut widersinnigen Feinheiten des Lebens wieder, wie zum Beispiel der Kauf einer Team-Dresch-Platte oder die Verachtung für Jonglieren. Egal, wie merkwürdig du bist – Dirk von Tocotronic bringt irgendwann einen Song, in dem sich zeigt, daß er genau die selbe Macke hat wie Du.
Aber die predigen ja mir zu den Bekehrten. Die wollen für die Slacker sein, was Gunter Gabriel für die Malocher sein will. Hör dir so eine Textzeile an: „Daß Menschen doof sind, setz' ich als bekannt voraus.“ Richtig! Wer also nicht schon vor Tocotronic wußte, daß Tanztheatern, Backgammon-Spielern und Jongleuren mit Mißtrauen zu begegnen ist, der wird es auch danach nicht kapieren.
Braucht er auch nicht. Ist ja keine Protest- oder Lehrer-Musik. Aber das Gesamtbild stimmt: schnodderig-schlaues Getexte und ein gewollt naives Herangehen ans Musikmachen. Der Kontrast ist spannend. Jugend und Abgeklärtheit in einer Band aus Hamburg, wo sie sonst entweder schlau oder peppig sind. So möchte man auch sein.
Aber nicht so rumlaufen. Zu Hause darf man tragen, was man will. Aber wenn es sich dabei um Cordhosen und Adidas-Jäckchen handelt, sollte man davon absehen, schlechte Fotos davon zu machen und per CD-Booklet stolz der Außenwelt zu zeigenn – geschweige denn, damit auf der Bühne zu stehen.
Das tun Tocotronic aber. Am Samstag im Modernes (20 Uhr). Lars Reppesgaard & Andreas Neuenkirchen
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